Schätze der Wüste (Mai 21, 2008)
Juli 3, 2008
Themen: Chile
Einen Tag vor unserer Abreise aus San Pedro wollten wir es noch einmal wissen. Wir schwangen uns mehr schlecht als recht gegen 7 Uhr aus dem Zelt und begaben uns mit leeren Mägen in Richtung Salar de Atacama. Zu Fuß bewegten wir uns bis ans Ende von San Pedro, um dort Richtung Süden querfeldein, ungefähr in der Mitte zwischen der Straße nach Toconao und dem Fluß Rio San Pedro, die kürzeste Variante bis zum Salar de Atacama ausfindig zu machen. Laut unserer Karte erwartete uns höchstens ein wenig Steppengras, ansonsten sollten wir unser Ziel in circa zwei Stunden erreichen.
Wir überquerten die Ringstraße, die weitläufig um San Pedro herumführt und begaben uns in die Weiten der Atacamawüste. Rechts von uns war deutlich die Cordillera de la Sal (Salzbergkette) zu sehen, die in der aufgehenden Sonne einen herrlich warmen Ton annahm.
Das erste, was uns auf diesem Weg begrüßte, war der Kadaver eines einst schönen Pferdes. Wie auch der Hund auf dem Weg zur Valle de la Luna, war das Pferd gut konserviert. Ehrlich gesagt waren wir uns auf den ersten Blick nicht sicher, ob es sich um ein Pferd oder ein Kamel handelte. Wie jedoch sollte in diese Gegend ein Kamel kommen? Somit war die Antwort gefunden. Da das Pferd im Schatten ruhte waren einige fotografische Künste gefragt, um dieses Material für die Nachwelt festzuhalten.
Während Augustas sich intensiv mit Fototechniken auseinandersetzte, trieb es mich aus Langeweile weiter. Mir fiel von weitem eine merkwürdige Anordnung von Steinen auf, die mit Sicherheit nicht zufällig auf dieser flachen Stelle gelandet waren. Ich erinnerte mich an Nazca in Peru, was wir zwar nicht besucht, aber von dem wir viele Bilder gesehen hatten. Waren dies vielleicht auch historische Stein- und Sandgemälde, die von der Luft aus einen Sinn ergaben? So sehr ich mich reckte und meine Vorstellungskraft herausforderte, ich kam nicht hinter das Geheimnis.
Augustas zog mich ungeduldig weiter. Hinter einem kleinen Sandhügel entdeckten wir ein paar Häuser, aus denen Stimmen drangen. Bevor wir uns weiter näherten, entledigten wir uns unserer Wintermontur. Die Sonne wärmte mittlerweile unsere Rücken und die leichte, kühle Priese prallte kraftlos an unseren Jacken ab. Die perfekte Temperatur für einen Wanderausflug.
Mit dem Sandhügel verwandelte sich die Tischflache Ebene in eine 5 Meter hohe Hügellandschaft. Wir gingen also für einige Zeit, ähnlich einer Berg- und Talfahrt, auf und ab oder in einem Schlängellauf rechts und links an den Sandhaufen vorbei.
Zwischendurch entdeckten wir ebenere Landstücke, auf denen sich Ruinen von einstigen Bauernhäusern befanden. Vorsichtig stieg ich hinein in die guten Stuben, erkundete ihre Abstellkammern und verließ den Ort, wie ich ihn vorgefunden hatte. Das Begehen dieser Ruinen wurde uns insofern erleichtert, als dass die übriggebliebenen Häuserwände nicht höher als 20cm waren. Augustas pflegte einen anderen Erforscherstil, der sich teils in leichten Fußtritten gegen verbliebene Mauerreste äußerte, um deren Standfestigkeit zu prüfen. Sein Drang, immer alles anfassen zu müssen, bevor er einer Erscheinung glauben mag, äußerte sich auch hier. Ich versuchte ihn liebevoll maßzuregeln, denn mir passte diese Art von Entdeckerdrang nicht so recht.
Wir liefen schon mehr als zwei Stunden, doch nichts hatte sich an unserer Halbwüstenlandschaft geändert. Es gab immer noch Dornenbäume, vertrocknete Gräser und viel Sand. Der Salzsee war selbst von den größten Hügeln nicht auszumachen. Wir stießen allerdings auf ein verlassenes Grundstück, dessen Gebäude noch weitgehend intakt waren. Nun gut, einem Raum fehlte fast vollständig das Dach, dafür gab es aber – wenn auch ungeordnet und unter reichlich Sand vergraben – einen Tisch, Stühle, alte Weinflaschen, Töpfe und sonstiges Allerlei zu bestaunen.
Wir verbrachten ein wenig Zeit auf diesem Grundstück, ruhten uns aus, flohen vor einer strebsamen Biene, die meine gelbe Jacke im Visier hatte, betrachteten eine überdimensionale Baumwurzel und schielten anschließend auf der anderen Seite des Hauses durch ein Fenster. Mir blieb fast der Atem stehen, als ich in jenem Raum eine Hose hängen sah. Wohnte hier etwa jemand? Mein Herz pochte schneller. “Augustas, komm hierher!”, rief ich ihm zu. Nun, als wir beide
durch das winzige Fenster sahen, klärte sich die Lage ein wenig auf. Trotz der Hose, schien der Ort seit einiger Zeit sich selbst überlassen. Wir krochen um die Ecke und fanden einen Einstieg zu diesem Raum, der nicht größer als ein normales Fenster war. Wir zwängten uns beide hindurch. Innen stand eine riesige Glasflasche, die wohl in der Vergangenheit zur Aufbewahrung von Wasser gedient hatte. Ein Teekessel und ein Topf gesellte sich auf der anderen Seite hinzu. An der Decke war eine Leine befestigt, auf der die Hose hing. Wir entdeckten unzählige Flicken, die von einer langen Tragezeit zeugten. Augustas nahm die Hose und betrachtete sie von allen Seiten und hielt sie später an seinen Körper, um Gröszenvergeleiche ziehen zu können. Der ehemalige Besitzer schien kurz, doch kräftig gewesen zu sein. Ob er die Hose wohl mit Hosenträgern getragen hat? Wir gedachten der Vergangenheit und versuchten uns vorzustellen, wie und was die Menschen in diesem winzigen Kämmerchen zu tun pflegten. Dank des Teekessels hätten wir auf eine Küche schließen können, doch gleichzeitig schien es ein Stall zu sein, da überall Heu ausgelegt war. Vielleicht war es beides.
Wir schlichen noch eine Weile durch das Grundstück, bevor wir den vagen Versuch machten, den Salzsee doch noch zu finden. Es war mittlerweile reichlich spät und der Salzsee schien auch in doppelt der Zeit, die wir bereits unterwegs waren, nicht erreichbar. Wir entschieden uns daher, in Richtung Aldea de Tulor, ein Ruinendörfchen, zu wandern. Dabei trafen wir auf zwei weitere Gebäude, in die wir selbstverständlich auch unsere Nasen steckten. Auf die Häuser aufmerksam gemacht hatte uns ein Stock, auf den etwas unförmiges gestülpt war. Nach der Besichtigung der Häuser entdeckten wir, dass die Krone des Pfahls ein Topf mit Loch war. Mich erinnerte das sogleich an die Strophe, “Wenn der Topf aber nun ein Loch hat, lieber Heinrich, lieber Heinrich, …” Ein Stück Kindheit verband mich in diesem Augenblick mit der verlassenen Gegend. Es war ein wohliges Gefühl, eins, dass mir sagte, hier richtig zu sein.
Der Weg in Richtung Rio San Pedro und damit Aldea de Tulor war nicht ganz einfach. Der Boden war brüchig und wir wunderten uns ernsthaft, woher dies rührte. Waren es die Schuld der Pflanzen? Hatten ihre Wurzeln unter der Oberfläche Löcher entstehen lassen? Oder grub hier jemand heimlich Höhlen und lachte sich ins Fäustchen, wenn wir bis zur Mitte unserer Waden einsackten? Wir schlichen förmlich weiter, denn wer weiß schon, ob nicht irgendwo Treibsand unter dieser zerbrechlichen Erdschicht wartete.
Der Fluß war erreicht und damit auch eine Straße, die sicher die war, die uns bis zum Salzsee geführt hätte. Doch den Plan gaben wir an diesem Punkt auf. Da wir am nächsten Tag nach Argentinien reisen wollten, fanden wir es wenig angebracht, uns wie in der Valle de la Luna bis zur völligen Erschöpfung zu treiben. Wir schlenkerten gemächlich entlang des Flußes San Pedro zurück in Richtung San Pedro. Auf dem Rückweg faszinierten mich vor allem die kleinen Pflänzchen und ihre Kraft, durch die harte Erdkruste zu brechen. Auch hier bestätigte sich wieder: das
Leben findet seinen Weg.
Bis auf eine Ziegenherde begegnete uns nichts aufregendes. Wir erreichten die Ringautobahn um San Pedro, wo ich sofort auf einer Pause bestand. Wir nahmen beide unter einer breiten Baumkrone Platz. Augustas hatte den Ehrenplatz auf einem Ast ergattert. Da der zu sehr in der Sonne lag, stürmte ich etwas genervt auf die andere Seite, um mich dort im kühlen Schatten auf einem Stein niederzulassen.
Für einige Zeit fiel kein Ton, bis ein merkwürdiges Glucksen ertönte. Augustas hatte etwas gesehen und zückte die Kamera. “Was siehst du?”, fragte ich neugierig. “Ein Murmeltier”, kam zur Antwort und die Aufforderung, mich mucksmäuschenstill heranzuschleichen. Vorsichtig kroch ich über den Boden, während Augustas mir die Koordinaten für das Entdecken des Murmeltiers zuspielte. Erst als ich neben ihm war, kroch es endlich wieder aus seinem Bau heraus. Entzückt betrachteten wir das winzige Wesen und lauschten seinen gepfiffenen Gluckslauten. Endlich wurde uns auch klar, warum wir ständig in den Wüstenboden eingebrochen waren. Die Murmeltiere hatten fleißig an ihrem Hausbau gewerkelt und wir waren mit unseren Gehapparaten direkt in ihre Wohnzimmer geplatzt. Hoffentlich nahmen sie uns das nicht übel.
Ich zog mich wieder in meine Schattenecke zurück und ließ meinen Blick umherschweifen. Während Augustas weiterhin auf das Erdhörnchen lauerte, machte ich die Entdeckung des Jahrhunderts. Vor mir lag ein Busch und davor waren ein paar eigenartige Sandgebilde aufgebaut. Ich schaute sie mir eine Weile an und sah, dass eines der Gebilde einem Auto glich. ‘Witzig, welche Vergleiche man immer zieht…’, ging es mir durch den Kopf. Mein Blick ruhte weiterhin auf den Gebilden, bis ich ins Grübeln kam. Ich beugte mich näher und entdeckte neben einem Auto, auch einen Fernseher. Und dann einen Kamin, einen Frauenkörper und gar zwei Penise. Hatte sich hier ein Ritual vollzogen, für das diese Figuren angefertigt worden waren? Dazu würde auf jeden Fall der Ziegenkopf und die Ziegenläufe passen, die hinter mir in einer Sandgrube lagen. “Augustas, komm her! Das glaubst du mir nicht!” Er riß sich ungern von seiner Murmeltier-Beobachtung los, doch als er verstand, was da vor uns lag, wurde auch er in den Bann dieser Gebilde gezogen. Augustas hob die sandigen Stücke nacheinander auf, platzierte sie in einer anderen Formation und überließ es mir diesmal, die Fundstücke fotografisch festzuhalten.
Völlig euphorisch darüber entschieden wir die Kunst mitzunehmen. Sie waren das beste Geschenk, das wir Stephanie für ihre bedingslose Hilfe darbringen konnten. Auf dem Weg nach Hause fragte ich mich, ob das Verschleppen dieser Werke ein böses Ohmen aufwecken könnte. Die Überlegung, welche Reichweite an Dingen hier dargestellt war, ließ uns jedoch entspannen. In welchem Ritual fertigt man schon ein Auto und einen Fernseher an?
Fast zurück in San Pedro machten wir an einer Bushaltestelle halt. Als hätten unsere Mägen lautstark ihr Knurren kundgetan, kam plötzlich ein a;lterer Herr mit seinem Fahhrad auf uns zugefahren. Auf der Transportfläche vor seinem Drahtesel befand sich ein Pappkarton, der dampfende Tamales zu je 800 Pesos (€ 1) enthielt. Den Hinweis, dass die Tamales ein wenig Käse enthalten ignorierte ich, nachdem ich mir den ersten Bissen in den Mund geschoben hatte. Köstlich! Wir schwebten auf Wolke Sieben und leckten den Löffel selbst dann noch ab, als nichts mehr von unserem Tamal übrig war.
Den krönenden Abschluß unseres Ausfluges und gleichzeitig Aufenthaltes in San Pedro bildete die Übergabe unserer antiquarischen Fundstücke an Stephanie. Die lachte herzlich mit uns über diese merkwürdigen und doch einzigartigen Wüstenkunstwerke, die von nun an einen Ehrenplatz auf Stephanies Regal haben.
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