Traditionelles Leben (September 3 – 5)

November 5, 2006  
Themen: Guatemala

Weiter ging es bis Uspantan, auf einer nicht sehr befahrungsfreudigen Strasse, die entlang von vielen Schluchten fuehrt. Dort angekommen, liessen wir uns nahe eines parkaehnlichen Waldstueckes absetzen, was recht steil bergab fuehrte.

Der Versuch dort einen Platz fuer die Nacht zu finden stellte sich als schwierig heraus. Der Park bot kaum ein kleines Stueck geraden Boden. Noch dazu diente der Park fuer das Entsorgen von Exkrementen von Tier und Mensch. Wir mussten also hoellisch aufpassen, nicht hineinzutreten. Und doch passierte es uns am folgenden Tag…

Wir nisteten uns dann zwischen einigen Baeumen ein. Der Boden war uebersaet mit Baumwurzeln, aber fuer diese Nacht sollte es genuegen. Waehrend wir noch mit dem Aufbau beschaeftigt waren, kamen ein paar neugierige Kinder aus dem naechstgelegenen Haus angelaufen. Vor allem der groesste Junge interessierte sich sehr fuer die Funktionsweise unseres Zeltes. Wir stillten die Neugier der Kinder und sie liessen uns alsbald darauf wieder allein. Keine fuenf Minuten spaeter fuehrten die Kinder ihre Eltern zu unserem Zelt. Der Herr des Hauses warnte uns vor der klirrenden Kaelte der Nacht und vor dem ab 3 Uhr morgens erwarteten Laerm der gegenueberliegenden Baustelle. Wir bedankten uns fuer die Auskunft und bereiteten uns schon auf einen fruehen Start in den folgenden Tag vor.

Wir wollten gerade essen, da kam der aelteste Sohn der Familie wieder angelaufen, im Schlepptau seine drei anderen Geschwister. Sie luden uns ein, bei ihnen ins Haus einzukehren. Wir nahmen freudestrahlend an und zogen mit Hilfe der Kinder um. Im Haus angekommen wurde uns ein eigener Raum zugewiesen, wo wir es uns auf dem Boden bequem machen konnten. Ach, war es herrlich drinnen zu sein!

Endlich kamen wir zu unserem Abendmahl, waehrenddessen uns die Familie in Ruhe liess. Kaum hatten wir unser Mahl beendet, bestuermten uns die zwei Soehne der Familie. Neben vielen Fragen die es zu beantworten galt, hielten wir gleichzeitig auch ein wenig Englischunterricht. Dazu kamen Kartenspiele. Die zwei Maedchen der Familie waren schuechterner und beobachten unser Treiben im Stillen. Waehrend wir gut unterhalten wurden, sass der Vater im Nebenzimmer an einer Naehmaschine. Er schien einige Sachen zu reparieren. Zudem sahen wir Teile der typischen Trachten, die die Kinder und die Ehefrau trugen. Uns kam in den Sinn, dass die Familie ihre Kleider bzw. Trachten wohl selbst anfertigte. Zu Teilen stimmte das auch, allerdings nur wenn der Kauf unerschwinglich ist. Die Trachten sind vergleichsweise teuer, was einerseits verwunderlich ist, da sich in Uspantan fast jeder mit diesen Trachten taeglich bekleidet, andererseits aber erklaerlich ist, da die Verzierungen der Trachten per Hand aufgenaeht werden.

Das Haus der Familie stand auf dem Gipfel des Parkes. Die Eltern sowie die Kinder teilten sich einen Raum. In diesem wurde gegessen, gelernt, geschlafen, Fernsehen geschaut und die Kleidung genaeht. Im angrenzenden Raum waren wir untergebracht. Dieser mass ungefaehr die gleiche Groesse wie der Familienraum, beherbergte aber nur einige Abstellsachen, eine alte Singer-Naehmaschine, Mais, einige Ackergeraete und ein Bett. Auf jenem schlief ein Neffe der Familie, der sich fuer einige Zeit in Uspantan aufhielt. Die Kueche lag in einem anderen Gebaeude. Der Ofen und gleichzeitig Kochherd wurde mit Feuerholz betrieben. Es wurden wie ueberall Tortillas zubereitet, die zusammen mit Bohnenmus gegessen werden. Die Dusche bestand aus vier Holzpfaehlen, um die Plastikplanen gespannt waren. Mit einem Eimer wurde das eiskalte Wasser von dem davorliegenden Wasserplatz geholt und mittels einer Schuessel ueber den Koerper befoerdert. Der Boden bestand aus purem Lehm und einer kleinen verrosteten Metallplatte. Eine Toilette gab es nicht. Wir mussten also wie alle anderen unsere Beduerfnisse in der Natur verrichten. Waehrend die Kinder, und die Erwachsenen, ihre Beduerfnisse im mit Maispflanzen uebersaeten Garten verrichteten, erledigten wir uns des Ueberfluessigen abseits des Hauses im Park. Leider handelte ich mir bei dieser Gelegenheit auch gleich ein paar “Haustiere” ein, die mich mit ihren Bissen noch Wochen danach aergern sollten.

Da es uns bei der Familie sehr gefiel, der Vater aber am folgenden Tag frueh am Morgen nach Sacapulas zum Arbeiten musste und nicht vor Freitag zurueckkommen wuerde, baten wir ihn gleich am ersten Abend, ob wir noch eine weitere Nacht bleiben duerften. Freudig stimmte er zu und so vertrieben wir uns den kommenden Tag mit einem Stadtbummel. Wir schlenderten durch den Markt, erwarben einige Litschees (Fruechte), die hier mit Schale verkauft werden, labten uns an Baeckereien, liessen Augustas’ Sandalen reparieren und verbrachten viel Zeit mit der Familie.

Die Maedchen waren mittlerweile etwas zutraulicher, so dass sie auch am Kartenspiel teilnahmen. Einer der Soehne erzaehlte uns den gesamten Inhalt seines Schulbuches, was er im Vorjahr verwendet hatte. Er wusste einfach alles, wo es stand, wie etwas zusammenhing, wer wann welcher Praesident von Guatemala war, wie der Verdauungstrakt des Menschen funktioniert und welche Fauna in Guatemala vorzufinden sei. Dazu gab es fuer mich noch eine Lektion in spanischer Sprache, die laut ihm doch ganz logisch ist. Ein wirklich cleveres Kerlchen und dabei war er gerade einmal 10 Jahre alt.

Der grosse Sohn, 12 Jahre alt, ueberraschte uns mit einem ganz besonderem Auftritt. Er sprang ploetzlich in einem weissen Anzug, mit rotem, schalaehnlichem Guertel und einem rot-weissem Kopftuch aus dem Haus heraus. Die Mutter kroch neugierig hinterher und als sie unsere erstaunten Gesichter sah, fing sie an zu lachen. Der Anzug, den der Junge trug, wurde nur an einem besonderem Tag des Jahres getragen: am 15. September. Das ist naemlich der Nationalfeiertag von Guatemala. Obwohl nicht in allen Regionen, in vielen Staedten und Gemeinden Guatemalas wird dieser Tag besonders gefeiert. Dazu ziehen die Einwohner ihre ueblichen Trachten an. Die Frauen kleiden sich nicht weniger attraktiv als das ganze Jahr ueber mit ihrer traditionellen Tracht. Die Maenner, deren Kleidung sich im Alltag nicht heraushebt, wird an diesem Tag gegen die weisse Tracht getauscht.

Wir waren natuerlich neugierig, ob es zu dieser wunderbaren Tracht auch einen Tanz gibt. Dies bejahte die Familie und schon fing der Sohn an, uns diese vorzufuehren. Dann wurde Augustas eingeladen, diesen Tanz zu lernen. Als er ihn soweit beherrschte, wurde auch ich gebeten, mich dem Tanz zu fuegen, und huepfte alsbald mit eingehakten Armen und wechselnder Laufrichtung mit dem Sohn im Kreis herum. Wir haben einen riesigen Spass damit gehabt.

Am Abend sorgten die Kinder dafuer, dass die Tiere des Hauses ihren rechten Platz fanden. Dazu wurden unter anderem ein junges, staendig schlafendes Huhn und ein ununterbrochen gluckernder Truthahn eingefangen und wider ihres Willens in einen Eimer gesteckt. Darin befand sich etwas Grass, was die Kinder zuvor gesammelt hatten. Obendrauf kam der Deckel. Wir waren verwundert ueber diese Aktion, wurden aber bald aufgeklaert, dass dies zum Schutze der Vogeltiere geschah. Da es in der Nacht sehr kalt wird, koennen sich die zwei im Eimer eng zusammenkuscheln und dank des wenigen Raums eine warme Atmosphaere schaffen.

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