Ein verrueckter Tag und keinen Schritt weiter (Februar 8)
März 5, 2007
Themen: Kuba
Am Donnerstag wollten wir endlich weiter. Um nach Chivirico (70km westlich von Santiago de Cuba) zu kommen, in dem es eine Marina und somit Segelschiffe geben sollte, mussten wir einen LKW benutzen. Dazu hiess es sich frueh morgens an der offiziellen Haltstelle in Reih und Glied auf eine ellenlange Bank setzen. Von 8 Uhr morgens an warteten wir geduldig. Gegen 9:30 Uhr wurden alle Leute aus dem Wartesaal gescheucht, da der Saal gereinigt werden sollte. Uns wurde gesagt, dass wir die Rucksaecke im Gebaeude lassen koennen. Wir gingen hinaus. Die vorher aufgebaute Warteschlange war zerstoert, keiner wusste mehr wer vor oder wer nach einem kommt. Ploetzlich rannte eine Menschenmenge auf einen LKW zu. War das etwa unserer? Ich erspaete eine Frau, die auf unserer Bank gesessen hatte. Sie war spaeter als wir gekommen und rannte nun auf den LKW zu. Wir schnappten uns so schnell es ging unsere Rucksaecke und rannten hinterher. Als wir ankamen, war die Ladeflaeche bereits voll. Wir wollten aber trotzdem mit. Der LKW-Fahrer meinte zu uns, “Fuer 20 Pesos (0,70 Euro) koennt ihr einsteigen.”. Der normale Fahrpreis betrug nur 5 Pesos (0,15 Euro). Augustas lehnte ab. Ich hielt die Luft an. War das nicht etwas waghalsig? Daraufhin kehrte der Fahrer uns den Ruecken zu, haengte eine Kette vor den Einstieg in den LKW und weg war er. Das hatte ich geahnt.
Wir waren bedient. Was sollten wir jetzt tun? Weitere 2 Stunden warten und wieder abgewiesen werden? Natuerlich wuerden wir diesmal 20 Pesos ohne mit der Wimper zu zucken bezahlen, aber wuerde man uns ueberhaupt in den LKW hineinlassen? Das Taxi war mit 5 Dollar pro Person (4 Euro) weitaus zu teuer, das war also nicht die Loesung. Per Anhalter zu reisen war riskant, da bei dem wenigen Transport der Preis fuers mitnehmen in Privatautos immens steigen wuerde. Wir sprachen also mit der Dame, die scheinbar die Reihenfolge der Fahrgaeste organisiert. Nach einiger Zeit gemeinsamen Hin- und Herueberlegens, wies sie uns an, auf der “Chivirico” Bank Platz zu nehmen. “Ich werde mit dem Fahrer reden, wenn der naechste LKW kommt.” Gut, vielleicht hilft das ja weiter, dachten wir, und nahmen Platz.
Als der LKW dann weitere zwei Stunden spaeter eintraf brach, trotz des Versuches eine
Reihenfolge einzuhalten, das Chaos erneut aus. Mindestens die Haelfte der Fahrgaeste rannten ohne auf ihr Nummerzettelchen zu warten auf den LKW zu und draengten hinein. Da wir das geahnt hatten, sind wir vorher schon mit Sack und Pack nach draussen zur Haltestelle spaziert. Als der LKW ankam stellten wir uns direkt neben den Aufstieg zur Ladeflaeche. Doch all das nuetzte nicht. Die Menschen draengten wie vor einer Invasion fluechtend in den LKW hinein. Ueber die von allen Seiten drueckenden Personen stieg die Dame, die uns eigentlich helfen wollte, in den LKW. Sie stoppte mit lautem Geschrei die Menschenmenge und rief nacheinander Nummern auf. Die Personen, die einen Nummernzettel erhalten hatten, durften sich durch den unbeweglichen Menschenknoten hindurchquetschen und einsteigen. Doch immer wieder geriet die Reihenfolge ausser Kontrolle. Als wir sahen, dass die Dame uns nun alles andere als behilflich war, fingen auch wir an uns zusammen mit unseren Rucksaecken bis zu den Stufen durchzuschieben. Augustas hatte enorm zu kaempfen, den ersten Rucksack durch den Eingang zu befoerdern. Ich hatte mir bereits die kubanische Charaktereigenschaft des Schreiens und Beschwerens, Drueckens und Schiebens angenommen, um Augustas irgendwie mit unseren Rucksaecken in den LKW zu bekommen. Niemand half uns dabei. Ich erinnere mich nur an einen Mann, der weit links von uns stand und immer wieder rief, “Lassen Sie die beiden endlich einsteigen!”. Obwohl der Fahrpreis ausgehandelt und akzeptiert war, benoetigten wir die Hilfe der Umstehenden, um verbal endlich unseren Einstieg durchzusetzen. Zunehmend stimmten auch andere Personen in den Chorus des Mannes ein. Waehrenddessen wies ich Augustas an die Rucksaecke frecherweise einfach hineinzuschieben. Endlich liessen uns der Fahrer und die Dame widerwillig in den LKW einsteigen, da das Gezeter der hinter uns Wartenden enorme Ausmasse annahm.
Wir hatten es geschafft. Wir waren drin und sassen muede und abgekaempft auf der mittleren, metallenen Bank des LKW-Anhaengers. Unser Gepaeck war soweit verstaut und ich zitterte vor Erschoepfung. Wie koennen die Kubaner nur unter solchen Umstaenden leben? Sie muessen endlos lange warten und letztlich dann doch wie Tiere um eine Mitfahrt kaempfen.
Der LKW war zum Bersten voll und trotzdem stiegen an jeder Haltestelle neue Personen hinzu. “Wenn ich aufstehen muesste, wuerde ich wahrscheinlich in Ohnmacht fallen.”, meinte Augustas. Ich konnte ihm da nur zustimmen. Nach allem was passiert war sassen wir eingequetscht zwischen sitzenden und stehenden Personen, die eine immense Waerme
entwickelten. Manchmal kam gluecklicherweise ein kleiner Luftzug vorbei, aber im Ganzen schwaechte uns diese Aktion gewaltig. Gut das den Fahrgaesten auf halben Wege eine Moeglichkeit gegeben wurde Mandarinen zu kaufen. Die waren super billig und wir stuerzten diese kleinen Retter durstig hinunter. Danach kehrten unsere Kraefte wieder zurueck und wir laechelten ueber die ganze Situation.
In dem LKW befand sich ein junges Ehepaar mit Zwillingen. Die Kleinen waren wohl erst ein paar Tage alt und in ihre erste Ausgehkleidung verpackt. Diese winzigen Persoenchen mit ihren schwarzen Haaren und ihrer schokobraunen Haut sahen koestlich in ihrer schneeweissen Tracht aus. Die Familie sass hinter uns, so dass ich immer mal wieder einen Blick auf die Babies erhaschen konnte. Ach, waren die suess! Ich konnte mich gar nicht sattsehen. Bedenke ich aber die Umstaende, in denen sich die Familie mit ihren Neugeboren befand, kommt bei mir Entsetzen auf. Zweieinhalb Stunden in einem LKW auf einer metallenen Bank, durch Strassen, die einen jeden Fahrgast auf- und niederplumpsen liessen, hin- und herschuettelten, nach vorne und nach hinten rissen bei jeder Veraenderung der Fahrtgeschwindigkeit. Und dazu die unerbaermliche Hitze und die vielen Menschen. Wir litten enorm unter diesen Umstaenden, aber wie muss es erst fuer die Babies und die junge Familie sein? Da die Kubaner diese unzumutbaren Transportumstaende von klein auf gewohnt sind, kommen sie vielleicht gar nicht auf die Idee die Situation aus diesem Blickwinkel zu sehen. Ich sehe das allerdings als die reinste Tortour.
In Chivirico angekommen wollten wir Geld umtauschen, da wir kaum noch kubanische Pesos hatten. Leider war das nicht moeglich, da die Bank in diesem Moment keinen Strom hatte.
Wir gingen zum Zentrum Chiviricos und fragten ein paar Pferdewagen-Taxifahrer, ob sie wuessten, wo wir eine Privatunterkunft (Arrendedor Divisa) finden konnten. Sie konnten uns keine Auskunft geben und so wollten wir die Gelegenheit nutzten mehr ueber die Marina in Chivirico zu erfahren. Die Taxifahrer waren uns nicht sehr freundlich gesinnt und halfen uns auch mit der Marina wenig weiter. Wir gingen also einfach in Richtung Marina und holten weitere Informationen von anderen am Strassenrand sitzenden Bewohnern ein.
An einer Bushaltestelle angekommen, liessen wir uns in dessen Schatten nieder. Wir assen gerade etwas, als ein junger Mann mit einem Fahrrad direkt vor uns anhielt. “Hello, how are you? Where are you from?” Wir kamen ins Gespraech und erfuhren, dass er uns eine inoffizielle Unterkunft besorgen kann. Genauer gesagt bot er uns einen Schlafplatz in seinem Haus an. “Es muss euch klar sein, dass das illegal ist, aber ich verstehe eure Situation und moechte euch helfen.” Das klang nicht schlecht. Nachdem er uns fuer einige Minuten allein liess, ging ich mit ihm zum Haus. Es war ein einfach eingerichtetes Haus, mit einem angenehm grossen Bett, einer Dusche, die kein fliessend Wasser hatte, und einer alten Spuele. Alles in allem ganz gut fuers Uebernachten. “Wir bezahlen 10 Dollar (9 Euro) fuer die Nacht.”, meine ich. “Setz dich doch bitte hin, lass uns ein wenig plaudern.”, meinte der junge Mann daraufhin. Ich fragte mich was es da noch zu plaudern gibt. Mir war klar, dass er einen hoeheren Preis aushandeln will, aber ich war nicht bereit mehr als 10 Dollar (9 Euro) zu bezahlen. Wir setzten uns und er aeusserte, “Ich hoffe dir ist klar, dass ich euch die Wohnung inoffiziell, also illegal, vermieten werde…”. Ich erfuhr, dass erst vor kurzem ein Schweizer dort fuer 25 Dollar (22 Euro) genaechtigt hatte, aber ich blieb bei meinem Preis. Er schlug ein. Ich erklaerte ihm, dass ich noch mit Augustas reden muesste und wir dann definitiv zu- oder absagen.
Wir wogen alle Gegebenheiten gegeneinander auf und entschieden, anstatt in Chivirico zu uebernachten, noch am gleichen Tag zurueck nach Santiago zu fahren. Wir hatten Glueck, da uns ein Taxi mitnahm und nur den fuer Cubaner ueblichen Preis verlangte. Die Fahrt war staubig aber schnell. Unterwegs wurden wir von einem Polizisten angehalten. Der wollte den Fahrer mit einer Geldstrafe versehen. Da dieser uns aber tatsaechlich nicht mehr als die Kubaner fuer die Fahrt berechnet hatte, liess der Polizist ihn mit der Bemerkung “Dir ist hoffentlich klar das ich dir einen riesigen Gefallen tue.” saussen. Der Fahrer deutete ein Nicken an und schon brausten wir davon.
Wir waren noch vor Einbruch der Dunkelheit am Bahnhof. Wir dachten, dass wir vielleicht noch einen Nachtzug in Richtung Trinidad bekommen koennten. Der Zug war aber bereits restlos ausgebucht. Wir sollten am naechsten Morgen wiederkommen, um die Fahrkarten fuer den Zug um 21 Uhr abends zu kaufen. Ein Vorverkauf war nicht moeglich.
Was also tun? Wir entschieden uns in Santiago zu uebernachten. Leanne, unsere Hospitality Club Bekannte, konnten wir nicht erreichen. Wir zogen also selbst los, eine Unterkunft zu finden. Auf dem Weg diskutierten wir unsere Moeglichkeiten und erwogen mit dem Bus ueber Nacht bis nach Trinidad zu fahren. Ein Fahrradtaxi bot seinen Dienst an und lud uns fuer 1 Dollar (0,80 Euro) in sein Taxi ein. Da sassen wir, die Beine auf unseren Rucksaecken liegend und rechts und links des Fahrers aus dem Karren heraushaengend. Wir wurden zum ASTRO Busbahnhof gebracht. Waehrend der Fahrt schaemten wir uns, den Fahrpreis so heruntergehandelt zu haben. Es war Schwerstarbeit, was der Taxifahrer leistete. Wir gaben ihm bei Ankunft dann das Doppelte.
In der ASTRO Busstation erfuhren wir, dass es keine freien Plaetze mehr gab, jedenfalls nicht fuer Touristen. Fuer die waeren je Bus nur 2 Plaetze reserviert. Fuer Kubaner kostet die Reise von Santiago nach Trinidad 69 kubanische Pesos (2,30 Euro). Fuer uns haette der Preis vielleicht um 15 Euro gelegen. Um uns allerdings einen Sitzplatz zu sichern, haetten wir am naechsten Morgen zeitig zu ASTRO kommen muessen, um die Fahrkarten erwerben. Es galt das gleiche System wie am Bahnhof. Wer zuerst kommt, der zuerst faehrt. Das hiess, wir mussten nun doch eine Uebernachtungsmoeglichkeit in Santiago finden.
Nur aus Interesse gingen wir um die Ecke zu VIAZUL, den Touristenbus. Der Preis von 33 Dollar (28 Euro) pro Person warf uns fast um. Nein, damit wuerden wir sicher nicht mitfahren. Mit der Kreditkarte haetten wir auch nicht bezahlen koennen, was fuer uns problematisch war. Wir hatten nicht mehr genug Pesos Convertibles (CUC), so dass wir mit einem Taxi in die Stadt haetten fahren muessen, um dort am einzig um diese Zeit funktionierenden Geldautomaten Geld abzuheben. Das haette uns aber noch einmal 10 Euro gekostet, da die Gebuehren fuer das Geldabheben in Cuba enorm sind. Wir hatten noch eine 50 Euro Banknote, aber die nuetzte uns herzlich wenig, da wir sie zu dieser Tageszeit nirgendwo umtauschen konnten. Es stand also fest, wir suchen eine Uebernachtungsmoeglichkeit.
Da sprach uns ein Herr an und bot ein Zimmer fuer 20 Dollar pro Nacht an. Wir boten 10 Dollar dagegen. Waehrend der Herr uns versuchte zumindest auf 15 Dollar hochzuhandeln, sprach uns Clara, eine Argentinierin an. “Habt ihr ein Problem? Kann ich euch irgendwie helfen?” Nein, hatten wir nicht, oder vielleicht doch? “Fahrt ihr auch mit dem Bus nach Trinidad?” Das wollten wir, aber der Preis ist zu teuer. Ausserdem hatten wir das noetige Kleingeld nicht. Wir fingen an zu diskutieren, was wir machen sollten, was uns letztlich finanziell guenstiger kommen wuerde. Wir realisierten, dass uns die guenstigste Variante weit mehr Stress bringen wuerde. Wir wussten ueberhaupt nicht mehr was wir wollten. Sollten wir dieses eine Mal nicht einfach die einfachste Loesung waehlen? Augustas erklaerte Clara, dass wir Geld benoetigten, um mit dem Bus nach Trinidad zu fahren. “Koenntest du uns das Geld borgen? Wir wuerden es dir bei Ankunft in Trinidad zurueckgeben.” Clara und Hugo, ein Irlaender der zusammen mit Clara unterwegs war, liehen uns das Geld und wir ueberliessen ihnen bis zu unserer Rueckzahlung des Leihbetrages unsere letzte 50 Euro Banknote.
Nun machten die Fahrkartenverkaeufer den Anschein, als ob es nicht mehr moeglich waere zwei Fahrkarten zu erwerben. Sie gingen in einen anderen Raum, besprachen mit heimlischen Gesten die Situation, und verkaufen uns schliesslich die gewuenschten Fahrkarten. Wir gaben das Gepaeck auf, was laut deren Regelung nicht ueber 20 Kilo wiegen durfte. Unsere Rucksaecke lagen klar darueber, wurden aber nicht gewogen. Trotzdem wollte einer der Busfahrer 1 Dollar (0,80 Euro) fuer den Transport der Rucksaecke von der Bushalle bis zum Bus berechnen. Augustas gab ihm widerwillig das Geld und meinte, “Wuerden Sie mir bitte eine Quittung dafuer geben?”. Da der Herr nur ein unerlaubtes Zubrot verdienen wollte, konnte er damit nicht dienen. Es folgte eine kleine Diskussion, die damit endete, dass Augustas das Zubrot wieder einkassierte und die Rucksaecke selbst zum Bus transportierte.
Wir hatten noch fuenf Minuten, bis der Bus abfuhr. Wir rannten beide auf die Toilette und ich nahm noch eine Katzenwaesche vor. Mein Gesicht und meine Arme waren so staubig, dass das ganze Waschbecken nach meiner Reinigungsaktion vor Dreck stand.
Endlich sassen wir im Bus. Ach, war das herrlich! Ein grosser, sauberer Reisebus, mit viel Platz fuer die Beine und einem bequemen Sitz. Vor dem Aufgeben des Gepaecks habe ich noch meinen Rucksack nach etwas Essbaren durchsucht. Wir hatten weder Brot noch sonst irgendetwas Frisches zu essen. Mit den gefundenen Kornflfakes und Nuessen wuerden wir aber schon ueber die Runden kommen. Wir bereiteten von unseren Schaetzen auch einen kleinen Naschbeutel fuer Clara und Hugo vor und gingen dann zu ihren Sitzen, um uns fuer ihre Hilfe zu bedanken. Wir unterhielten uns am Ende bestimmt 2 Stunden mit ihnen ueber Kuba und unser aller Ideen zum Reisen.
Gegen 22 Uhr hielten wir an einem Busbahnhof. Wir sahen einige Verkaufsstaende und da wir Hunger hatten, landeten wir an einem Stand, der belegte Brote verkaufte. Da wir kein Fleisch essen und ich keinen Kaese, blieb nur noch ein trockenes Brot belegt mit Salat uebrig. Stadt allerdings die normale, handgrosse Portion zuzubereiten, wurde uns ein ganzes Brot belegt mit gruenem Salat, Gurken und Tomaten ueberreicht. Das sah vielleicht witzig aus! Der Verkaeufer
lag vor Lachen fast unter der Theke. Ich kleine Portion mit dem riesigen Brot in der Hand. Ich hatte Muehe ueberhaupt hineinzubeissen. Als wir zum Bus zurueckkamen, kriegte der Fahrer fast einen Schock. Er sah uns mit so grossen Augen an, dass wir nun in schallendes Gelaechter ausbrachen. Zurueck im Bus verzehrten wir dann genuesslich unser Salatbrot.
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