Francisco – ein Mann mit Charakter

März 19, 2007  
Themen: Kuba

international bicycle competition on main street of Cienfuegos

international bicycle competition on main street of Cienfuegos

Im Zentrum Cienfuegos angekommen begann gerade eine Art “Tour de Cienfuegos”, wo professionelle Fahrradfahrer aus aller Welt den “El Prado”, die Hauptverkehrsstrasse Cienfuegos, entlangfuhren. Wir schauten dem Treiben ein wenig zu, bis ein sehr drollig aussehender, aelterer Kubaner auf sich aufmerksam machte. Er war ein etwa 75 Jahre alter Herr, vielleicht 1,50m gross, hatte lange, schlacksige Hosen an und ein Hemd mit einer Jacke, die etwas schaebig aussah und auch nicht so richtig passen wollte, darueber. Dazu trug der Kubaner einen baeischen Sonnenhut. Er folgte uns bis auf den Boulevard und spielte dabei mit seiner Brille

30.000.000 Reichsmark - a German stamp from about 1943

30.000.000 Reichsmark - a German stamp from about 1943

herum, ueber die er mit wechselndem Gesichtsausdruck auch noch eine Sonnenbrille stuelpte. Nun sprachen wir ihn an und im Nu ging eine Stunde herum. Wir lachten viel, hoerten interessante Geschichten ueber Kuba und wurden in seine Briefmarkensammlung eingeweiht. Da gab es unter anderem eine Briefmarke aus den Zeiten des Deutschen Reiches, die sage und schreibe 30.000.000 Reichsmark gekostet hatte.

Da wir etwas muede der vielen Informationen wurden, schlug uns Francisco vor bei einem nahewohnenden Freund auszuruhen. Wir klopften an dessen Tuer, doch als der Hausherr herauslugte, wussten wir bereits, dass wir hier kein Nickerchen machen wuerden. Francisco war enttaeuscht ueber die Abweisung, die uns aber verstaendlich ist, da es in Kuba nicht gern gesehen wird, wenn Touristen in Privathaeuser eintreten. Wir wollten uns verabschieden, doch da kaufte Francisco kurzerhand die gesamte Schuessel Fruechte (eine Art Zapotes) auf, die ein Nachbar zum Kauf anbot. Unsere Augenbrauen schnellten nach oben. Wir verspeisten ein paar der Leckereien und den Rest schenkte uns Francisco, obwohl er so aussah, als wuerde er die Zapotes alle auf einmal verzehren koennen.

Francisco, a must to know

Francisco, a must to know

Wir mussten noch eine Bleibe fuer die Nacht finden. Als Francisco das erfuhr lud er uns zu sich nach Hause ein. Wuerden wir damit nicht Probleme fuer ihn verursachen? Francisco winkte ab. Er wohnte ca. 5km ausserhalb von Cienfuegos, in Richtung Palmira. Das war schwierig fuer uns zu erreichen, wollten wir nicht ein paar Dollar loswerden. Was also tun? Augustas war restlos begeistert von der Idee. Ich gruebelte noch ein wenig. Letztlich entschieden wir uns, die ersten zwei Naechte in der Stadt zu uebernachten. Dies vor allem, da wir zur Marina mussten, um nach einem neuen Boat zu suchen, was uns aus Kuba wieder herausbringt. Zudem nahmen wir uns vor, in den zwei Tagen Francisco einen Besuch abzustatten.

Der Besuch war interessant. Francisco zeigte uns seine Straeucher und Blumen, einige Senker fuer den Garten, liess uns ein Kraeuterkraut fuer Bronchitis kosten, eroeffnete uns den Blick auf all seine Bananenstauden, die Mangobaeume, den kleinen schwarzen Vogel im Holzkaefig, den Hof, auf den drei kleine Buben spielten, deren Mutter gerade die Huehner fuetterte, warnte uns vor einem nicht sehr freundlichem Hund und bat uns schliesslich in sein Haus hinein. Dort sassen wir wie drei alte Bekannte in Schaukelstuehlen in der Eingangshalle des Hauses. Wir lauschten Francisco’s Redeschwall, der von der kubanischen Revolution ueber alte Schreibmaschinen bis zur Geschichte seines Hauses reichte.

invited for lunch to Francisco's home

invited for lunch to Francisco's home

Francisco wohnt mit Lisa, einer 45 Jahre jungen Frau, und deren Soehnen zusammen. Er kann sich nicht mehr erinnern wie es dazu kam, wahrscheinlich ist es aber so, weil er mit einem so grossen Haus allein nichts anfangen konnte. Lisa plante uns sofort fuer das Mittagsmahl ein. Als aufgetischt war staunten wir nicht schlecht. Was fuer eine Auswahl! Da gab es Reis mit Bohnen, Maisbrei, Tomaten, Spiegeleier, frittierte Platano, Bohnen in Sosse und Yuca (eine Art kartoffelaehnliches Wurzelgemuese) mit Oel, Salz und Pfeffer bestreut. Wir hatten lange nicht mehr so einfach, aber so lecker gegessen. Unsere Baeuche platzten fast. Augustas kostete dann auch noch leckere, frisch gemelkte Milch.

Nach dem Essen lud uns Francisco in sein Zimmer ein. Es glich dem eines aelteren Herrn, der bereits eine sehr lange Zeit dort wohnte, der alle Kleinigkeiten sammelte und sie wie Schaetze aufbewahrte. Das Zimmer war spaerlich eingerichtet, doch es fand sich in jeder Ecke etwas Interessantes zu entdecken. In seinem riesigen Kleiderschrank bewahrte Francisco eine Menge Steine, Briefmarken, alte Banknoten, Briefe und Fotos auf. Ueberall fanden sich kleine Doeschen, aus denen er seine Schaetze hervorholte. Stundenlang haetten wir in seinem Zimmer sitzen und uns Geschichten anhoeren koennen, wie er zu diesem Stein oder jenem Geldstueck gekommen war.

Da Francisco uns staendig etwas geben wollte, wussten wir endlich fuer wen wir bestimmte Dinge unnoetig lange in unseren Rucksaecken transportiert hatten. Wir brachten unsere Schaetze zu ihm, die er mit Freudesspruechen entgegennahm. Meine alte Sonnenbrille (ich hatte in Mexiko eine neue geschenkt bekommen) setzte er sofort auf. Ja, und wie das passte! Ueber meine blaue Fleecejacke strich er sanft drueber und meinte, “Das ist es was ich noetig brauche!”. Es kamen Motoroel und andere kleine Sachen hinzu, die Francisco sofort in seinem Kleiderschrank verstaute.

Wir verabschiedeten uns alsbald fuer diesen Tag, da wir eiligst zur Marina mussten. Francisco bestand darauf fuer uns einen LKW anzuhalten. Alle Muehen halfen aber nicht, da wir nun einmal keine Kubaner sind. Wir liefen also zu Fuss ein ganzes Stueck und Francisco hielt tapfer mit uns Schritt, was nicht ganz einfach war. Dann hielt er einen Pferdewagen an. Dieser wollte erst nicht stoppen, bis Francisco anfing zu toben. “Was denkt ihr eigentlich?”, herrschte er die Fahrer an. “Ihr verweigert uns einfach die Hilfe. Transport ist so schwierig hier und ihr wollt uns nicht mitnehmen, bloss weil die Beiden Auslaender sind. Ich erzaehl euch was, ihr Burschen! Die beiden sind aus Litauen und der ehemaligen DDR! Die sind unsere Freunde!!!” Wir schmunzelten. All das Gebahren Franciscos fuehrte dazu, dass der Pferdewagen uns bis zur naechsten Weiterreisemoeglichkeit brachte. Was fuer ein fantastischer Mensch, dieser Francisco! Weiter ging es bei dem Amarillo, dem Verkehrsinspektor. Als wir ankamen, standen bereits 30 Leute da und warteten auf ihre Mitfahrgelegenheit. Wir schaetzten unsere Chancen rechtzeitig zu unserem Treffen zu kommen gleich Null. Doch Francisco sah das anders. Als ein Auto anhielt, ging Francisco rotzfrech auf den Amarillo zu, zeigte auf uns und schon winkten uns beide zum Auto hinueber. Jetzt fuehlten wir uns vielleicht bloed. Die Leute stehen seit Ewigkeiten Schlange und dann kommen da zwei solche Touris und schwups werden sie ins Auto eingeladen. Wir bezahlten dem Amarillo zwei kubanische Pesos und wollten einsteigen. Nix da, wir waren einer zu viel. Da stieg Francisco wieder aus und ueberliess uns die beiden Sitze. Ohne uns gross bedanken zu koennen, fuhren wir auch schon davon. Wir konnten es nicht glauben, dieser Mensch ist ein wirkliches Wunder.

1957 in New York

1957 in New York

Wir trafen Francisco noch ein weiteres Mal. Wir brachten gegenseitig Fotos mit und sahen sie uns gemuetlich im Park an. Francisco zeigte uns stolz seine Fotobuechlein von einem Besuch New Yorks im Jahre 1956. Er praesentierte uns auch uralte Zeitschriften von Cienfuegos.

soft and tasty ice-cream

soft and tasty ice-cream

Francisco schien ein wenig nervoes so offen mit uns im Park herumzusitzen. Wir schlugen also vor, eine Brause am Imbiss zu kaufen. Ja, noch so richtig wie frueher, Brause aus dem Automaten! Dann schlenderten wir durch die Stadt, die beiden Herren schleckten hier und da ein Eis und Francisco erzaehlte uns mehr ueber seine verschiedenen Taetigkeiten im Leben. Zuerst war er Lehrer fuer Geografie und Geschichte. Da man ihn fuer ein wenig verrueckt

limonade maker

limonade maker

hielt, entschied er nicht mehr zu seiner Arbeit zurueckzukehren. Er arbeitete als Bauaufseher, Buchfuehrer, Elektriker und … an mehr kann ich mich nicht mehr erinnern. Es schien, dass er immer dann seine Arbeit wechseln musste, wenn er einen groeberen Fehler begangen hatte. Armer Francisco. Andere Menschen scheinen das Genie in ihm wohl nicht erkannt zu haben…

Der Hoehepunkt dieses Treffens war das von Francisco organisierte Mittagsmahl. Eigentlich wollten wir uns verabschieden, da lud uns Francisco zu einem Ort ein, wo man ganz billig gutes Essen bekommt. Wir waren neugierig und folgten ihm. Nach endlosem Abbiegen standen wir endlich vor dem “Restaurant”. Ueber der Tuer stand geschrieben “Fuer Sozialfaelle”. Francisco

Francisco brought us to this restaurant for

Francisco brought us to this restaurant for "social cases"

spazierte ins Restaurant hinein und erzaehlte den Koechen, dass wir zwei Vagabunde seien und deshalb hier essen wollten. Wir hatten uns Francisco beim Kennenlernen als sogenannte Vagabunden vorgestellt und das war nun das Ergebniss. Ich kriegte den Mund vor der Unglaublichkeit des Momentes kaum wieder zu. Francisco bestellte schon fleissig das Essen und wir wurden hineingerufen. Wir gaben ihm das Geld freilich wieder zurueck, aber das lehnte er kategorisch ab. Da sassen wir nun vor je einem Teller Huehnernudelsuppe, einem Teller altem Reis mit recht harten Bohnen und einem Teller gebratenem Hackfleisch. Was sollten wir als Vegetarier nun tun? Die Koeche wollten die Suppe nicht wieder zuruecknehmen, gekauft war gekauft. Selbst das wir das Geld dafuer nicht zurueckhaben wollten liess sie ihre Meinung nicht aendern. Wir schoben die Suppe zur Seite und erklaerten Francisco den Sachverhalt. Der verstand gar nicht, wie man kein Fleisch essen kann, liess sich davon aber nicht bei seinem Festschmaus stoeren. Er loeffelte fleissig weiter. Wir genossen den Reis und die Bohnen, obwohl wir da vereinzelt ein paar undefinierbare Stueckchen herauslesen mussten. Das Hackfleisch vertilgte Francisco genuesslich selbst. Wir alle waren satt und gluecklich diese Erfahrung gemacht zu haben, auch wenn sie uns zum Schmunzeln brachte.

Francisco war ein intensives, besonderes Erlebnis unseres Kubaaufenthaltes, von dem wir in unseren Erinnerungen zehren werden. Wir sahen Francisco nicht noch einmal. Dafuer hinterliessen wir ihm aber ein paar Fotos im Hause einer Freundin, die er hoffentlich bereits abgeholt hat.

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