Unerwünschte Überraschungen am letzten Tag in Quito

März 3, 2008  
Themen: Ecuador

Wir waren gerade auf dem Weg zur Region La Mariscal, wo wir ein neues und letztes vegetarisches Restaurant ausprobieren wollten.

IMG_8062

Der Eingangsbereich des Busses war unwahrscheinlich voll. Ich schlug Augustas deshalb vor, ein wenig in das Businnere hineinzurücken. Da es nur wenige Haltestellen waren, gab ich mich mit Augustas Unwillen meiner Bitte zu folgen zufrieden.

Plötzlich schoben sich drei Damen in unsere Richtung. Es schien als wollten sie aussteigen, doch taten dies eigenartiger Weise nicht. Stattdessen bewegten sie sich erneut in Richtung Businneres. Ich schaute auf unsere Rucksäcke, um abzusichern, dass dort nicht ungewollt hineingegriffen wurde. Alles schien in Ordnung. Das Gedränge nahm um weiteres zu.

Unsere Haltestelle sollte die nächste sein. Erneut drängten sich die Damen zwischen uns Beiden hindurch. Als der Bus hielt, die Türen sich oeffneten und Augustas versuchte auszusteigen, erspähte ich, wie eine der Damen, die ständig um uns herumgerückt war, halb in die Hocke ging, um Augustas an den Beinen abzutasten. Das kam mir sehr merkürdig vor. Gleichzeitig erspähte ich, dass Augustas Hosentasche aufgeschlitzt war. Mir war sofort klar was Sache ist. Da war eine Diebin am Werk. Ich schnappte mir die Dame also, griff sie mit beiden Armen und schob sie kraftvoll aus dem Bus heraus. So leicht sollte sie mir nicht davon kommen! Sie wehrte sich natürlich, doch meine empörung über den Diebstahlversuch ließ ihr keine Moeglichkeit, aus meinen Armen zu entkommen. Augustas wunderte sich, was hinter ihm los ist. Kaum trat ich aus der Bustür, die Dame vor mir festhaltend, rief ich, “Sie hat versucht dich zu bestehlen! Schau deine Hosentaschen an, die sind aufgeschlitzt!” Hastig sah Augustas nach. Er begriff was Sache war und half mir sofort die Dame (D) Dingfest zu machen.

IMG_8063

D: Was wollen Sie von mir? Fassen sie mich gefälligst nicht so an! Sie vergessen wohl in welchem Land sie sich befinden? Lassen sie mich los!
K: Ich habe genau gesehen, wie sie ihn (ich zeigte auf Augustas) abgetastet haben! Spielen Sie nicht die Unschuldige! Sie haben uns beraubt und die Hosen zerschnitten!
D: Gar nichts habe ich getan! Sie reimen sich da was zusammen. Lassen Sie mich gefälligst in Ruhe!

Ich bat die Kassiererin in der Haltestelle, die Polzei zu informieren. Bis die endlich eintraf, mußten wir die Dame vorm Entwichen abhalten. Das Wortgezeter ging weiter. Die Dame rief zwischendurch bei verschiedenen Leuten an und erwähnte wiederholt, “Me bajaron. Si, ven rapido! Estoy aqui en la estacion…” (Die haben mich aus dem Bus gedrängt. Ja, kommm schnell! Ich bin hier in der … Bushaltestelle.)

Die Diskussion ging weiter.

K: Sie haben ihm mit ihren Kumpaninnen seine neue Hose aufgeschnitten und mir US $10 (€ 6,70) aus der Tasche gestohlen. Ich habe genau gesehen wie sie grundlos hin- und hergerückt sind. Sie gaben vor aussteigen zu wollen, drängten sich bis zu uns vor und gingen dann wieder ein Stück zurück. Die Mitte des Buses war nahezu leer, es bestand also keinerlei Grund so herumzudrängeln. Sie haben uns beraubt, das ist eindeutig!
D: Die alte Hose ist doch eh nichts mehr wert.
K: Wie bitte? Alte Hose? Diese Hose ist neu und hat stolze US $55 (€ 36,70) gekostet!
D: Die sieht völlig schäbig aus.

Das dies ein bestimmter Modestil war, begriff die Dame nicht. Wir warteten noch immer auf die Polizei, während die Dame erneut telefonierte. Dann eröffnete sie uns auf einmal, “Die Hose werden wir bezahlen, die US $10 gibt es nicht.” Entrüstet platzte mir der Kragen. “Ach so ist das! Sie haben uns nicht bestohlen, wollen aber die Hose bezahlen. Wie kommt das denn? Sie haben sich soeben verraten und ihre Tat eingestanden. Ist Ihnen das klar?”

Weitere Wortgefechte folgten, bis endlich nach 20 Minuten der Wachdienst der Trolleybusgesellschaft eintraf. Sie wirkten auf den ersten Blick eher wie Freunde der Dame. Dieser Eindruck verstärkte sich noch, als ich ins Auto stieg. Dort roch es nämlich gewaltig nach Marihuana. Als wir jedoch fünf Minuten später bei der Policia Judicial (Gerichtspolizei) eintrafen, vertraute ich den Herren, nicht mit der Diebin unter einer Decke zu stecken.

Kaum traten wir auf das Polizeigelände, ertönte aus den Mündern der Polizeibeamten “otra vez” (schon wieder). Wir hatten offensichtlich einen altbekannten Fisch an die Angel gekriegt. Die Diebin sprach im Flüsterton mit einem der Beamten und ich fragte mich sofort, ob die Beiden eventuell zusammenarbeiteten. Irgendwie wirkten die Polizisten alle so locker, es war schwer zu verstehen, dass es bei unserer Diebstahlsanzeige ernsthaft zuging.

Wir gingen zu verschiedenen Büros und Verantwortlichen, bis wir endlich beim Kommissar landeten. Zwischendurch mußten wir ein scharfes Auge auf die Diebin werfen, denn einer der Polizisten schien ihr gut gesinnt. Besonders dann, als der Polizist mit der Durchsuchung ihrer Tasche fertig war. “No hay evidencia” (Es gibt keinen Beweis für die Tat), waren seine altklugen Worte. Natürlich nicht! Welcher professionelle Dieb, der in einer Gruppe arbeitet, würde wohl das Diebesgut bei sich behalten. Dumm waren wir nicht. Bevor wir schließlich dem Kommissar vorgeführt wurden, meinte der Polizist im Flüsterton zu uns, “Hört zu. Ihr könnt hier und jetzt US $65 für die Hose und das fehlende Geld erhalten und die Dame muß nicht ins Gefängnis, wo sie verprügelt wird.” “Das hätte sie sich halt vorher überlegen müssen”, konterte ich. “Das sie uns jetzt auch noch gemeinsam anbieten, lieber das Geld zu nehmen spricht doch klar und deutlich für die Schuld dieser Person.” Augustas beruhigte mich und verwies auf den Kommissar, bei dem es mehr Sinn machte, seine Worte zu vergeuden.

Die Vorsprache beim Kommissar brachte laut dem Polizisten, der scheinbar auf der Seite der Diebin stand, erneut hervor, dass es “keinen Beweis” für die Tat gebe. Ich hängte mich natürlich gleich hinein und dramatisierte die Auswirkungen dieses Diebstahls auf unser Leben. Nach langem Hin und Her wurden wir schließlich vor die Wahl gestellt. “Entweder nehmen sie das Geld an oder die Dame kommt ins Gefängnis.” Wir verstanden nicht ganz, warum wir den Schaden nicht ersetzt bekommen,wenn die Dame ins Gefaengni muß. “Wenn sie ins Gefängnis geht, kann sie sieben Tage nicht arbeiten und daher kein Geld verdienen”, erklärte der Kommissar. “Sie scheint doch aber jetzt bereits das Geld zu haben, also muß sie ja wohl über ein gewisses Einkommen verfügen.” Nun wandte sich der Kommissar in Deutsch mit einem vielsagenden Blick an mich. “Leute wie diese Dame haben keine Arbeit.” Der Kommissar schien ein vertrauensvoller, ehrlicher Mann. Ich verstand sofort, was er damit meinte. Wer auf solch profesionelle Weise lebt, der hat es gar nicht nötig, eine normale Arbeit anzutreten. Ein Blick auf die Dame genügte, um das zu bestätigen. Wer auf Stöckelschuhen, mit moderner Kleidung ausgestattet, mit Make-Up zugekleistert und einer hochwertigen Sonnenbrille auf der Nase Leute bestiehlt, der macht es aus purer Geldgier. Selbstverständlich hätte die Dame den Schaden problemlos bezahlen können, doch das Gesetz in Ecuador ließ entweder die eine (Geld) oder andere (Gefängnis) Strafe für den Beschuldigten zu. “Was wollen Sie also?”, fragte mich der Kommissar erneut auf Deutsch. “Strafe”, kam es klar aus meinem Mund. Dazu nickte er mit einem bestätigenden Gesichtausdruck. Die Dame sollte den Schaden, den sie anderen Menschen mit ihrer Tätigkeit zufügt, zu spüren bekommen. Augustas und ich waren uns einig darüber. So konnte sie zumindest für eine Woche keiner Person schaden.

Das Urteil war gesprochen und dies ohne große Papierkriege zu veranstalten. Wir fuhren anschließend gemeinsam mit zwei Polizisten und der Dame zur Vigilancia de Mariscal (Polizeikontrolle des Mariscal-Distrikts). Auf der Fahrt versuchte uns einer der Polizisten erneut zu überreden, lieber das
Geld anzunehmen. Nach dem dritten Versuch wurde Augustas ungemütlich. Kaum hatte er seinem Frust verbalen Lauf gelassen, fielen wir ins Schweigen. Das Urteil war schließlich bereits gesprochen.

In der Vigilancia ließ man uns nach Aufnahme unserer Namen allein zurück, da die Dame vor Eintritt ins Gefängnis eine ärztliche Untersuchung über sich ergehen lassen mußte. ‘Jetzt’, dachten wir, ‘haben wir verloren. Sie werden sie nun wohl laufen lassen.’ Wir gaben uns schon mal damit ab, denn Korruption ist in Ecuador nach Aussagen der Ecuadorianer das größte Problem des Landes.

Nach einer halben Stunde waren die Polizisten mit der Dame zurück. Wir hatten uns glücklicherweise getäuscht. Danach ging es zurück zum Kommissar, das Vollzugsdokument wurde unterschrieben und wir konnten endlich gehen.

Selbst die Kopien erledigten sie selbst. Zuvor hatte man uns nämlich angekündigt, dass es unsere Aufgabe wäre, die Dokumente des Vorfalls in einem Kopierladen 8-fach zu vervielfältigen. Zustände sind das…

Für die Dame hieß es nun, für eine Woche ins Gefängnis zu gehen. Wer weiß, vielleicht bedeuteten die mit Pflaster behelfsmäßig geflickten Gesichtwunden und das permanente Tragen einer Sonnenbrille, dass sie noch die Wunden des letzten Vollzugsanstaltes auskurierte.

Gegen 18 Uhr waren wir endlich wieder zu Hause. Wir hatten weder gegessen noch die Dinge erledigen können, die noch immer auf unserer Liste standen. Jedoch fanden wir kurzerhand noch eine private Schneiderin, die das größte Unheil wieder zusammenflickte. Bis auf die US $10 aus meiner Hosentasche, viel Streß und die US $1,50 (€ 1) fürs Nähen, hat uns der Diebstahl also keinen Schaden verursacht.

Kommentare