Stolpersteine und Oasen (Januar, 29)

Februar 9, 2006  
Themen: Mexiko

Um Merida zeitig zu verlassen und Carlos morgens noch Tschüß zu sagen, erforderte ein unsanftes, ruckartiges Erwachen. Statt langsam der Hängematte zu entgleiten, nachdem man sich wach geschaukelt und ausgiebig geräkelt hat, hieß es an diesem Morgen kurz nach dem Augenaufschlag die Hose zu orten und in einem unbeobachteten Moment diese über meine Beine zu ziehen. Das Problem war nämlich, dass ich genau im Blickfeld von Carlos lag und nicht gern in Slip vor ihm gestanden hätte. Ich sprang also regelrecht aus der Hängematte und versuchte meinen Körper irgendwie aufrecht zu halten. Nach einigen Minuten einpendeln klappte das auch, allerdings wollten meine Augen und mein Gehirn noch nicht wirklich aktiv werden.

Dieser unsanfte Start in den Tag verfolgte mich dann auf Schritt und Tritt. Erst sorgte ich dafür, dass wir zu früh aus dem Bus ausstiegen, weil ich Triefnase vor mich hinträumte, und wir deswegen bestimmt 20 Minuten mit unseren gewichtigen Rucksäcken bis zu unserem Ziel laufen mussten. Dann schlug Augustas vor, zum “Periferico” zu laufen, was so etwas wie der Autobahnring rund um Merida ist, da von dort aus die Chance auf ein Auto in unsere Richtung zunehmen würde. Bei meiner Müdigkeit war ich aber nicht gewillt soweit zu laufen. Als dann jemand anhielt, der zwar nach Uman wollte, aber definitiv bis zum Periferico fuhr, ließ ich ihn ohne uns weiterziehen. Ich kam in meinem Zustand einfach nicht auf die Idee, dass uns dieser Herr zumindest zum Periferico mitnehmen könnte. Das war dann also das zweite Minus des Tages.

Dann aber bekamen wir einen Lift zum Periferico von zwei Mädels und kurz darauf wurden wir zum ersten Mal von einem LKW-Fahrer mitgenommen. Wir kamen dann gegen 2 Uhr nachmittags 50km weiter in Hoctśn an, wo uns ca. 30 Minuten später Marcelino aufgabelte und direkt zum “Convento” in Izamal (20km) brachte. Da er 1 Stunde später schon wieder Richtung Merida wollte, baten wir ihn uns wieder einzusammeln. Wir stiegen also frohen Mutes aus und Marcelino schlug uns vor, unsere schweren Rucksäcke im Wagen zu lassen. Ich fand das alles ganz toll, doch Augustas stimmte der Idee nur zaghaft zu. Trotzdem liessen wir die Rucksäcke im Wagen. Zu erwähnen wäre, dass dieses Auto eine Art Transporter war, bestehend aus 2,5 Sitzen im “Cockpit” und einer Art Stall ohne Dach hinten drauf. Der “Stall” trug kein Schloss, doch war es meiner Ansicht nach in Ordnung das Gepäck dort zu lassen. Marcelino ging dann quer hinüber zum Marktplatz, wo einer seiner Arbeiter an einem riesigen Erdbohrer stand (damit werden Strassen aufgerissen). Der Reifen war kaputt gegangen, weswegen Marcelino nach Izamal kam. Er brachte einen Neuen. Wir gingen dann noch einmal fix zu ihm hinüber um abzustimmen, wann wir uns wieder am Auto treffen. Er meinte: “In einer Stunde. Es kann sein, dass ich mal kurz wegfahre, ich komme dann aber wieder hierher um euch einzusammeln.” Gut, dachte ich, doch einige 10 Meter weiter übermannte mich dann ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Ich vertraute Marcelino zwar, aber Augustas Äußerungen gaben mir zu verstehen, dass wir gerade unser ganzes Hab und Gut auf einem unverschlossenem Wagen mit einer Person zurückließen, die wir ja eigentlich überhaupt nicht kannten. Ich überzeugte mich dann aber davon, dass ich an das Gute glaube und schon alles gut gehen würde. Klar hätten wir die Rucksäcke noch fix holen können, doch wie hätte das ausgesehen? Mh.

Wir gingen also zum Convento hoch, was eine Art Kathedrale ist. Das Gebäude erinnert drinnen an eine große Kirche und draussen ist es von hohen, schön verzierten Mauern umgeben. Das ganze hat einen wunderschönen gelb-weißen Anstrich und leuchtet nur so, wenn man in den Himmel schaut. Als wir in den Convento eintraten, sprach uns plötzlich ein Herr an. Er war ca. 1m gross, hatte leichte Desformationen am Rücken und eine etwas gespaltene Lippe. Er wirkte dennoch sehr sympatisch und fragte uns, woher wir kommen. “Aus Deutschland und Litauen”, sagten wir, woraufhin er meine rechte Hand nahm, und vom kleinen Finger anfing zu zählen: “Guten Morgen, Guten Tag, Guten Nacht.” Ich lächelte und daraufhin fing er an uns lauter Sachen über die Figuren und die Ausstattung der Kirche zu erzählen, zum Beispiel, dass die Goldverzierungen unecht wären. Beim Erklären der Figuren nahm er plötzlich meine rechte Hand, legte sie an seine linke Brust und zeigte erst dann mit seiner rechten Hand auf – ich glaube – die Jesus Christus Figur. Dann fing er uns an herumzuführen, da wir aber den leisen Verdacht hatten, dass er dies nicht für umsonst machen wird, entschuldigten wir uns mit der Wahrheit, dass wir keine Zeit für eine Führung hätten. Als wir auf den Ausgang zusteuerten, stellte sich unser Begleiter als Museumsführer vor, im Falle wir würden ihn noch einmal benötigen. Er meitne auch, der Service des Herumführens wäre kostenlos, worauf ich mir die Frage nicht verkneifen konnte “Sie werden also von der Stadt für ihre Arbeit hier bezahlt?” Seine Antwort darauf ließ mich sehr skeptisch werden: “Nein, gar nichts, nicht einen Pfennig…” Dabei lehnte er an einer der Convento Mauern und legte plötzlich ein sehr trauriges Gesicht auf. Wovon lebte also dieser Herr, hatter er doch eine goldene Armbahnduhr, einige goldene Kettchen um Hals und Handgelenk und ein Mobiltelefon, mh? Ich verließ grübelnd den Convento. Später erfuhr ich dann, dass die Führer im Convento sehr wohl von der Stadt für ihre Dienste bezahlt werden.

Wir gingen dann noch zu der Pyramide Kinich Kak Moo. Nach einem reichlich unerschwerlichem Aufstieg gönnten wir uns eine Apfelsine und genossen den Blick auf die Stadt sowie auf den Convento. Danach gings zurück zum Convento wo wir Marcelino nicht! vorfanden und uns daraufhin erstmal in den Schatten setzten. Die 1 vereinbarte Stunde war bereits vorbei und es sollten noch 20 Minuten etwas banger werdenden Wartens vergehen, bis wir endlich Marcelinos Auto erspähten. Ich war wirklich erleichtert, dass ich uns durch meine schnelle – aber gefühlsmäßig letztlich richtige – Entscheidung nicht um unser ganzes Hab und Gut gebracht habe. Wir fuhren dann wieder nach Merida, was wir zwar nicht vorhatten, aber deswegen annahmen, da Mareclino später nach Acancéh wollte, was auf dem Weg nach Mama lag, unser Ziel für den kommenden Tag.

In Merida angekommen, schauten wir im privaten Kindergarten von Marcelinos Frau vorbei. Danach ging es zu ihm nach Hause, wobei uns fast der Atem stockte. Marcelino hat – und tut es noch – in seinem Leben hart gearbeitet und das Resultat verriet eindeutig sein Haus, das Ambiente und seine Kinder. Wir lernten mehr über die Familie, besuchten die Schildkröten und Fische im Garten, die nur wegen der Weihnachtsdekorationen im kaminähnlichen Springbrunnen nach draußen verlagert wurden und tranken Coca Cola – das Nationalerfrischungsgetränk in Mexiko.
Das wir überall vorgestellt und uns soviel gezeigt wurde(n) hat den Grund, dass wir immer erklären, dass wir die Menschen hier, das alltägliche Leben, das Essen usw. kennenlernen möchten. Dafür sind wir hier und da Marcelino das auch so verstanden hatte, ging es danach gleich noch zu seiner Firma “Apasco”, die Baumaterialien und Baudienste anbietet. Dem war aber noch kein Ende gesetzt, denn als wir in Acancéh ankamen, stellte er uns gleich noch im dort ansässigem Krankenhaus zwei seiner Mitarbeiter vor. Einer von ihnen war taub. Da er nie die Zeichensprache gelernt hatte, verständigte er sich mit Lauten. Marcelino arbeitet schon lange mit ihm zusammen und weiss seinen Arbeitseifer und -qualität sehr zu schätzen. Die Fließenarbeit, die er uns zeigte, bestätigte seine Aussagen umsomehr. Interessant war noch, dass dieser taube Herr und sein Kollege von den Ureinwohnern des Landes abstammt und beide eine einheitliche Arbeitskleidung sowie alles was auf dem Bau zum Arbeitsschutz normalerweise angezogen wird ablehnen. Marcelino akzeptiert das, was zwar riskant ist, aber wenn seine Mitarbeiter auch in Plastiksandalen (ähnlich Badelatschen) und alten gekürzten Hosen und Shirts ihre Leistung bringen, warum sollte er dann etwas ändern? Jedem wie es gefällt.

Zum Abschluß dieses Tages brachte Marcelino uns auf unseren Wunsch hin zu einem Restaurant, was keine fünf Meter von der Straße entfernt lag, die nach Mama führt. Dort konnten wir nach Rücksprache mit den Besitzern problemlos unser Zelt aufstellen. Das Restaurant war eine Plattform mit einem riesigen, strohgedecktem Dach. Es gab auch Zugang zur Männertoilette, was den Wert unseres Aufenthalts dort um weitere Punkte steigerte. Leider gab es irgendwann kein Wasser mehr, da – wie wir morgens herausfanden – der Hauptwasserhahn abgedreht wurde. Noch ein Plus gab es an diesem Ort: einen Wachmann! Wir schliefen also ruhig und seelig ein 😉

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