Strapazen werden belohnt (Juli 4 – 6)

August 22, 2007  
Themen: Kolumbien

Da standen wir nun in einer Kleinstadt mit einer endlos langen Strasse und unzähligen Geschäften. Die Sonne spielte mal wieder Brutzelofen mit uns, so dass die Sonnencreme gleich dreifach aufgetragen wurde. Jedenfalls bei mir. Mein Magen knurrte fürchterlich, so dass ich in der Bushaltestelle, in der wir herausgelassen wurden, schnell im Imbiss vorbeischaute. Dort gab es wenig zur Auswahl, aber zumindest gab es Brot. Das sah reichlich normal aus, so dass dabei ja nichts schief gehen konnte. Dachte ich. Nachdem ich mich riesig über den leckeren Geschmack gefreut und bereits zwei der Brote in mich hineingestopft hatte, biß Augustas auch von dem Brot ab. Da zeigte sich doch tatsächlich, dass das Brot mit Karamel gefüllt war. So ein Mist aber auch. Da mein Hunger noch nicht besiegt war, aß ich weiter, jedenfalls die kleinen Stücke der jeweiligen Brote, die kein Karamel enthielten. Scheinbar war aber auch der normale Brotteig mit Milch versetzt, denn eine knappe Stunde später ging es mir hundselend. Mein Bauch blähte sich auf, mir wurde schlecht und zu allem Überfluß bekam ich auch noch meine Regel zu diesem ungünstigen Zeitpunkt! Dazu in der Sonne brutzelnd, eine wahre Freude war das. Mir ging es zunehmend schlechter und irgendwann spazierte ich gen Bustoilette, die überraschenderweise sauber war. Eine Dreiviertelstunde später kroch ich schwach aus der Toilette wieder heraus. Es dauerte noch eine weiter Stunde, bis ich mich von diesem Erlebnis erholt hatte. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich noch, dass Karamel oder Milch im Brot eine Ausnahme wäre und ich mich vergriffen hätte. Doch während unserer Reise durch Kolombia stellte sich heraus, dass jegliches, frisch gebackenes Brot mit Milch, Käse oder Butter versehen ist. Es war zum verzweifeln, aber auch das habe ich natürlich überlebt.

Zurück zum Trampen. Augustas erzählte mir nach meiner Rückkehr von der Toilette, dass er mit dem Stuhlverkäufer, der mit seinem Handkarren ständig an uns vorbeizog, gesprochen hätte. Dieser hatte nach unserem Reiseziel gefragt und gemeint: “Ich war früher auch ein Hippie und bin lustig durch die Gegend getrampt. Wenn ihr meinen Rat hören wollt: nehmt den Bus bis zur Peaje (dort, wo man für die Autobahn Geld bezahlen muss).” Unsere Augen leuchteten auf, wussten wir ja bereits aus Erfahrung, dass es an einer Peaje viel einfacher ist, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und die Autos zum Anhalten zu bewegen. Wir nahmen also den Bus, auf den wir noch einmal eine halbe Stunde warten mussten. Endlich kamen wir an der Peaje an und sahen zu unserer Freude eine handvoll Polizisten nahebei stehen. Wir gingen also auf sie zu und baten um Mithilfe, einen Lift Richtung Bucaramanga zu bekommen. Von Venezuela her waren wir es gewohnt, dass wir die Polizisten oder aber Miltiärleute um derarte Hilfe bitten konnten. In Kolumbien schien das aber etwas anders zu sein. Die Polizisten wirkten etwas hilflos und drucksten ein wenig herum. Dann brachten sie doch noch ein “gut” heraus, was uns zumindest ihre Zustimmung sicherte. Doch so wirklich hilfreich waren die Männer nicht.

Wir hielten also selbst jemanden an. Carlos fuhr mit uns nach Pamplona. Auf dem Weg dorthin deckten wir uns in den vielen Ständen am Strassenrand mit etwas Obst ein. Einmal sahen wir ein junges Paar einen Berg hinuntersteigen. Die Beiden wirkten auf uns wie Langzeitreisende und stellten sich, ihre Rucksäcke auf dem Rücken, an den gegenüberliegenden Strassenrand. Dort konnte ich beobachten, wie sie sich rührend um ihr Baby kümmerten. In diesem Moment regte sich etwas ganz tief in mir. Ich sah vor meinen Augen, wovon ich seit langem träume: mit dem eigenen Kind durch die Welt reisen.

Carlos machte mit uns in Pamplona eine kleine Rundfahrt. Pamplona ist wirklich eine faszinierende Altstadt, mit einem riesigen Universitätsgelände, zu dem uns Carlos letztlich brachte. Wir hätten gern etwas mehr Zeit in Pamplona verbracht, aber wir waren bereits in Zeitverzug mit unserer Ankunft in Cartagena. Und so kamen wieder einige Stunden Warten auf uns zu. Wir beobachteten derweil die Aprikosenverkäufer, die sich physisch und rednerisch wirklich ins Zeug legten. Auch wir konnten der süssen Frucht nicht widerstehen und erwarben einen ganzen Beutel davon. Ausgesprochen köstlich. Da fristeten wir also unsere Zeit, Früchte essend, vor dem Eingang zur Universität, direkt am Strassenrand. Auto bahnt sich an, aufstehen, Daumen raus, freundlich lächeln, traurig hinterherschauen, hinsetzen. So ging es eine ganze Weile, bis wir einen Jeep sahen, der auf seinem Anhänger zwei Motorräder geladen hatte. Augustas ging auf die beiden zu und beredete sie mit einer Engelsgeduld. Da sich die Fahrer anfangs mehr für das billige, venezuelanische Benzin als für Augustas Bitte uns mitzunehmen interessierten, blieb Augustas protestierend einfach neben ihnen stehen. Sie sollten nicht vergessen, dass er nachgefragt hatte. Augustas fing also an über uns zu erzählen, welche Länder wir bisher gesehen hatten, wie lange wir schon umherreisen, etc. Nach einer geraumen Zeit Warten, in der ich weiterhin versuchte andere Fahrzeuge anzuhalten, schien sich endlich das Gehirn des Jeep-Fahrers in den Gang zu setzen und eine Entscheidung auszuspucken. Ja, sie würden uns mitnehmen. Einsteigen.

Endlich befanden wir uns auf dem Weg nach Bucaramanga. Wir hatten uns allerdings zu früh gefreut. Keine fünf Minuten später bogen wir um eine Kurve und standen in einem endlos langen Stau. In der Gegend bestand momentan nur einspuriger Verkehr wegen Straßenbaumaßnahmen. Als wir ankamen, war auch diese eine Spur gesperrt. Eine Stunde sassen wir fest, während der wir uns über neuartige Gemüse informierten und uns mit anderen Gestrandeten unterhielten. Unsere Fahrer malten sich schon aus, wann sie ungefähr in Bucaramanga ankommen würden. Gegen 18 Uhr schätzten sie unsere Ankunft, was sich später als weit unterschätzt herausstellte. Aber immerhin bewegten wir uns jetzt langsam in unsere Richtung fort. Es ging mitten durch die Berge und es schien, dass mit jeder Kurve, die in einem Abstand von 10 Metern zu liegen schienen, die Höhe anstieg. Wir waren auf dem Weg in die Wolken, im wahrsten Sinne des Wortes. Einmal schoss auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein LKW wie ein Blöder um die Kurve und hätte uns, wäre die Reaktion unseres Fahrers auch nur um eine Millisekunde langsamer gewesen, allesamt den Berg wieder hinunterbefördert. Mit Sicherheit schneller als wir hinaufgebraucht hatten, dafür hätten wir davon aber nichts mehr gehabt. Den Schrecken noch im Nacken stiegen wir höher und höher. Mit jedem Zentimeter Höhenveränderung sanken die Temperaturen weiter Richtung Nullgrenze. Es fing fürchterlich an zu regnen, wodurch wir gleich mit dem Gedanken überfallen wurden, am Abend im Nassen schlafen zu müssen. Wir schienen bereits am Höhenlimit der Berge angekommen zu sein, da hielten die Herren für eine kleine Kaffepause an. Sie luden uns zu einem heissen Wasser mit Honig ein und wir langten kräftig bei den gesalzenen Pellkartoffeln zu. Die waren so herrlich heiss, würzig und klein, dass wir sie direkt mit der Schale gegessen haben. Wir nahmen uns sogar noch eine grosse Portion mit ins Auto, denn wir hatten nicht genug Zeit, diese Köstlichkeit ausreichend zu geniessen. Mit Hilfe unseres Fahrers schafften wir es sogar, nur eine einzige Gurke zu kaufen, denn mit dreien auf einmal, die man uns partout verkaufen wollte, konnten wir einfach nichts anfangen.

Es wurde später und war mittlerweile über die Zeit, die unsere Fahrer für die Ankunft in Bucaramanga angekündigt hatten. Sie änderten nun auch ihre Meinung und rechneten wohl eher mit 20-21 Uhr. Wir machten uns mittlerweile richtig Sorgen, wo wir übernachten sollten. Nachts in einer Stadt anzukommen und nach einem passenden Zeltplatz zu suchen, hatten wir nach dem Erlebnis in Kosta Rica abgehakt. Wir vertrauten uns also unseren Fahrern an, die auf Anhieb keine Idee hatten. Wir gaben viele Hinweise, was gut für uns wäre, so dass wir uns let
ztlich auf eine Peaje, die sich hoch oben auf einem Berg befand, einigten. Dort angekommen wollte ich nicht gerne aussteigen. Es regnete in Strömen, alles war nass und noch dazu eisig kalt. Und da übernachten? Nein, danke. Unsere Fahrer vergaßen scheinbar, dass wir bereits an der Peaje angekommen waren und fuhren weiter. Vielleicht erwogen aber auch sie nicht im Entferntesten, uns bei diesem Wetter dort auszusetzen. Mittlerweile ging es bereits bergab und wir diskutierten erneut, wo wir ein geeignetes Nachtlager finden konnten. Der Fahrer schlug vor, die auf Kilometer soundso stationierte Polizeikontrolle zu fragen. Dort angekommen erklärte der Polizist, dass wir weiter unten in einem “Park” zelten konnten. Da wäre es sicher, weil die Polizisten alle 45 Minuten vorbeifahren würden und zwar bis 4 Uhr morgens. Das klang ja vielversprechend. ‘Alle 45 Minuten’. Scheinbar war den Polizisten nicht klar, dass innerhalb von 45 Minuten reichlich viel passieren kann. Aber gut, wir erwogen es zumindest. An dem “Park”, der sich als offener, unbedachter, nur mit Erde bestückter Parkplatz entpuppte, brauchten wir nicht lange zu überlegen. Selbst der Fahrer wollte uns hier nicht herauslassen. Wir fuhren also weiter und gaben Vorschläge wie Feuerwache, Polizeizentrale, Militär… “Ah, ich weiss wo wir euch herauslassen können. Es gibt ein Militärschutzgebiet gleich am Eingang von Bucaramanga.” Ja super, dass sollte die Lösung sein. Wie gesagt, sollte… Wir klopften beim Militär an und, ungewöhnlich für unsere bisherigen Erfahrungen, wurden abgelehnt. “Geht die Strasse hinunter, dann nach rechts und dort findet ihr einen Polizisten. Der wird euch weiterhelfen, da könnt ihr bestimmt übernachten.” All meine Gebahren bezüglich des “nachts durch die Stadt mit unserem Gepäck…”-Erklärungen stiessen auf Stein. Wir mussten also wieder abziehen und wurden liebenswürdigerweise auch bis zur Ecke gebracht, damit wir uns nicht verlaufen konnten. Beim Polizisten angekommen, ging die ganze Erklärung wieder los und wir hatten eine kleine Hoffnung, dass er uns nicht auch fortschicken würde. Doch auch der Polizist wollte sich unserer nicht annehmen und uns den nötigen Schutz zukommen lassen. Stattdessen schickte er uns “nur 5 Strassen weiter” zum Parque de los Niños. Zwei Weisse, nachts, mit riesigen Rucksäcken “nur 5 Strassen weiter” zu schicken, grenzte bei mir an Verständnislosigkeit. Aber auch hier halfen alle Gebahren nichts. Erst schlug er noch vor, bei seinem Kollegen anzurufen, doch aus heiterem Himmel änderte er seine Meinung. Trotz das ich ihn immer wieder auf seine Idee des Anrufs stieß, da uns sein Kollege dann sofort helfen würde, konnte ich den Polizisten nicht dazu bewegen, den Hörer oder gar das Funkgerät in die Hand zu nehmen. “Wißt ihr, der Funk und das Telefon sind nicht für solche Gespräche gedacht. Es ist also besser, wenn ihr einfach selbst hinlauft.” Wir waren bedient, aber jetzt war ja eh alles egal. Wenn uns die Polizei nachts “nur 5 Strassen weiter” schickt, dann werden wir eben die fünf Strassen weiter gehen. Auf dem Weg zum Park riefen wir noch kurz bei unserer Gastgeberin in Cartagena an, damit sie – und zumindest eine Person – wusste, wo wir abgeblieben sind. Letztlich waren es mindestens acht Strassen, die wir gehen mussten, um im Parque de los Niños anzukommen. Am Park angekommen stellten wir fest, dass dieser komplett mit einer Art grünem Stoff umzäunt war. Davon hatte der Polizist die unzähligen Strassen weiter oben aber nichts erwähnt. Im Gegenteil. Wir fanden den Eingang zum Park, dessen Tür allerdings verschlossen war. Da es eine behelfsmäßige Bauzauntür war und die nur mittels einem Draht zugehalten wurde, öffneten wir das Tor einfach und traten ein. Kaum hatten wir das Tor wieder verschlossen und liefen auf das Polizeihäuschen zu, da kam der Herr Polizist bereits aus der anderen Richtung auf uns zugelaufen. Wir gaben eine kurze Erklärung unserer Anwesenheit, schilderten unsere Versendung an ihn und bekamen endlich die Erlaubnis an diesem Ort bleiben zu dürfen. Es war ideal, dass der Park in diesem Moment erneuert wurde und deswegen die Bauzäune ringsherum angebracht waren. So konnten uns die Fußgänger wenigstens nicht neugierig hinterherschnüffeln.

Wir suchten uns ein geeignetes Zeltplätzchen, das dem Polizisten aber misfiel. Er wollte uns am besten direkt unter einer Lampe zelten sehen, damit wir gut bewachbar wären. Das ist an sich keine schlechte Idee, aber wenn es keine öffentlichen Toiletten gibt und meiner einer zum Pipi machen ihren Hintern freilegen muss, ist das alles andere als erfreulich. Einen beleuchteten Po brauchte ich nun wirklich nicht und auch keine Kontrolle darüber, ob ich mir gerade eine geeignete Ecke für den Toilettengang suchte. Wir platzierten unser Zelt ordnungsgemäß im hellsten Lichtschein. Ich suchte mir jetzt aus absoluter Notwendigkeit trotzig eine Stelle hinter dem grössten Baum, um mich endlich zu erlösen. Hinter dem Baum schien mein Hintern zwar aus Zeltrichtung vor unerwünschten Blicken geschützt, aber mit dem Lichtstrahl, der einen grossen Schatten aus meiner hockenden Figur machte, war das auch egal. Es wusste ja eh jeder, was ich da tat. Ich schimpfte also ein wenig vor mich hin, damit meine ärgerliche Energie endlich entwich.

Ich atmete gerade tief durch und legte mich erschöpft in unser Zelt, da bemerkte ich den nassen Zeltboden. Innerhalb kürzester Zeit hatte unser Zeltboden nachgegeben und unsere Matrazen eingeweicht, da das pitschnasse Grass unter ihm einfach stärker war. Wir mussten also umziehen. Zum dritten Mal alles herausräumen, dass Zelt in Sicherheit bringen und überlegen, wo wir am sichersten vor dem Regen wären. Diese Phase dauerte ausgesprochen lange, denn überall gab es einen Haken. Wir entschieden uns letztlich für den Gehweg, in der Hoffnung weitgehend trocken zu bleiben. Kaum waren wir mit Sack und Pack drinnen im Zelt, da bot uns einer der Bauherren, der um diese Zeit noch auf Sandtransporte wartete an, in der Umkleidehütte der Bauarbeiter zu übernachten. Er zeigte uns das Häuschen, was keinen Boden, nur Asphalt, aber ein Dach und Wände hatte. “Ihr müsstet allerdings um Punkt 6 Uhr morgens wieder draussen sein.” Kein Problem. Es war ein wenig problematisch unser Zelt, ohne es wieder zusammenbauen zu müssen, in die Hütte hineinzubekommen. Aber mit unserem Willen und der Sehnsucht nach Ruhe war das allemal möglich. Hier hatten wir eine bessere Möglichkeit unsere Notdürfte zu verrichten, auch wenn diesmal der Asphalt vor der Hütte daran glauben musste. Zumindest sah uns jetzt keiner mehr dabei. Wir richteten uns häuslich ein und fielen erschöpft in einen viel zu kurzen Schlaf.

Fünf Uhr morgens klingelte der Wecker. Aufstehen, packen und schon stand der Bauherr vor der Hütte. Wir verliessen den Park. Ich war völlig verschlafen, da ich nach dem ganzen Hin und Her am Vorabend nicht mehr ruhig schlafen konnte. Man könnte den Zustand auch als gerädert bezeichnen. Vor mich hinträumend trottete ich Augustas hinterher, der sich am Vortag von unseren Fahrern die richtige Richtung erklären lassen hat. Doch so ganz sicher war er nicht über den Weg und so fragte er einen Zeitungsverkäufer, der auf der Mittelinsel einer riesigen Strasse stand. Dieser wusste nicht zu helfen, statt dessen schaltete sich ein anderer Herr ein, der neben dem Zeitunsverkäufer stand. “Sie wollen also trampen. Ja, das habe ich als junger Mann auch ständig gemacht. Da fahrt ihr am besten zur Peaje. Dazu müsst ihr den Bus soundso nehmen. Geht einfach die Strasse hier weiter hinunter und da an einer Tankstelle ist auch schon die Bushaltestelle.” Gesagt, getan. Auf dem Weg dorthin veränderte sich das Straßenbild drastisch. Mehr und mehr Obdachlose tauchten auf und die Gegend sah zunehmend ungemütlich aus. Wir liefen also schnellen Schrittes der Tankstelle entgegen, die sich allerdings ein ganzes Stück entfernt befand. Zu allem Übel brauchten wir ausgerechnet auch noch Geld, denn sonst konnten wir den Bus zur Peaje nicht bezahlen. Als wir endlich einen Geldautomaten fanden, fühlten wir uns zu
unsicher, mit unserem Gepäck davor zu parken. Da sich auf der gegenüberliegenden Strassenseite in einem Hof eine Art Bushaltestelle befand, gingen wir hinüber um nachzufragen, ob diese nicht gleich zu unserem Ziel führen. Das verneinten sie, aber immerhin konnte ich nun getrost mit den Rucksäcken dort verweilen, während Augustas Geld abhob. Da hörte ich plötzlich einen Alarm losplärren. Was da wohl los sei, dachte ich. Die Antwort bekam ich, als Augustas zurückkam. Er hatte gerade seine Kreditkarte in den Automaten gesteckt, da löste sich ein Alarm aus. Warum weiss der Geier. Da er nichts falsch gemacht hatte, hob er fix das nötige Geld ab und verließ den Automaten wieder. Wir zogen also weiter, immer den Blick um uns schweifend, da wir definitiv in einer Art Drogenmilieu gelandet waren. Kaum kamen wir an der Tankstelle an, schafften wir es gerade noch in unseren Bus zu hüpfen und los ging es zur Peaje. Da hatten wir wirklich Glück gehabt, denn an diesem Ort hätten wir ungern auf den nächsten Bus warten wollen.

Die Peaje war recht klein, mit einer winzigen Insel in der Mitte einer zweispurigen Strasse, auf der die Kassenhäuschen standen. Da es nahebei einen kleinen Imbiss gab, entschieden wir erst einmal zu frühstücken. Leider war die Auswahl nicht besonders gross. Wir nährten uns also von unseren Bananen- und Mandarinenresten und erstanden eine Art runden Zwieback, der federleicht und gar nicht mal so unlecker war. Wir bekamen auch unsere Wasserflaschen gefüllt und genossen den Luxus einer wahren Toilette. Vor der Toilette gab es ein Waschbecken und ich nutzte die Möglichkeit, um zumindest meine außerhalb der Kleidung befindlichen Körperteile in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. Augustas interessierte sich für so unbequeme Waschbedingungen wie immer wenig, er wusch sich Hände und Gesicht und fertig.

Gefrühstückt und ansatzweise gereinigt gingen wir schließlich zum Ende der Peaje und warteten auf eine Mitfahrgelegenheit. Aus für mich unerklärlichen Gründen wurde ich plötzlich nervös, weil niemand für uns anhielt. Mein Gefühl sagte mir, ich müsste mit den Fahrern persönlich reden und das war nur direkt am Kassenhäuschen möglich, denn dort mussten sie wohl oder übel anhalten. Ich stürmte also zum Kassenhäuschen und begann, ungewöhnlich aufgeregt, die Fahrer um einen Lift zu bitten. Doch diese ignorierten mich entweder oder hatten wirklich keinen Platz in ihrem Wagen. Meine Anwesenheit so nah am Kassenhäuschen machte die Kassiererin unsicher, obwohl mich ihre Gelder nun wahrlich nicht interessierten. Da kam auch noch der diensthabende Polizist, der zur Sicherheit an der Peaje eingesetzt wird, auf mich zu und bat mich energisch, meine Position zu verlassen. Ärgerlich musste ich akzeptieren und stand, noch immer nervös, wieder neben Augustas. Es kostete mich einige Atemzüge bis ich mich wieder beruhigt hatte. Als ich so weit war, kamen auch irgendwie keine Fahrzeuge mehr angerollt. Hatte das vielleicht etwas mit meinem Gefühl und meiner überstürzten Reaktion zu tun? Und ob. Ein LKW hatte sich quer auf die Fahrbahn gelegt, nur ungefähr einen Kilometer vor der Peaje. Nun funktionierte gar nichts mehr. Außer ein oder zwei Fahrrädern sahen wir für eine Stunde gar nichts. Ich schien es geahnt zu haben.

Der Verkehr ging endlich wieder los und nach relativ kurzer Zeit hielten zwei Fischtransporter für uns an. Es handelte sich um Kollegen, die sich auf dem gleichen Weg befanden. Einer der Beiden, Armando, hatte entschieden uns mitzunehmen. Da Armando nur einen von uns mitnehmen konnte, stieg ich in den Wagen seines Kollegen ein. Der war reichlich verwundert, verstand aber, das Armando uns mitnehmen wollte und ließ mich einsteigen. Wir fuhren anfangs hinter Armando her, doch mein Fahrer mochte es gern ein bischen schneller. Wir überholten Armando und Augustas also und fuhren weit voraus bis zu einem Restaurant. Unterwegs wurden wir von einer Verkehrskontrolle angehalten, da es offiziell nicht erlaubt ist, einen Fahrgast in einem Geschäftsfahrzeug zu transportieren. Es könnte ja sein man verdient sich damit ein Extrabrot. So jedenfalls kam es mir vor. In dem Restaurant bestellte sich mein Fahrer neben einer fleischigen Suppe einen Teller mit einem Steak, Reis, Kochbananen, Ei und ein wenig Salat. Wo er das wohl hinessen will, fragte ich mich. Mein Fahrer war nämlich einen Kopf kleiner als ich und ein absolut dürres Hemd. Aber das dies für ihn normale Portionen sind bewiess er später gekonnt mit aufessen. Ich hatte auch Hunger, aber kein Geld. Und so wartete ich auf Augustas. Wer weiss ob wir dann noch Zeit hatten, etwas Nahrhaftes in uns hineinzuschlingen. Eine halbe Stunde später tauchten die Beiden endlich auf. Augustas wunderte sich regelrecht, dass ich nichts zu Essen bestellt hatte und da auch ihm der Magen knurrte, liessen wir uns ein Reis-Kochbananen-Ei-Salat-Gericht kommen. Man, war das vorzüglich. Armando bestellte sich eine Fleischsuppe. Er war in Eile, denn sein Reifen hatte einen Platten und musste ausgewechselt werden. Auch mein Fahrer wollte bald wieder los, solange er aber noch aß, nutzte ich die Gelegenheit soviel wie möglich in mich hineinzustopfen. Alles würde ich sowieso nicht schaffen. Ich war mal wieder die Letzte beim Essen und noch während ich mir die Bissen in den Mund schob, bat Armando um die Rechnung – für alle. Oh, dachte ich, und freute mich schon ein wenig über die Einladung. Doch innerhalb von Sekunden meinte mein Fahrer, “Ich bezahle auf eigene Rechnung”. Da ich sah, dass Armando nicht gerade wohlhabend war, stieß ich die gleiche Bemerkung aus. Augustas sagte nichts, ich wusste aber genau was er dachte: Warum nicht die Einladung annehmen? Augustas hatte aber im Gegensatz zu mir nicht gehört, dass mein Fahrer sein Essen getrennt bezahlen wollte. Und so stimmte er mir im Nachhinein zu, dass es wohl in Ordnung war.

Vollgestopft ging die Fahrt weiter. Ich mit meinem Fischauto mal wieder vorne dran. Ich wurde dann irgendwann an einem Platz herausgelassen. “Warte hier, Armando weiss das du hier bist.” Nun gut, dann warte ich eben. Ich war heilfroh endlich im Schatten vor mich hinstehen zu können und mich nicht mehr in dem sowieso schwül-heissem Wetter in einen Autositz lehnen zu müssen. Ich las ein wenig, bis die Toilette nach mir rief. Ich wurde freundlicherweise direkt in die Apotheke hineingelassen, vor der ich gestanden hatte. Zuvor hatte man mir bereits einen Stuhl angeboten, den ich dankend ablehnte, weil ich zu gern meinen nassgeschwitzten Hosenboden trocknen wollte. Nachdem ich von der Toilette kam verwickelte ich mich selbst in ein kleines Gespräch mit der Apothekendame. Keine zwei Minuten später schaute ich aus der Tür heraus und sah den Fischtransporter mit Augustas an dem Platz vorbeiziehen. Ich rannte hinaus, winkte wie verrückt, doch das Auto fuhr weiter. Jetzt lief ich bereits im Dauerlauf hinter den Beiden her und hoffte, dass sie so klug sind, einmal in den Rück- bzw. Seitenspiegel zu schauen. Keine Reaktion. Das Auto fuhr weiter geradeaus. Da ergriff mich ein wenig die Panik, denn zuvor hatten wir gehört, dass Armando zu einem Lieferpunkt muss, der weiter entfernt als der meines Fahrers liegt. Würden sie glauben ich sei viel weiter vorne? Ich überquerte rennend die Strasse und hechtete weiter hinter Armando und Augustas her. Kurz vor der Peaje entdeckte Augustas endlich, dass ich hinter ihnen her war. Das Auto hielt an, Augustas stieg aus und machte eine “keine Sorge, wir haben dich gesehen”-Handbewegung. Keuchend stand ich nun neben ihnen. Armando und Augustas schienen sich wunderbar zu verstehen. “Armando hat uns zu sich nach Bucaramanga eingeladen. Wenn wir auf dem Weg nach Bogota sind, können wir dort vorbeischauen.” Das waren erfreuliche Nachrichten, die mich meine Erschöpfung kurzzeitig vergessen ließen.

Wir verabschiedeten uns auf bald und liefen auf die andere Seite der Peaje. Dort positionierte sich Augustas, aus gutem Grund, direkt in der Sonne. Ich konnte ja vieles ertragen, aber nach diesem Sprint in der Sonne brutzeln war einfach zu viel. Ich verkrümmelte mich also in
den Schatten. Da ich nicht so völlig nutzlos herumstehen wollte sprach ich den Polizisten in der Peaje an und erkundigte mich nach verschiedenen Busunternehmen und deren Preisen. Genau konnte er mir da keine Auskunft geben, aber zumindest wusste er welche Busse an der Peaje anhalten würden und welche nicht. Das wir mit dem Gedanken spielten den Bus zu nehmen war aus purer Ungeduld geboren. Auch die Tatsache, dass wir spätestens am heutigen Tage in Cartagena eintreffen wollten, machte uns den Gedanken an einen Bus direkt bis dorthin schmackhaft. Ich bat den Polizisten, den von ihm vorgeschlagenen Bus bei Auftauchen anzuhalten, damit wir uns nach dem Preis erkundigen konnten. Es war mal wieder Warten angesagt und die Getränkeverkäufer, die sich um die Peaje scherrten, hatten Mitleid mit uns. Sie gaben uns ständig neues, kaltes Wasser, ohne dafür auch nur einen Cent zu wollen. Wir hatten viel Spass mit der Truppe, die sich unter anderem zum Schutz vor der Sonne sehr lustig verkleidete. So zum Beispiel T-Shirt auf den Kopf gestülpt und Basekap open drauf. Sie witzelten untereinander auch viel herum, was uns die Zeit des Wartens verkürzte. Ein Bus wurde angehalten. Wir fragten nach dem Preis, an den ich mich jetzt nicht mehr erinnere. Für uns stand außer Frage, nach so viel Hick-Hack auf unserer Reise von Merida, Venezuela, bis zu dieser Peaje in Kolumbien, obendrauf auch noch so einen Preis zu zahlen. Der Bus zog von dannen und wir fühlten uns plötzlich wieder wohl. Wir sind eben zum Trampen geboren und nicht zum Bus fahren.

Kurze Zeit später, ohne groß unseren Daumen senkrecht in Signalstellung zu halten, hielt endlich ein luxuriöser Pick-Up an. Außen wie Innen war dieses Modell vom Allerfeinsten, mit jeglichem Mobilar und Technik, die sich ein futuristischer Zukunftsautomobilfahrer nur erträumen kann. Wir kriegten die Augen vor lauter Staunen gar nicht mehr in die richtige Größe. Mein Gott, was für ein Prachtstück. Und wir sassen genau da drin. Unglaublich. Wir genossen die Fahrt auf dem Rücksitz des ‘Luxusbootes’ und wurden zudem mit Erfrischungsgetränken unterhalten. Unser Fahrer erklärte, dass er in der Viehzucht tätig sei. Uns kam das ein wenig merkwürdig vor, bei dem Gerät, mit dem er seinen Hintern durch die Gegend kutschierte. Sein Freund auf dem Beifahrersitz kannte die Gegend entlang der gesamten Strecke wie seine Westentasche. “Hier, dass war ein absolutes Guerillagebiet…dort spazieren reichlich Guerillas umher…das Gebiet hier ist sehr nass, weil…hier ist die Viehzucht zu Grunde gegangen wegen…” usw. Jedesmal, wenn wir an einen Militärkontrollpunkt kamen, warnte der Beifahrer unseren Fahrer. Uns kam das alles eigenartig vor, aber egal was sie letztendlich waren, wir fühlten uns wohl in ihrer Obhut. An einem der Militärstützpunkte wurden wir angehalten. “Wohin sind sie unterwegs?” Der Fahrer antwortete, “Wir machen einen Ausflug nach Santa Marta.” Dann forderten die Soldaten ihn auf seine Waffe vorzuzeigen. Waffe? Bis dato wussten wir davon nichts. Er zog einen silbernen, Cowboy-Revolver hervor, präsentierte seine Dokumente dazu und wurde gefragt, ob vor Kurzem ein Schuss abgefeuert wurde. “Schon seit langem nicht mehr.” Das verstand ich jedenfalls. Der Soldat, der den Fahrer aufforderte die Munition zu entnehmen, begutachtete die Pistole mit Kennerblick. Er glaubte unserem Fahrer wohl nicht so recht und wies ihn darauf hin, dass er seine Pistole bitte reinigen sollte. Das Gespräch verebbte irgendwann und dem Fahrer wurde der Revolver wieder zurückgegeben. Mh, wozu braucht ein Viehzüchter wohl einen silbernen Revolver mit Rollmagazin? Auf diese und die Frage, wie ein Viehzüchter es zu einem derartigen Auto schafft, werden wir wohl nie eine Antwort bekommen.

Auch diesen Leuten trugen wir unsere Sorge über den Verbleib unserer selbst während der Nacht vor. Es war mittlerweile stockdunkel. An der Kreuzung, wo sich die Strasse in zwei teilt und man entweder rechts nach Santa Marta oder links nach Cartagena abbiegen kann, hielten wir kurz für eine Besichtigung an. Uns war gleich klar, hier würden wir kein Auge zubekommen. An einer fast verlassenen Tankstelle umgeben von dschungelartigem Baumbewuchs, da gehörten wir um diese Tageszeit einfach nicht hin. Wir legten unseren Standpunkt dar und unser Fahrer war so nett, uns bis nach Cienaga zu fahren. Da er nun wirklich umkehren und in seine Richtung brausen wollte, hielt er – ohne uns vorzuwarnen – an einem Taxistand an und bezahlte uns eine Fahrt bis direkt zur Peaje nach Cienaga. Wir bedankten uns vielmals und kamen unversehrt zu einer Peaje, hinter der, keine 50 Meter entfernt, eine Polizeiwache existierte. Besser konnte es nicht klappen. Wir baten um Obdach, was uns problemlos gewährt wurde. Statt uns zu verstecken und auf dem Gras zu zelten, nahmen wir uns der Warnungen unserer Gönner vor Kobras und anderen giftigen Schlangen an und stellten das Zelt auf Betonboden, gut sichtbar, ab. Was solls, ist ja nur für eine Nacht. Wir kochten noch unser Abendessen und verschwanden dann zügig im Bett.

Am Morgen konnten wir gar nicht so schnell schauen, wie ein Auto bereits für uns anhielt. Wir hatten noch nicht einmal die Hand richtig gehoben, da ging bereits die Tür für uns auf. Die Fahrt führte direkt zur nächsten Peaje kurz vor Baranquilla. Wir hätten auch nach Baranquilla hineinfahren können, doch wir bevorzugten die Peaje einer eventuell zu stark befahrenen Kreuzung. Mehrere Male hielten Autos an, die alle bis Baranquilla unterwegs waren. Jeder schlug die Kreuzung vor, doch wir lehnten lieber ab. Irgendwann kamen wir ins Grübeln und entschieden, dass wir es wohl mal versuchen sollten. Der nächste Fahrer der anhielt schlug uns auch die Kreuzung vor. Wir akzeptierten. Wer weiss, ob wir sonst jemals von der Peaje wegkommen würden. Wir hatten wohl das Glückslos gezogen, denn ohne es zu ahnen, brachte uns genau dieser Fahrer direkt bis zu einem Taxistand, wies den Fahrer an uns an unserem Wunschort in Cartagena herauszulassen und bezahlte die gesamte Fahrt. Unser Kinnladen klappten geräuschvoll herunter. “Jaaahhaaaaa…vielen Dank, wirklich sehr liebenswürdig von Ihnen…”, stotterten wir vor Erstaunen zusammen. Jetzt mussten wir nur noch auf den Startschuss des Taxifahrers warten. Der bat uns jedoch, noch auf jemanden wartend, erst einmal auf den Stühlen Platz zu nehmen. Was auch immer, wir taten was er wollte und versuchten uns zu gedulden. Endlich ging es los. Wir fuhren noch einen kleinen Umweg, da irgendwer für den Fahrer noch ein Päkchen hatte und dann ging es immer geradeaus, direkt zum Plaza Bolivar in Cartagena. Glückspilze, wir!

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