In der Sackgasse (September 20-22)

Dezember 7, 2006  
Themen: Guatemala

Wir verliessen Coban und machten uns nach Guatemala Stadt auf, in der wir uns zur Auslaenderbehoerde begeben wollten, um endlich unsere Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Es waren schon mehr als drei Wochen ins Land gezogen und wir befanden uns immer noch illegal in Guatemala.

Wir wurden zuerst bis Sanarate mitgenommen, setzten dann unseren Weg aber Richtung Jalapa fort. Wir hatten vereinbart, erst Freitag in Guatemala City anzukommen. Jetzt war Mittwoch, so dass wir vorhatten uns den ersten Tag zur Laguna del Hoyo in der Naehe von Monjas aufzumachen und den zweiten Tag an einer Lagune in der Naehe von Ayarza zu verbringen. Nach unseren Berechnungen sollte das eine schoene, unberuehrte Strecke und problemlos in zwei Tagen zu bewaeltigen sein. Wir hatten uns geirrt.

An der Kreuzung Sanarate ausgestiegen, liefen wir Richtung Jalapa die Strasse entlang, da wir eine weitere Abzweigung erahnten. Zu Beginn des Weges gesellte sich ein junger Mann zu uns. Er began Fragen zu stellen, aber ich befand mich einfach nicht in der Stimmung mit Fremden ein ordentliches Gespraech zu fuehren. Warum weiss der Himmel. Vielleicht war es ja der Hunger und so machten wir halt und bereiteten unser Essen zu.

Waehrend des Zurechtschneidens des Gemueses kam ein ca. 11jaehriger Junge auf einem Fahrrad angeradelt. Er hatte einen grossen Beutel mit alten Plastikflaschen auf dem Gepaecktraeger. Er sah sehr arm aus und als er uns sah hielt er an. Ich versuchte ein Gespraech aufzubauen, der Junge sagte aber nicht viel. Nur, dass seine Eltern in den USA seien, ihn in Mexiko zurueckgelassen haetten und er fuer seinen Lebensunterhalt selbst sorgen musste. Diese Auskunft gleich zu Beginn des Gespraeches war eigenartig. Augustas hatte genug von Gespraechen mit Unbekannten. Er sagte deshalb nichts und ueberliess die Situation ihrem eigenen Schicksal. Ich empfand Mitleid mit dem Jungen. Vielleicht hatte er ja Hunger? Jedesmal wenn ich von unserem Essen aufschaute, was bald fertig zubereitet war, schaute er blitzschnell weg. Dann fuhr er ploetzlich weg, drehte eine Runde und kam wieder. Er starrte uns mit grossen Augen an, begegnete unserem Widerblick aber mit wegschauen. Was tun? Auch ich hielt mich zurueck und wartete was passierte. Irgendwann verschwand der Junge. Wir fuehlten uns komisch, als haetten wir unsere Hilfe verweigert. Wir waren muede der staendigen Kontakte, die aus der Meinung geboren wurden, dass wir viel Geld haetten und somit jeden, der unseren Weg kreuzte, etwas davon abgeben koennten. Das fuehrte zu unserem komischen, ja zurueckhaltenden Verhalten, einfach um nicht ausgenutzt zu werden. Auf der anderen Seite vereinbarten wir, von nun an einen Tag in der Woche zu haben, an dem wir jedem bettelnden oder hilfebeduerftigen Menschen mit etwas Kleingeld aushelfen werden.

Nach dem Essen brachte uns ein Herr netterweise bis ans Ende von Jalapa. Dort standen wir nun, attackiert von kleinen, gemeinen, stechenden Mini-Fliegen. Die Sonne prasselte auf unsere Koepfe und unsere Fuesse fingen an zu kochen. Wir liefen staendig hin und her, den Hut rechts und links von uns wedelnd, damit wir nicht komplett zerstochen werden.

Zwischendurch hielt ein Mini-Taxi an. Das Gefaehrt sieht in etwa aus wie die Art Moped mit Kabine, das in unseren Landen als Fortbewegungsmittel fuer alte Leute und Gehbehinderten oft zum Einsatz kommt. Der Herr hielt an und sprach in perfektem Englisch zu uns. Wir stotterten erst einmal was auf spanisch, da wir das nun wirklich nicht erwartet hatten.

Endlich fuhren wir weiter und kamen in Joyas del Sarzal an. Der Fahrer hinterliess uns beim Aussteigen seine Telefonnummer im Falle wir finden keine Uebernachtungsmoeglichkeit. Bei der Suche nach einer Bleibe wurde uns von zwei aelteren Damen vorgeschlagen, gleich beim Buergermeister anzuklopfen. “Der wird ihnen mit Sicherheit helfen.” Als wir vor seinem Haus standen kamen wir uns irgendwie bloed vor und stoppten lieber ein Auto. Mit dem ging es dann auf der Ladeflaeche sitzend weiter bis Morazan. Auf unsere Frage, ob er einen Platz zum uebernachten wisse, folgte seine Tat, die da eine Einladung vor sein Haus war. Vor dem Haus befand sich eine Ueberdachung und da es herzlich regnete, freuten wir uns ueber das Angebot.

Unser Gastgeber Edgar ging sich etwas zum Abendessen fangen und als wir unser Zelt gerade fertig aufgebaut hatten, kam die Nachbarin vorbei und lud uns ein, das Zelt in ihrer Garage aufzustellen. Obwohl es zwar irgendwie eigenartig war, das Angebot von Edgar gegen das der unbekannten Nachbarin zu tauschen, wir nahmen an. Edgar fand das in Ordnung und wir machten uns daran umzuziehen.

Nach dem Umzug hatten wir dann endlich Gelegenheit Edgar etwas besser kennenzulernen. Edgar ist Strassenbauingenieur und ist in fuenf Regionen Guatemalas im Einsatz. Seine Familie lebt in Palin, suedlich von Guatemala Stadt. Jede zweite Woche hat Edgar fuer vier Tage frei. Diese langen Wochenende verbringt er mit seiner Frau und den zwei Kindern mit Ausfluegen ins Gruene, zu Vulkanen, naheliegenden Staedten und im Shopping Center. In Morazan dagegen hat er viel Zeit und verbringt seine Abende ausschliesslich mit Lesen und studieren. Er interessiert sich besonders fuer kulturelle und technische Sachen. Zum Lesen setzt Edgar sich vor das Haus. Er sitzt auf einem Mini-Hocker, nur eine kurze Hose am Leib, den Bierbauch gemuetlich heraushaengend und alle Viere von sich gestreckt. In seinen Haenden breitet er genussvoll seine Lektuere aus und verstreut sie auch gern auf dem Fussboden. Es ist ein herrliches Bild.

Da wir es nicht geschafft hatten die Lagune Hoyo zu erreichen, machten wir uns am Morgen zur Lagune in der Naehe von Ayarza auf. Die Strasse dorthin war nicht leicht zu finden, doch letztlich wurden wir von unseren Fahrern am richtigen Ort abgesetzt. Viel Verkehr schien es dort nicht zu geben, so dass wir die erstbeste Moeglichkeit wahrnahmen weiterzukommen. Wir sassen auf dem Anhaenger eines Transporters, der mit Maissaecken und Huehnern vollgestopft war. Ein Herr hatte es sich dort bereits gemuetlich gemacht und so zwaengten wir uns eben auch hinein.

Die Strecke bestand aus einer schmalen Strasse, die nicht befestigt war. Schlamm, Staub und Steine waren der beste Untergrund, der sich finden liess. Es ging langsam voran, und immer weiter bergauf. Wir schlaengelten uns im Schritttempo durch die Kurven und waren froh, die Steigung nicht zu Fuss zuruecklegen zu muessen. Mittlerweile war eine weitere Person aufgesprungen. Wir kamen an verschiedenen Mini-Doerfern vorbei und hielten an einem von ihnen an. Wir dachten das waere das Ziel und stiegen aus. Als wir dann soweit fertig zum Gehen waren und die anderen Mitfahrer nicht den Anschein machten auszusteigen, wurde uns klar, dass wir das Anhalten missverstanden hatten. Egal, wir entfernten uns von dem Auto und liefen zu der Wegkreuzung, wo es hoffentlich bald weitergehen konnte.

Da standen wir, die Sonne uns einheizend, Bananen verzehrend. Keine 15 Minuten spaeter fuhr der Transporter an uns vorbei, der uns bis zu dem Dorf gebracht hatte. Wir spielten schon mit dem Gedanken umzukehren, da wirklich kein Verkehr vorhanden war. Wir wussten von einem Bus und ueberlegten mit diesem zurueck zur Hauptstrasse in Monjas zu reisen und die Schnellstrasse anzusteuern.

Nach geraumer Wartezeit wurden wir aber doch beglueckt und konnten die Fahrt in unsere Richtung fortsetzen. Die Fahrer warnten uns, dass wir von El Pinal nicht weiter kommen wuerden, da die Strasse teils ueberschwemmt sei und in einem ausserordentlich schlechtem Zustand waere. Wir koennten aber zu Fuss die 7-10km durch bergiges Gelaende laufen, da in Valencia ein Bus Richtung Ayarza warten wuerde. Wir gruebelten, aber letztlich wollten wir dort eben entlang reisen. Wir sprangen auf und los ging es. Die Fahrt war reichlich ungemuetlich, aber beim Anblick der Natur blieb wenig Raum sich zu beklagen. All diese exotischen Baeume, Planzen, verwinkelten Felder, Tiere, Menschen bei der Tomatenernte… Einfach wunderschoen. Auf dem Weg nach El Pinal sprangen noch zwei Damen auf und erklaerten uns genauer, wie wir in unsere Richtung weiterreisen koennten. “Im schlimmsten Fall”, meinten sie, “gibt es einen Bus, der taeglich einmal faehrt”. Das sollte gegen 18 Uhr sein. Gut dachten wir, wir wollen zwar trampen, wenn es aber absolut nicht weitergeht, dann nehmen wir eben den Bus.

Als wir endlich in El Pinal ankamen, verabschiedeten sich unsere Fahrer mit wenig Zuversicht fuer die Erfuellung unserer Idee und entschwanden durch einen stark stroemenden Fluss, um daraufhin eine enorme Steigung zu ihrem Grundstueck zurueckzulegen. Da fingen auch wir an zu zweifeln, die Zuversicht die Situation zu meistern ueberwog allerdings.

Wir liefen dahin, bergauf und bergab, bis wir an der zentralen Bushaltestelle ankamen. Diese bestand aus einem grossen Wendeplatz fuer Busse, einer ueberdachten Sitzmoeglichkeit und einem Plumpsklo, was keine Tuer hatte. Letzteres war mir egal, da ich mir fast in die Hosen machte. Wir erwarben ein paar Tomaten und verzehrten sie mit trocken Brot. Kein Auto weit und breit. Einmal passierte uns ein Motorrad, ansonsten nur Pferde. Was sollten wir tun? War die Strecke wirklich unbefahrbar? Konnte es sein, dass es keinen Transport zum naechsten Dorf gab und wir in einer Sackgasse gelandet waren? Es schien der Wahrheit zu entsprechen. Wir liefen zurueck, fragten hier und da und wurden mit der Aussicht stehen gelassen, dass wir uns aufmachen muessen einen Fahrer aufzutreiben, der uns wieder zurueck nach Monjas bringt.

Nach einer kurzen Verschnaufpause ging ich diesmal allein los und fragte mich durch eine Vielzahl von Familien, die bekannt dafuer waren ein Auto zu besitzen. Die zweite Familie besass gleich zwei Autos, doch gab es keine Fahrer. Andere Autos samt Fahrer befanden sich zur Zeit nicht im Dorf und der letzte, den ich fragte, forderte glatt 100 Quetzales (11 €), fuer diesen Service. Natuerlich lehnte ich ab und erklaerte bestimmt drei Mal, dass der Herr es hier nicht mit steinreichen Touristen zu tun hatte. Da erklaerte mir seine Frau, dass ein- bis zweimal pro Woche ein Lebensmittelhaendler in das Dorf kaeme. Gluecklicherweise war heute einer dieser Tage. Ich liess mir erklaeren, wann und wo ich auf den Haendler treffen koennte und ging zurueck zu Augustas. Ich war fast zurueck, da kam mir ein roter Transporter, vollgeladen mit Waren, entgegen. Das musste er sein. Er war es. Ich erklaerte unsere Situation und mit einem Laecheln sagte er uns die Rueckfahrt zu. Was fuer ein Glueck!

Bis der Haendler seine Runden fertig drehte, assen wir rohen Sellerie mit kaltem Reis und schwarzen Bohnen. Dabei wurden wir von einer handvoll Maennern beobachtet. Sie postierten sich auf einiger Entfernung auf der gegenueberliegenden Strassenseite in einer Hoehe von 3 Metern auf einem Gehweg. Jeder rauchte genuesslich seine Zigarette, die er einzeln im Laden erstanden hatte. Ein direkter Blickkontakt kam nicht zustande, wohl aber war uns klar, dass wir Gespraechsthema Nummer 1 waren. Es war uns egal, wir waren gluecklich.

Wir assen auf und gingen zum naechstgelegenem Geschaeft. Dies besass die Familie mit den zwei Autos. Wir liessen uns nieder und warteten. Kurz darauf kamen all die Herren zum Geschaeft, die uns zuvor von der anderen Strassenseite aus beobachtet hatten. Wie auch immer. Nicht viel spaeter tauchte eine religioese Gruppe auf, begleitet von Musikanten. Sie kamen freudig auf uns zu, begruessten uns, stellten viele Fragen und boten uns an, mit ihnen in einer halben Stunde nach Monjas zu fahren. Wir freuten uns auf das Angebot, als aber ploetzlich der Haendler kam und an uns vorbeifuhr, da diese Gruppe den Blick auf uns versperrt hatte, rissen wir foermlich aus. Wir rannten was das Zeug haelt und schon stoppte der rote Haendlerwagen. Puh, waren wir froh, dass er nach uns Ausschau gehalten hatte.

Der Weg nach Monjas war schnell hinter sich gebracht. Neben einem wirklich angenehmen Gespraech, sahen wir unterwegs Assgeier, die dabei waren ein Pferd zu zerstueckeln. Wir sahen das Pferd nur von hinten, einige der Geier in das Pferd hineinkriechend. Es war erschuetternd. Zudem zeigte mir der Fahrer einen Baum, der vollgestopft mit Voegeln war. Es daemmerte bereits und beim Anblick dieses riesigen Baumes und seiner vollbesetzten Krone, kam ein mystisches Gefuehl auf. Keiner konnte sich erklaeren warum urploetzlich, vor ein bis zwei Jahren, diese Vogelschar Besitz von der Baumkrone ergriffen hatte. Das Geschnatter der Voegel war unglaublich.

Jetzt hiess es sich spurten. Es war dabei zu dunkeln und wir standen irgendwo in Monjas, an einer nicht gerade gemuetlichen Ecke. Glueck war uns auch diesmal hold und ein Paar auf dem Weg nach Asuncion Mita brachte uns bis El Progresso. Sie liessen uns an einer Tankstelle heraus, was wir bereits als Rettung empfanden, da wir dort Moeglichkeiten zum Zelten finden wuerden. Doch irgendwie wollten wir noch ein Stueck weiter. Der Daumen war gerade oben, da hielt auch schon ein junger Mann. David arbeitet fuer eine deutsche Firma und hiess uns sofort willkommen. Er war auf dem Weg nach Jutiapa. Er lud uns ein Guatemala zu zeigen, sobald wir in seiner Region vorbeikommen wuerden.

Da es schon dunkel war und David uns helfen wollte, schlug er vor uns etwas ausserhalb von Jutiapa in ein geschuetztes Gebiet zu bringen. Wir verstanden nicht ganz was das wohl sein sollte, stimmten aber zu. Nur nicht in der Stadt bleiben, war unser Gedanke. Als David zur Militaerzone kurz nach Jutiapa einbog, war uns klar was er meinte.

Wir fuhren bis zur Schranke, wo David den aufsichtshabenden Offizier bat uns uebernachten zu lassen. Einige Telefonate wurden gefuehrt und schon wurden wir herzlich willkommen geheissen. Julian, der diensthabende Kommandant, wollte nur noch unsere Reisepaesse sehen. Da rutschte mir das Herz in die Hose. Wir hatten noch immer keinen Einreisestempel. Sollten wir jetzt als illegale Einwanderer auffliegen? Die Sorge versteckte ich hinter ausserordentlicher Hoeflichkeit und dem bereitwilligen Zeigen unserer Paesse. Meine Sorge war unbegruendet. Julian wollte nur unsere Namen und gab die Paesse umgehend zurueck. Mir fiel ein Stein vom Herzen.

Julian orderte seine unterstellten Kollegen an, uns einen Stellplatz fuers Zelt zu zeigen. Wir konnten unsere Wuensche aeussern und es wurde versucht sie zu erfuellen. Die Toilette konnte im Buerohaus genutzt werden, fuer Trinkwasser wurde ein Soldat quer ueber das gesamte Gelaende geschickt (rennend) und Internet konnten wir im Krisenzentrum auch nutzen. Nach einer kleinen Staerkung unterhielten wir uns eine ganze Weile mit Julian, der uns zum Schluss einlud, waehrend seines Urlaubs im Oktober bei ihm zu Hause vorbeizuschauen und gemeinsam Ausfluege zu unternehmen.

Schon 5 Uhr morgens mussten wir diesmal raus, um zu packen und spaetestens 6:30 Uhr fuer die Abfahrt bereit zu sein. Julian wollte mit uns gegen 6 Uhr fruehstuecken. Zudem hatte er uns bereits in der Nacht versprochen eine Mitfahrgelegenheit bis Guatemala Stadt zu organisieren. Am Morgen stellte sich das als Fehlschlag heraus, da der organisierte Fahrer bereits 4 Uhr morgens das Gelaende aus bestimmten Gruenden verlassen musste. Julian blieb aber hartnaeckig und schaffte es, einen Offizier fuer diese Fahrt zu organisieren. Dadurch blieb zwar das verprochene Fruehstueck in der Kantine des Militaers aus, aber bei der Aussicht problemlos bereits morgens in Guatemala Stadt anzukommen, konnten wir nur darueber laechelten.

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