Moderne Mennonites und illegale Grenzuebergaenge (August 12-15)

August 28, 2006  
Themen: Belize

Wir haben es also endlich geschafft. Copper Bank liegt ca. 15 Meilen hinter uns. Das klingt zwar nicht gerade weit, aber akzeptabel, nachdem wir uns erst um drei Uhr nachmittags von Copper Bank und all seinen liebgewonnenen Menschen verabschiedet haben.

Leider konnten wir uns nicht vollständig von Fernandos Familie verabschieden. Carmita hatte bis 13 Uhr auf uns gewartet, ist dann aber auf Verwandschaftsbesuch gegangen. Wir konnten also nur Fernando verabschieden, was leider viel zu schnell und foermlich ablief. Ich war so mit unserem Aufbruch beschäftigt, dass ich nicht die richtigen Worte fand. Fernando sah unendlich traurig aus, als ob die Freundschaft zwischen uns nun ein Ende hat.

Das ganze Team vom The Last Resort war auch bei unserer Abreise zugegen. Besonders meine Trage fuer den Rucksack sorgte fuer Furore. Waehrend Jonathan gluecklich sein Kunstwerk betrachtete, schwangen sich Joe und die beiden Maedels Zuki und Loraine auf die Fahrraeder und folgten uns. Joe hat gleich noch ein paar Momente bildlich festgehalten. Es war ein herzlicher Abschied, besonders Joe’s Verabschiedung hat mich sehr bewegt. Wir sind in den fuenf Monaten ohne es zu merken mit Joe richtig zusammengewachsen. Das beste waren seine letzten Worte: ‘See you soon!’ (Bis bald!)

Auch von Helen und Warren hatten wir uns einige Tage zuvor verabschiedet. Der von uns selbstgebackene Apfelkuchen als kleines Dankeschön war eine Riesenueberraschung fuer die Beiden. Gluecklicherweise war an jenem Tag Warren nicht da. Da Augustas aber dringend zum ersten und wohl zum letzten Mal eine Massage brauchte, liess uns Helen Platz nehmen und dueste mit ihrem Motorroller davon, um Warren zu holen. Waehrenddessen packten wir den Kuchen auf einen Teller und platzierten ihn direkt auf der Massageliege. Als Helen dann kurz nach ihrer Rueckkehr in den Behandlungsraum kam, gab sie lustige Verwunderungslaute von sich. Sie hat sich riesig gefreut. Es kam an diesem Tag auch noch eine Mennonitefrau zur Behandlung. Als sie den Kuchen entdeckte, meinte sie ‘Das ist ein deutscher Kuchen! Hast Du (Helen) den gebacken?’. Daraufhin kam Helen ins Behandlungszimmer, wo wir bereits Platz genommen hatten, und erklaerte, dass der Mennonitefrau bei dem Anblick des Kuchens das Wassser im Munde zusammen lief.

Nach der Massage segneten uns Helen und Warren. Genauer gesagt sprachen sie laut ein Gebet fuer uns auf englisch. Das war herzzerreißend. Danach fuellten wir auf ihren Wunsch nach eine Seite in ihrem Patientenbuch mit Dankesworten in deutscher und litauischer Sprache. Darauf bestanden Helen und Warren. Danach gab es den Kuchen. Die Mennonitefrau lag leider gerade auf dem Massagetisch, aber ein Belizianer sass draussen bei uns und erhielt auch prompt ein Stueck vom Apfelkuchen. Der Kuchen war großartig, und der Belizianer fragte verwundert, was das denn fuer eine Kreation sei. Ihm schmeckte es fantastisch, obwohl er zuvor noch nie einen deutschen Apfelkuchen probiert hatte. Helen stopfte gleich zwei Stueckchen in sich hinein. Ich war nach einem Stueck schon voll. Ach, was fuer ein Abschied!

Heute uebernachten wir in Ranchito, einem kleinen Dorf ausserhalb von Corozal. Es liegt direkt an der Strasse. Da wir keine neue Mitfahrgelegenheit von hier Richtung Blue Creek bekommen haben, haben wir in den naheliegenden Haeusern um Hilfe gebeten. Wir wurden gleich darauf eingeladen unser Zelt im Garten aufzubauen. Nach getaner Arbeit genossen wir es zum ersten Mal, uns in unserem neuen grossen Zelt breit zu machen.

Uebrigens haben wir heute beim Trampen erfahren, dass gruene Nummernschilder in Belize ein Indiz fuer Taxifahrer sind. Das hat uns sehr geholfen Autos zu filtern, da naemlich gerade auf der Strecke Corozal Richtung Orange Walk super viele Taxis unterwegs sind.

Am Morgen ging es dann etwas stockend weiter. Es dauerte eine ganze Weile bis wir endlich fuer zwei Meilen weiter mitgenommen wurden. Zuvor ueberraschte uns zwei Mal ein super heftiger Regenschauer. Gluecklicherweise stand eine alte Baracke ca. 5 Meter von uns entfernt. Mit ihren Ueberbleibseln und bekleidet mit unseren Regenjacken blieben zumindest unsere Oberkoerper trocken. Augustas Hosen waren pitschnass. Als wir kurz darauf wieder an der Strasse standen, kam ein jamaikanisch aussehender Herr vorbei. Er bot uns fuer weitere Regenfaelle Eintritt in das Haus seiner Mutter an. Dazu gab er uns je einen gekochten Maiskolben, der ein willkommener Snack war. Das Angebot zum Unterstellen mussten wir nicht mehr wahrnehmen, da wir alsbald den ersten Fahrer fanden.

War der erste Fahrer bereit uns zwei Meilen mitzunehmen, waren es beim naechsten schon vier, und beim Dritten landeten wir direkt in Orange Walk. Dort assen wir erstmal eine super saftige Papaya mit Bananen und ein wenig selbstgebackenes Brot. Dann gings auch gleich weiter bis Yo Creek, wo die schlimmste aller Mitfahrgelegenheiten des Tages schon auf uns lauerte. Ein Tortillalieferant hielt an und nahm uns in seinem vollgestopften Zweisitzer mit winziger Ladeflaeche mit. Das Auto war kompakt, das heisst die Ladeflaeche ueberdeckt. Nachdem neben den drei grossen Kuehlboxen, einem Eimer Benzin, und unseren Rucksaecken nur noch ein paar Zentimeter Platz waren, musste ich mich rueckwaerts laufend hinten hineinquetschen. Augustas konnte sich bequem auf der vierten Kuehlbox, der die Funktion des Beifahrersitzes uebernahm, breit machen. Waehrend ich auf der holprigen Fahrt durch loecheruebersaehte Sandpisten weder aufrecht sitzen, noch mich irgendwo anlehnen konnte, blieb mir nur der Klappmessersitz. Vorgebeugt, den Kopf meist zwischen den Knien baumelnd, die Rucksacktrage mit den Fuessen fixierend und einen Rucksack von der Seite schiebend war ich also mehr als unbequem verkeilt. Das Augustas waehrend dieser Fahrt sogar eingeschlafen ist zeugt davon, dass er wohl die weit bessere Wahl getroffen hatte. Beim Aussteigen in San Felipe knackten erstmal alle vorhandenen Knochen und ein paar gymnastische Uebungen waren faellig, um mich wieder geradezubiegen. San Felipe liessen wir fluchs hinter uns, denn mit zwei weiteren Autos waren wir schon in Blue Creek.

Das letztere der Autos beherbergte eine gemischte Mennonitefamilie. Der Mann war ein Mennonite wie man ihn sich vorstellt (blonde Haare, helle Haut), seine Frau war von Belize oder einem anderen zentralamerikanischem Land. Die Tochter, die immer zu uns auf die Ladeflaeche lugte, gleichte meiner Vorstellung vom Aussehen der gemischten Mennonitekinder bis aufs kleinste Haar. Das suesse Maedel war ca. zwei Jahre alt, hatte grosse, braune, mandelfoermige Augen und weiss-goldene Loeckchen. Sie sah aus wie ein Engel, unbeschreiblich schoen.

Wir baten diese Mennonitefamilie um Rat, wo wir unser Zelt fuer die Nacht aufstellen koennen. Uns wurde ein Ort genannt, der auf einem der Huegel lag. Wir mussten nur noch der Strasse folgen. Bei diesem Versuch hielt bald ein anderes Auto an und brachte uns direkt bis zum Erholungspark der Gemeinde. Als wir ankamen war der Park voller Kinder und deren Eltern. Doch das dies Kinder von Mennonites waren, konnten wir bei dem Vergleich mit den traditionellen Mennonites nicht feststellen. Diese Kinder wirkten auf uns sehr modern, eher wie wir uns Kinder in Kanada oder Amerika vorstellen. Die Kinder sprachen miteinander in englisch und nicht niederdeutsch, wie bei den traditionellen Mennonites.

Doch was ist der Unterschied zwischen den traditionellen und modernen Mennonites? Im Jahre 1958 kamen die Mennonites aus politischen Gruenden, schlechten Ernten, Kriminalitaet und zu wenig Anbauland von der Kolonie in Mexiko nach Belize. Belize lockte die Mennonites zudem mit niedrigen Landpreisen an. Auf diese Weise bildeten sich in Belize drei Mennonitekolonien heraus: Blue Creek, Shipyard und Spanish Lookout. Die Mennonites, die sich in Belize niederliessen, verwendeten entgegen der Mennonitetradition die modernsten Traktoren und Planierraupen (check!), um den Dschungel in Ackerland zu verwandeln und spaeter fuer die Bestellung ihrer Felder. 1960 erhielten diese Mennonites Anweisungen von der alten Kolonie in Mexiko, dass sie ihre modernen Maschinen wieder in Traktoren mit staehlernen Raedern umtauschen sollten. Zu diesem Zeitpunkt trennten sich also die Wege der Mennonites in die modernen und traditionellen. Einige fuegten sich den Anweisungen, andere setzten ihre Arbeit mit den modernen Maschinen fort.

Das Paar, das uns bis zum Erholungspark brachte, sprach kurz mit einem Verantwortlichen dieses Ortes und schon wurden wir eingeladen unser Zelt aufzubauen sowie die Toiletten jederzeit zu nutzen. Als wir dann irgendwann mit dem Zubereiten unseres Abendmahls fertig waren, verliessen auch die letzten Gemeindemitgliedern den Ort. Das war ein wenig schade, da wir uns gerne noch mit ihnen unterhalten haetten. Aber gut, wir waren muede und waren irgendwie auch froh ueber die Ruhe. Spaet in der Nacht nahmen wir dann noch eine kalte Dusche am Wasserhahn, der ausserhalb des Toilettengebaeudes angebracht war, und zogen uns dann in unser Zelt zurueck.

Am naechsten Morgen hiess es ausschlafen, danach Blue Creek erkunden. Das ist nicht so einfach, da die Distanzen zwischen zwei Haeusern recht gross sind. Wir spazierten los und fanden uns bald im Blue Creek Shopping Center wieder. All unsere Hoffnung auf besonders leckere Lebensmittel erfuellten sich leider nicht. In dem Laden gab es auch nicht mehr und nichts anderes als in Corozal, noch dazu waren die Lebensmittel um einiges teurer. Aber wir fanden jemanden, der uns bei der Anpassung der Rucksacktrage an meine Beduerfnisse half. Wir liessen kurzum die am oberen Ende befestigte Metallstange kuerzen. Damit ist die Trage zwar noch nicht perfekt, aber einen kleinen Schritt naeher an meiner Vorstellung.

Waehrend der Zubereitung unseres Abendbrotes gesellte sich ein Junge, vielleicht 13-14 Jahre alt, zu uns. Es war sozusagen der Nachbarsjunge vom Huegel gegenueber. Sein Englisch schien perfekt, doch erfuhren wir dass er zu Hause Niederdeutsch spricht. Zudem lernen die jungen Leute Spanisch in der Schule. Die Schulzeit betraegt 12-13 Jahre, dauert in der Regel von August bis Mai, und ist am amerikanischen Lernsystem orientiert. Da es hier zu wenig Lehrer gibt, es kommen auf 150 Schueler jeglicher Altersstufen gerade einmal 12 Lehrer, basiert die Schule vor allem auf Fernstudienbasis, das heisst die Schueler muessen sich vieles selbst erarbeiten. Nach Beendigung der Schulzeit geht es dann aufs College in Kanada. Die meisten Einwohner Blue Creeks haben eine kanadische und belizianiche Staatsangehoerigkeit, besitzen also in der Regel zwei Paesse.

Mich interessierte warum hier selbst Kinder schon mit dem Motorroller unterwegs sind. Der Junge erklaerte, dass das hier normal sei, da das Gebiet Blue Creek unter Privatbesitz der Mennoniten faellt und auf den Strassen somit deren Gesetze gelten. Es ist schon eigenartig wenn ein Maedchen von vielleicht 12 Jahren mit dem Motorrad vorm Supermarkt haellt. Oder zwei Jungen im Alter von 6 und 8 Jahren mit dem Motorroller an der Tankstelle vorfahren und volltanken lassen. Ein paar Tage spaeter erfuhren wir, dass die Kinder erst seit einem Jahr so mobil sind, zuvor gab es keine derartige Regelung.

Die Untersschiede zwischen den traditionellen und modernen Mennonites stoert hier niemanden. Jeder wird akzeptiert wie er ist, da die Unterschiede in der Lebensweise nur durch verschiedene Auspraegungen der Mennonitereligion zustande kommen. Nur die Kinder, die mit der traditionellen Mennonitereligion gross werden, scheinen ein paar Probleme mit den modernen Mennonitekindern zu haben. Dies beschraenkt sich aber ausschliesslich auf materielle Dinge, da die modernen Mennonites im Gegensatz zu den traditionellen motorgetriebene Fahruntersaetze besitzen, deren Eltern die neuesten Landwirtschaftsgeraete verwenden, sowie Fernseher, Mobiltelephone, und Internet haben duerfen – also alles das, was den traditionellen Mennonites verboten ist.

Kurz nachdem der Nachbarsjunge seiner Wege ging, kreuzte er wieder bei uns auf. Wir hatten erwaehnt, dass wir waehrend des Tages mit dem Gedanken gespielt hatten, bei der Nachbarshuegelfamilie nach dem Verkauf von Eiern zu fragen. Nun wurden wir gefragt wieviele wir wollten, und keine fuenf Minuten spaeter hielt er uns vier Eier und acht Apfelbananen (winzige, sehr suese Bananen) vor die Nase. Wir nahmen das Geschenk dankend an und verabschiedeten uns bis die Tage.

Da Blue Creek nur ein Katzensprung von Mexiko entfernt ist, wollten wir natuerlich auch mal wieder mexikanischen Boden unter uns spueren und machten uns zu La Union auf. Die Grenze besteht einzig aus einem Fluss, der in 1 Minute ueberquert ist. Die Ueberfahrt kostete 10 Pesos (0,90 cent), rueckzu das Gleiche. Es gab keine wirklichen Grenzposten. Vielleicht lag es ja daran, dass wir waehrend der Siesta, also Mittagsruhe, aufkreuzten. Auf der mexikanischen Seite angekommen, sollten wir uns registrieren lassen. Wir fanden heraus, dass die mexikanischen Grenzbeamten nur etwas Geld verdienen wollten. Sie forderten naemlich 5 Belizianische Dollar (2,20 Euro) pro Person als Registrierung. Da wir aber wissen, dass der Eintritt nichts kosten duerfte, da wir als Europaer 90 Tage problemlos im Land verweilen duerfen, wurden wir skeptisch. Augustas fing gleich an vorzurechnen, dass sich der Erwerb von Lebensmitteln auf mexikanischer Seite dann nicht mehr lohnen wuerde, da wir das Geld, was wir in Belize sparen, dem Grenzbeamten gleich auf den Tisch legen wuerden. Ich fragte weiter nach, ob das mit der Registrierungsgebuehr gesetzlich irgendwo festgeschrieben waere. Der Grenzbeamte wurde bei unserer Diskussionswilligkeit besorgt um seinen Bonus und ging mit dem Preis herunter. Am Ende bezahlten wir je 0,90 cent, um einkaufen gehen zu duerfen. Im Grunde genommen haetten wir nichts bezahlen muessen, aber wir wollten auch nicht einfach so umkehren. Letztlich hat es sich fuer uns in der Hinsicht gelohnt, dass wir nun einen Grenzuebergang gefunden hatten, an dem wir nicht die 15 Euro Ausreise aus Belize bezahlen wuerden muessen. Der Grenzbeamte meinte, dass wir getrost weiterreisen koennten, uns allerdings in Chetumal melden muessten, um unseren Einreisestempfel zu bekommen. So einfach kann es also gehen.

Wir spazierten dann ein wenig in La Union herum, kauften Haferflocken, die in Belize unverschaemt teuer sind, und gingen auch schon wieder zurueck. Am belizianischen Ufer wieder angekommen, wurden wir auch von dem Bootsmann um den Preis geprellt. Leider hatten wir ihm das Geld schon gegeben, als ein paar Frauen, die zur mexikanischen Seite uebersetzen wollten, sehr verwundert ueber die Hoehe unseres Boottransfers waren. Leider bekam ich nicht klar heraus, ob nun pro Person oder Boot die Hin- und Rueckfahrt je 0,90 cent kostet. Aber was solls, wir waren um einige Erfahrungen reicher.

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