Plastiktüten fressende Pferde (Juni 29 – Juli 2)
August 22, 2007
Themen: Venezuela
Müde und etwas abgekämpft erreichten wir gegen 11 Uhr morgens das Imparque. Statt dort aber einen Campingplatz vorzufinden, was wir nach Zeus Erklärung erwartet haben, standen wir vor einer Art Verwaltung, in der wir nur Informationen über mögliche Nationalparks und zur Verfügung stehende Campingplätze einholen konnten. Mehr noch ging es eigentlich um die Informationen über Touren, die für Naturliebhaber angeboten wurden. Und wir? Wir wollten einfach nur einen Zeltplatz finden.
Das Imparque gab uns Informationen über den Nationalpark La Mucuy, der nicht weit von Merida entfernt lag. Wir deckten uns also mit ein paar Lebensmitteln ein und machten uns auf den Weg nach La Mucuy. Um dorthin zu gelangen, mussten wir erst einen Bus von Merida nach Tabay nehmen. Der Busfahrer war anfangs nicht gewillt, die Türen für uns zu öffnen, da wir soviel Gepäck hatten. Ich setzte aber, die Anstalten des Busfahrers höflich ignorierend, meine unschuldigen Erklärungen fort, dass doch genug Platz für uns sei. “Schauen Sie mal, wir packen das dorthin, den Rucksack nehmen wir auf den Schoß, die Rucksacktrage zwischen die Beine und fertig. Ist doch wirklich kein Problem, oder?” Der Busfahrer war sichtlich sauer, dass ich ihm so trickreich den Mund verschlossen hatte. Mir war es egal, denn nun waren wir auf dem Weg nach Tabay. In Tabay mussten wir uns eine Weile gedulden. Um nach La Mucuy zu kommen benötigt man eine Art Safari-Transporter. Zudem braucht man jemanden, der bis zum Nationalpark hochfährt, denn nicht jeder Safari-Transporter macht sich den Weg bis dorthin. Und dann benötigt man noch mindestens fünf Personen, die in die gleiche Richtung wollen, um nicht einen Aufpreis zahlen zu müssen. Das erinnerte mich an ein Überraschungsei: “Gleich drei Dinge auf einmal…”
Gegen 16 Uhr kamen wir endlich am Registrierhäuschen in La Mucuy an. Beim Aussteigen verlangte der Fahrer doch glatt, dass wir für den Transport unserer Rucksäcke einen kleinen Aufpreis zahlten. War das wieder nur, weil wir Ausländer waren? Der Ärger darüber stieg in meinen Kopf. “Auf der Preisliste im Auto steht nichts davon geschrieben, dass wir für unser Gepäck dazuzahlen müssen.” Der Fahrer entgegnete nur, “der Preis beträgt 1.700 Bolivar (0,70€) für jeden”. Trotzig ließ ich ihn sitzen und wendete mich an die Fahrgäste. “Müssen sie etwa für den Transport ihrer Güter bezahlen?” Jetzt hoffte ich eigentlich auf ein “nein”, doch im Gegensatz dazu erklärten sie mir, “ja, einmal musste ich gar … bezahlen, weil…”. Ich war bedient, doch sah ich ein, dass der Aufpreis wahrscheinlich gerechtfertigt ist. Widerwillig gab ich dem Fahrer die 3.400 Bolivar (1,40€) und versuchte mich wieder zu beruhigen.
Wir entschieden uns erst einmal, nur eine Nacht in La Mucuy zu bleiben. Doch wie bei den meisten unserer Vorhaben blieben wir viel länger. Es war aber auch einfach zu schön dort oben. Wir befanden uns mitten in den Bergen, umgeben von Nadel- und Laubbäumen, unzähligen Sträuchern, Pflanzen, Blumen, Tieren, einem stark brodelnden Wasserfall und sonst nichts. Wir waren allein auf dem Campingplatz. Keine Menschenseele außer den Forstarbeitern. Herrlich.
Nun wurden wir kreativ, da wir ja genügend Zeit für den Zeltaufbau hatten. Wir nutzten die vielen Tannen zur Befestigung einer Schnur, über die wir nach Aufstellen des Zeltes gekonnt unserer Plastikplanen darüberhängen konnten. Diese befestigten wir mit Klammern, die wir aus herumliegenden Holzstöckchen fertigten. Wir schnitten die Stöckchen in der Mitte ein und schon hatten wir zahlreiche Klammern. Damit ließen sich die Planen über unserem Zelt verewigen. Um dem Wind keine Chance zu geben, packten wir außerdem ein paar Tannenzweige und gegabelte Stöcke zum Beschweren auf das Dach. Nun waren wir sicher vor dem Regen. Juchuuu!
Die Toilette lag etwas weiter vom Zelt entfernt und wie immer war die Frauentoilette beim besten Willen nicht “besitzbar”. Wir inspizierten also die Herrentoilette und fanden dort einen sauberen Sitz vor. Um diesen auch so zu erhalten, klappte ich nach jedem Besuch den Deckel hoch. Denn so konnte die Faulheit eines Einzelnen nicht zur Katastrophe für die Verrichtung meiner Bedürfnisse werden.
Die Dusche befand sich weiter unten am Berg, im Haus des Försters. Als wir ankamen, hatte der Förster die Hand so weit ausgestreckt, dass ich annahm, die Dusche befände sich völlig woanders. Ich lief also erstmal in die völlig verkehrte Richtung, bis ich mich erinnerte, dass im Försterhäuschen eine Toilette war. Belustigt kehrte ich also in die richtige Richtung um. Die Aussentemperaturen waren angenehm, aber für eine Dusche mit eiskaltem Bergwasser waren sie unzureichend. Es kostete also enorme Überwindung, sich nicht nur nackend auszuziehen, sondern auch unter diese Überschüttung mit Eis zu bewegen. Ich versuchte die Tatsache der niedrigen Wassertemperatur zu ignorieren und überlebte somit eine nahende Erfrierung.
Es war so herrlich, sich mitten in der Natur zu befinden und die Annehmlichkeiten eines “festen Wohnsitzes” zu geniessen. Wir wussten uns sicher vor jedem Regentropfen und hatten fürs Kochen einen Ort mit Tisch, Bänken und Überdachung. Wir fühlten uns wie im Paradies und das zubereitete Essen schmeckte wie in einem 5-Sterne-Restaurant. Wie wohltuend es doch war, ein wenig Komfort zu haben…
Am folgenden Morgen tauchte eine Familie auf, die sich den Tag über in La Mucuy aufhielt. Der Vater lag meist nur, den Kopf ins Gras gesteckt, auf dem Boden und schlief. Die Kleinsten hatten ihr Spielzeugzelt aufgebaut und verkrochen sich liebend gern dort drinnen. Dort “kochten” sie auch und luden als Gäste die älteren Geschwister und die Mutter ein. Ab und an wanderten sie durch Mucuy, um die faszinierende Welt der Natur zu erforschen. Wir liebten das Schauspiel, was diese Familie uns bot. Auch deren Hund war neugierig und musste von ihnen immer wieder ermahnt werden, unser Zelt und unser Essen in Ruhe zu lassen.
Später, um den frühen Nachmittag herum, kam eine weitere Familie angereist. Diese kamen mit allen möglichen Haushalts- und Luxusgütern an, um 1-2 Tage in der Natur zu verbringen. Die erste Frage, die sie bei ihrer Ankunft an uns herantrugen war, “Wo gibt es denn hier Strom?”. Nun…hier gab es keinen, was ja auch normal ist, da wir uns mitten in der Natur befanden. Sie bauten also ihre Zelte auf, wobei ihnen viele Mißgeschicke passierten. Bei einem der Zelte riss der Gummi, mittels dem die Zeltstäbe miteinander verbunden waren. Es war beachtlich, dass sie trotzdem nach zwei Stunden Basteln das Zelt zum Stehen brachten. Dann hingen sie die Hängematte zwischen zwei Tannen, holten die Campinstühle, den Campingtisch, den Grill, Geschirr und etwaige Knabber-, Nasch- und Esswaren heraus. Und schon wurde der Grill angeworfen und dessen Rauch landete natürlich nirgendwo anders als direkt in unserem Zelt. Zelten war eine Wonne, oder? Durch den aufkommenden Regen musste die Familie ihre Grillpläne aber umändern. Sie zogen deshalb unter das Dach eines ehemaligen Restaurants, was uns äußerst zufrieden stellte.
Während der drei Tage, die wir im Nationalpark La Mucuy verbrachten, freundeten wir uns mit ein paar Pferden an. Natürlich liessen die uns nicht zu Nahe an sich herankommen, doch lebten wir entspannt nebeneinander. Die Pferde, vor allem das Weisse, waren nämlich ausgesprochen interessiert an dem im Mülleimer befindlichen Abfall. Die weisse Stute “fingerte” mit ihrem Maul im Eimer herum, biss sich mit den Zähnen in einen Abfallbeutel fest und hob ihn heraus. Dann schüttelte sie den Beutel so sehr, bis er einriss und sein gesamter Inhalt auf den Waldboden fiel. Dann schnüffelte sie in dem vor ihr liegenden Abfall herum und fraß, was ihr Geschmacksinn empfahl. Dazu gehörten leidlicherweise auch die Ab
falltüten selbst. Es müssen wohl die Gewürze von den Essensresten gewesen sein, die die Stute zum kompletten Verzehr von Mülltüten führte. Traurig eigentlich, dass es zu solchen Aktionen kommt. Wäre da nicht die Spezie Mensch, die ihren Müll in naturunverdauliche Plastiktüten steckt, würde auch kein Pferd jemals in die Versuchung geraten, pures Plaste zu verzehren.
Die Vögel, die wir in La Mucuy beobachten konnten, waren absolute Schönheiten. Uns gefiel besonders ein um die dreißig Zentimeter grosser, gelb-grüner Vogel, der lustig lachend durch die Äste zog. Auch näherte sich dieser Vogel oft unserem Kochplatz, einfach um nachzuschauen, was wir Delikates zum stiebitzen hatten.
Den ersten Tag in La Mucuy taten wir nichts außer ausruhen, schlafen und essen. Wir waren ziemlich abgekämpft nach unserer Reise von der Colonia Tovar bis nach La Mucuy. Eigentlich hatten wir uns mit Zeus an diesem ersten Tag in Merida verabredet, schafften es aber aus Erschöpfung einfach nicht bis dorthin. Später stellte sich heraus, dass Zeus gar ein Mittagessen für jenen Nachmittag für uns organisiert und dazu seine Familie eingeladen hatte. Wir fühlten uns beschämt, ihn so sitzen gelassen zu haben, aber im Nationalpark La Mucuy gab es nicht eben einmal eine Telefonzelle, von der wir das Treffen hätten absagen können.
Einen Tag verbrachten wir in Tabay, da wir unbedingt etwas zu Essen benötigten. Unsere Vorräte waren ausgegangen. Um dorthin zu gelangen, versuchten wir zu trampen, da wir bis nach Kolumbien mit unseren letzten Bolivar reichen mussten. Noch einmal wollten wir auf keinen Fall Geld umtauschen müssen. Wir liefen frühzeitig am Morgen vom Nationalpark hinunter ins Dorf von La Mucuy. Nach einer Stunde laufen bekamen wir endlich eine Mitfahrgelegenheit auf der Ladefläche eines Transporters. Und schwups waren wir in Tabay. Dort deckten wir uns mit etwas Obst und Gemüse ein und machten uns nach einem Abstecher zum Internetcafe auf den Rückweg zum Nationalpark. Der Rückweg gestaltete sich schwieriger. Wir warteten am Ende von Tabay auf einen Lift, doch viele Autos fuhren mit einem verständnislosem Ausdruck auf ihren Gesichtern an unserem hochgehaltenen Daumen vorbei. Dann endlich bekamen wir einen Fahrer, der uns zumindest bis zum ersten Dorf mit hinaufnahm. Dort steckten wir dann wieder für eine Weile fest. Wir liefen ein ganzes Stück bergauf, erkannten aber, dass wir noch eine Ewigkeit bis zum nächsten Haltpunkt brauchen würden. Wir entschieden uns also fürs Warten.
Die Wartezeit vertrieben wir uns mit dem Beobachten einer Familie, die auf der gegenüberliegenden Strassenseite wohnte. Der Vater sass vor dem Haus auf einem hölzernen Sessel, der im Schatten eines Baumes stand, und spielte mit seinem Kleinsten, das noch im Babyalter war. Er rief uns auch freundlich etwas hinüber, was wir allerdings nicht verstanden. Dann tauchten ab und zu verschiedene seiner Kinder, unter anderem seine Frau, auf, die fast alle leuchtend rote Haare hatten. Das war sehr ungewöhnlich für Venezuelaner. Alle waren ausgesprochen neugierig und schauten uns mit einem Lächeln und ohne Scheu vom Gartenzaun aus beim Warten zu. Wir winkten und sie reagierten mit einem Lachen. Wir vermuteten, dass es sich hier vielleicht um eine Mischung aus venezuelanischen Blut und der Mennoniten-Kultur handelte. Denn wo kommen sonst die roten Haare her?
Erstaunlicherweise hielt nun für uns einer dieser Safari-Transporter an und nahm uns kostenlos bis in die Nähe des Nationalparks mit. Wir stiegen dort aus, wo jedes Wochenende Hunderte von Leuten antanzen, um an den fest eingerichteten Grillplätzen ihr Sonntagsbarbeque durchzuführen. Überall dampften die Kessel, brutzelte das Fleisch und spielten alle Besucher miteinander Fussball oder andere Gesellschaftsspiele. Einige Mutige sprangen in den eiskalten, wilden Bach. Die Jugendlichen verhielten sich eher dezent cool, mit der Bierflasche in der Hand und im Versuch, sich gegenseitig zu beeindrucken. Wir trafen dort sogar unseren Berater vom Imparque wieder, der uns zum Zelten in La Mucuy geraten hatte.
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