Der Weg ist das Ziel (Juni 12 – 14)
August 22, 2007
Themen: Venezuela
Zurück in der normalen Welt fanden wir uns bald im Dorf El Guacharo wieder. Wir waren ausgesprochen faul nach dem Besuch der Höhle und trampten nur mit halber Kraft. Hungrig waren wir außerdem, doch scheinbar nicht genug, denn wir bewegten unsere Körper keinen Zentimeter in Richtung eines Lebensmittelladens. Wir warteten also. Da zog plötzlich Regen auf und wir stellten uns in der naheliegenden Haltestelle unter. Es regnete viel zu stark zum Trampen, doch wir sprangen abwechselnd aus der Überdachung hervor und hielten unseren Daumen hoch. Wir hatten Glück. Ein Anwalt aus Maturin, der an der Universität auch als Lehrkraft tätig ist, öffnete seine Autotüren für uns. Wir verstauten flux unser Gepäck und drin sassen wir in der guten “Stube”. Keine 500 Meter weiter, als wir um die Ecke gebogen waren, tauchten massenhaft Obst- und Gemüsestände vor uns auf. Hätten wir das mal gewußt! Seufz. Unsere Mägen knurrten um so lauter, da wir ja kurz nach dem Einsteigen den Fahrer schlecht zum Anhalten bewegen konnten. Wir akzeptierten unser Schicksal und konzentrierten uns lieber auf die Kommunikation mit unserem Fahrer. Der Anwalt stellte uns allerhand Fragen und erzählte viel über seine Kultur und sein Leben. Er war, ungewöhnlich für Venezuelaner, 25 Jahre lang Vegetarier. Seit einigen Jahren läßt er sich aber ab und zu auch zu einem Grillhähnchen hinreißen. Der Fahrer schien zu ahnen, dass wir hungrig waren, denn er hielt alsbald an, um uns einige leckere Arepas zu kaufen. Ach, köstlich!
In Maturin angekommen, ließ uns der Anwalt direkt an einer Tankstelle heraus, die bereits am Ende der Stadt lag, so dass wir problemlos weitertrampen konnten. Die Strasse litt eindeutig an übermäßigem Verkehr, so dass uns zwar die Arme fast abfielen, aber keine Autos anhielten. Und dann brach auch noch aus heiterem Himmel ein fürchterlicher, monsunartiger Regen auf uns ein. Wir suchten also fluchtartig Unterschlupf im naheliegenden Tankstellenimbiss.
Dort versammelte sich jeder, der in der Nähe der Tankstelle unterwegs war. Unter anderem zwei kleine Mädchen, die zuvor Mobiltelefone verliehen hatten. Dies ist ein gewöhnlicher Service in Venezuela. Man kann einfach auf die Strasse gehen und, insofern vorhanden, die Mobiltelefone von einer anderen Person benutzen. Im Normalfall besitzt die Person 3-4 Telefone, die sie verleiht und nach Minutenpreis abrechnet. Eine wirklich praktische und billige Erfindung. Wir hatten die zwei Mädchen bereits von dem Imbiss aus beobachtet, da sie ihr gesamtes Hab und Gut während des strömenden Regens einpacken mussten. Als sie endlich alles verstaut hatten, waren sie bereits pitschnass und liefen dann mit triefenden Sachen in Richtung Imbiss. Die Mädchen schienen vor Ort bekannt zu sein, denn sie unterhielten sich sofort angeregt mit den Ladenbesitzern und einigen umherstehenden Personen. Irgendwann traten sie auch an uns heran. Eine der Mädchen fragte, “Seid ihr Hippies?” Wir schmunzelten. “Auf eine gewisse Art schon.” Wir kamen ein wenig ins Gespräch und erfuhren, dass die ältere Schwester des einen Mädchens ein Hippie war. Doch im Gegensatz zu uns reist ihre Schwester nur durch Venezuela. Als der Regen aufhörte und wir uns wieder zum Trampen aufmachen wollten, übergaben uns die Mädchen eine Tasche für ein Mobiltelefon, die einem kleinen Bären vorne dran hatte. Wir waren gerührt. Wir gaben den Kindern unsere kleinen Kärtchen und verabschiedeten uns.
Endlich hielten zwei junge Herren an, die auf dem Weg zu ihrer Farm in El Silencio waren. Wir erklärten, dass wir einen Platz zum Zelten suchten. Sie luden uns auf ihre Farm ein, die vier Kilometer von der Hauptstrasse entfernt lag. Da zwischen der Farm und der Strasse kein Verkehr herrschte, bedeutete dass zu Fuss durch sandige Wege zu laufen. Wir grübelten, akzeptierten aber das Angebot. Kurz vor unserer Ankunft kam dem Fahrer aber noch eine andere Idee. Direkt an der Hauptstrasse, wo der Weg zu deren Farm führte, befand sich eine Art Kiosk. Dort wohnte ein Freund von ihm, der uns sicher gleich dort übernachten ließe. Damit würden wir uns am Morgen die vier Kilometer nicht ganz einfachen Fussweg sparen. Wir waren gespannt. Als wir schliesslich ankamen, war uns klar, dass wir nicht draussen zelten konnten. Durch die vielen Mangobäume und die auf dem ganzen Boden verstreuten Mangos, wimmelte es überall von roten Ameisen. Mit denen hatten wir bereits zuvor auf unserer Reise reichlich Bekanntschaft gemacht, wollten also eine erneute Konfrontation lieber nicht riskieren. Da wurde uns ein Gebäude angeboten, dass einen leeren, wenn auch dreckigen Raum hatte. Das Gebäude war wohl mal ein Haus, dass aber seit langer Zeit leer stehen musste. Drinnen roch es ein wenig nach Urin und war ausgesprochen warm. Der Raum, der uns zum schlafen angeboten wurde, schien auf den ersten Blick akzeptabel. Der einzige Nachteil war, dass die Tür nachts geschlossen werden musste, da sie zur Strasse zeigte. Da der Raum sonst keine Fenster hatte, wirkte das nicht gerade einladend. Trotzdem nahmen wir an, einfach aus dem vernünftigen Gedanken heraus, dass wir am Morgen weniger Probleme haben würden. Unsere Gefühle sprachen sich aber eindeutig für die Farm aus, nur leider erzählten wir uns das gegenseitig nicht.
Wir ließen unsere Rucksäcke im Kiosk und wurden von unseren Fahrern zum etwas weiter entfernten Lebensmittelladen gefahren. Wir vereinbarten uns entweder dort oder zurück am Kiosk wiederzusehen. Das Angebot an brauchbaren Lebensmitteln war spärlich, doch fanden wir etwas zum Magen stillen. Wir trampten zurück und wurden uns erst jetzt über das Ausmaß unserer Entscheidung, an der Hauptstrasse zu bleiben, wirklich bewusst. Wir traten erneut in das Gebäude, doch stank es stärker als bei unserem ersten Besuch. Wir erkundeten auch den anderen Raum, der voller Müll und verrosteten Gegenständen stand. Eine Hintertür gab es nicht, es konnte also jeder hinein- und herausspazieren. Die Außentoilette war nicht überdacht und hatte kein Wasser. Auch sonst schien es unmöglich, dort an Wasser heranzukommen. Wir wollten dort nicht bleiben und so beschlossen wir uns an den Weg zur Farm zu setzen und auf unsere Fahrer zu warten. Wir mussten viel Geduld haben, doch letztlich tauchten sie wieder auf. “Ihr habt verdammtes Glück, dass wir diesen Weg gewählt haben”, äußerte unser Fahrer, als wir ihm unsere Entscheidung für die Farm mitteilten. “Wir wären fast den anderen Weg gefahren.” Puh, da hatten wir wohl wirklich Glück gehabt. Die Einladung zur Farm stand auch noch, so dass wir glücklich mit unseren Fahrern mitzogen.
Auf der Farm lernten wir zwei nette Arbeiter kennen. Der Koch bereitete uns sofort ein genüssliches Abendessen mit Reis und Kochbananen zu. Wir genossen ein ausgedehntes Schwätzchen mit den Herren und nutzen dann die Gelegenheit, endlich einmal wieder eine Dusche zu spüren zu bekommen. Obwohl die eiskalt war, fühlte es sich dennoch erlösend an, die drei Tage alte, klebrige Masse von unseren Körpern endlich hinunterspülen zu können. Wir durften unter einem Dach zelten, was uns definitiv vor hereinbrechenden Regen bewahren würde. Bevor wir zu Bett gingen, beobachteten wir noch für eine Weile den hofeigenen Pfau, der sich zum Schlafen auf einer haushohen Strange niedergelassen hatte. Einzigartig elegant dieser Gentleman.
Am Morgen wurden wir gleich wieder bekocht und zwar mit Nudeln und Yucca, einem kartoffelähnlichem Wurzelgemüse. Wieder hatten wir Glück, denn als wir uns fast aufmachen wollten, die vier Kilometer bis zur Hauptstrasse zu Fuss anzutreten, kam ein Paar mit ihrem Pick-Up angerollt. Sie waren dabei, einen kaputten Motor abzuholen und nahmen uns freundlicherweise direkt bis zur Hauptstrasse mit. Dem nicht genug, liessen sie uns erst an einer Tankstelle heraus,
an der wir problemlos unseren nächsten Lift bekamen.
Wir setzten unseren Weg in einem klapprigen, verrosteten LKW fort. Sitzen musste ich auf dem Rucksack des Fahrers direkt hinter dem Fahrersitz, da es nur einen Beifahrersitz gab und ich mir sonst den Hintern auf dem Boden verbrannt hätte. Darunter befand sich nämlich der Motor. Wir brummelten so dahin, bis plötzlich Wasserfontainen vom Himmel fielen. Wie von uns gewünscht, hörte der Blitzregen aber kurz vorm Aussteigen in Chaguaramas wieder auf. Der Fahrer versuchte uns zu helfen, einen anderen LKW direkt bis zur Ciudad Bolivar zu finden. Er kannte einige Leute vor Ort und liess uns letztlich mit einem seiner Freunde stehen, der eigentlich gar keinen Platz in seinem Wagen hatte. Das Fahrerhaus war super klein und neben einem winzigen Beifahrersitz gab es kaum noch Platz zum Atmen. Trotzdem schafften wir es auf unerklärliche Weise Augustas riesigen Rucksack, uns zwei und den kleinen Tagesrucksack neben dem Fahrer zu platzieren. Mein Rucksack wanderte derweil in eine metallene Box, die sich an der Unterseite des Anhängers befand.
Der Transporter war bis oben voll mit Baumstämmen beladen. Um ihn in Gang zu setzten, musste unser Fahrer beruhigend auf das Gefährt einsprechen. Als wir endlich zum Rollen ansetzten, schafften wir es gar auf ganze 40 km/h. Unser Fahrer würde den “kürzeren” Weg nehmen, der nicht an der Hauptstrasse entlangführt. Der Grund lag darin, dass es entlang der Hauptstrasse viel weiter wäre. Knapp einen Kilometer nachdem wir in unsere “Abkürzung” eingebogen waren, fanden wir uns umgeben von Tannenbäumen wieder. Der Boden bestand aus Sand und forderte unseren Fahrer mit wegbreiten, regenwassergefüllten Löchern heraus. Wir humpelten mittlerweile mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 9km/h mitten durch den Wald. Von einem Stück schlechter Strasse bogen wir in die nächste ein, und der uns umgebende Forstbestand wuchs beachtlich. Wir schlängelten uns teilweise auch direkt durch die Büsche hindurch, dort, wo das Wort Strasse wirklich fehl am Platze war. Ob das wirklich eine Abkürzung war? Ich war mir da nicht mehr sicher. Aber es störte mich keineswegs, im Gegenteil. Ich genoss die abenteuerlich-ungewöhnliche Fahrt mitten durch den Wald und beobachtete mit einer Riesenfreude die Schmetterlingsschwärme, die durch unser Auftauchen ihre Treffpunkte mitten auf der Strasse für kurze Zeit verlassen mussten. Was ich gar nicht so rosig fand war, dass mein Rucksack in der metallenen Box, die näher als alles andere am Fussboden lag, wahrscheinlich bereits im Dreckwasser schwamm. Wie sollte so eine metallene Box auch diese schlammig-wässrige Masse abhalten? Der Fahrer beruhigte uns, doch blieb ich skeptisch, da bei Durchqueren einer Pfütze, dass Wasser fast ins Beifahrerfenster hineinspritzte.
Wir tuckelten so vor uns hin bis irgendwann im Rückspiegel der Kollege unserer Fahrers auftauchte. Es schien, als ob die Beiden versuchten, um die Wette zu fahren. Unser Fahrer konnte aber mit dem Tempo des roten LKW nicht mithalten und liess ihn irgendwann an uns vorbeiziehen. Plötzlich hielt der rote LKW an und auch unser Fahrer brachte sein Schwergewicht zum Stillstand. Innerhalb von wenigen Zehntel-Sekunden verstanden wir, warum es plötzlich leise um die riesigen Motoren wurde. Es galt unseren Fahrer und somit auch das Gefährt zu wechseln. Im Eilzugtempo räumten wir unsere Rucksäcke in den anderen Transporter und setzten die Fahrt mit dem
schnelleren Kollegen fort. Dort hatten wir auch viel mehr Platz. Ich machte mich gemeinsam mit den Rucksäcken auf der Liege breit, während Augustas seinen Körper genüsslich in den Beifahrersitz fielen ließ. Wir waren jetzt zwar schneller, sahen aber weit weniger. Die gesamte Frontscheibe war mit Rissen verziert, die kunstvoll mit einer leimartigen Masse zusammengehalten wurden.
Am späten Nachmittag kamen wir schließlich in Soledad an. Das liegt genau auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses von der Ciudad Bolivar. Wir dachten dort die Nacht zu verbringen, da es ein kleinerer Ort als Ciudad Bolivar und somit sicher einfacher war, einen geeigneten Zeltplatz zu finden. Augustas war sich außerdem nicht schlüssig, ob er wirklich die Stadt Bolivar besichtigen wollte. Ich freute mich schon seit Tagen darauf, aber Augustas mit seinen “aber wo sollen wir denn schlafen” Fragen legte sich wie ein Schatten auf meine Vorfreude.
Kaum ausgestiegen, fragten wir auch gleich an einem Lebensmittelladen, wo wir ein Internetcafe finden könnten. Die Verkäuferin entgegnete daraufhin, “ihr wollt mit dem ganzen Gepäck hier in Soledad durch die Strassen laufen? Ihr geht nirgendwohin! Die werden euch überfallen, ausrauben und vielleicht auch umbringen! Ihr bleibt hier und steigt in das nächste Taxi, dass euch direkt bis zur Ciudad Bolivar bringen wird. Dort seid ihr sicher.” Hatten wir gerade ein Brett vors Gesicht bekommen? So fühlten wir uns jedenfalls. Mit noch offen Mündern dastehend, kam auch prompt ein Taxi angefahren. Die Verkäuferin kannte den Knaben und auch die anderen Umherstehenden drängten uns zum sofortigen Einstieg. Wir schoben wie Roboter Augustas Rucksack in den Kofferraum und quetschten uns mit dem Meinigen vorn ins Auto. Plautz, die Tür war zu. Ehe wir uns versehen konnten, hatten wir bereits die Brücke erreicht, die Soledad mit der Ciudad Bolivar verbindet. Der Fahrer hielt kurz an und nach all den Hiobsbotschaften dachte ich schon, dass wir wohl jetzt unser Hab und Gut loswerden würden. Doch das Anhalten hatte einen anderen Grund. Der Regen wurde immer stärker und auf der linken Seite der Rückbank fehlte ein kleines Fenster, was der Fahrer flux mechanisch einsetzte. Weiter ging es und innerhalb von 15 Minuten fanden wir uns am Zentralen Busbahnhof in der Ciudad Bolivar wieder. Und was nun?
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