Wenn das Wunder ein demolierter Bus ist (Juli 24 – 25)

September 11, 2007  
Themen: Ecuador

Es war spät als wir nach Ecuador kamen. Die Grenze bot uns nicht wirklich Raum für das Aufstellen unseres Zeltes, so dass wir versuchten, wenigstens die erste Stadt Tulcan zu erreichen. Wir hatten auch sofort Glück. Eine kolumbianische Familie hielt für uns an, die in Tulcan wohnte. Sie brachten uns bis zum Ende von Tulcan, wo wir eine Polizeikontrolle auffinden könnten. So zumindest der Fahrer. Wir liefen ein ganzes Stück zu Fuß, bis wir die vermeintliche Polizeikontrolle ausfindig machten. Wir fanden allerdings niemanden vor, nur leere Räume. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite in unserer Fahrtrichtung befand sich ein weiteres Wachhäuschen. Darin hielten sich drei Männer auf, die vorbeiziehende LKW-Fahrer nach ihren Papieren fragten. Wir baten sie nahebei unser Zelt aufstellen zu dürfen. Die drei Herren konnten sich nicht zu einer klaren Antwort durchringen. Zumal schienen wir sie eh nur zu stören, denn die Drei waren in ein Fußballspiel vertieft. Nun gut, wir werden also weitertrampen. Es war bereits stockdunkel, doch irgendwie fühlten wir uns in Ecuador sicher.

Nicht lange nach unserem Entschluß weiterzutrampen hielt ein Pick-Up für uns an. Das Fahrerhaus war vollgestopft bis obenhin, da paßte außer dem Fahrer keiner mehr hinein. Aber auf der Ladefläche war noch locker für uns beide Platz. Wir schwangen uns hinauf, hatten wir doch vernommen, dass der Herr bis zum nächsten Ort fuhr.

Ich begriff zu diesem Zeitpunkt gar nicht, dass wir auf dem Weg nach Ibarra waren. Augustas klärte mich auf, dass wir für die nächsten ungefähr 100 Kilometer auf der Ladefläche verbringen würden. Ich lächelte. Augustas lächelte zurück. Es war herrlich. Wir packten uns warm ein, denn es wehte mehr als ein frischer Wind um unsere Nasen. Wir holten gar die Schlafsäcke aus dem Rucksack und mummelten uns auch damit komplett ein. Wir brausten die Dunkelheit entlang und beobachteten neben den hervorblitzenden Sternen mit Wohlwollen die Lichter, die sich hier und da aus den Bergen hervorstreckten. Mal waren es mehr Lichter, mal weniger, je nachdem wie groß die Einwohnerschaft war, die sich in den Bergen eingenistet hatte. Ab und zu wurde unsere Idylle durch Fahrzeuge gestört, die wir überholten, denn dadurch blickten wir für einige Zeit ins pralle Scheinwerferlicht und sahen überhaupt nichts mehr.

Gut, dass wir vor dem Aufsteigen dem Fahrer klar gemacht hatten, dass wir an einer Polizeikontrolle herausgelassen werden wollen. Was wir allerdings nicht geahnt hatten, dass er uns mitten nach Ibarra mitnimmt und dort beim Zentralen Polizeirevier der ganzen Imbabura-Region abliefert. Wir stutzten ein wenig als wir ausstiegen, doch nun mußten wir wohl oder übel dort nach einer Unterkunft fragen.

Wie immer erzählte ich unsere Geschichte und bat um einen sicheren Platz, um das Zelt aufstellen zu dürfen. Nach einer halben Stunde warten, vielen Überlegungen, aber der sofortigen Bereitschaft uns zu helfen, selbst dem Auskundschaften von Räumen, wurden wir eingeladen, in einer Lesungshalle zu übernachten. Wir mußten also kein Zelt aufstellen und konnten unsere Matrazen gemütlich auf einem Holzpodest ausbreiten, dass uns noch dazu mehr Wärme bot, als der Steinfußboden. Dazu hatten wir eine eigene Toilette, wenn die auch fürchterlich schmutzig war. Die Waschbecken hatten bereits seit Jahren keine Reinigung mehr erlebt, aber wen stört das schon. Wir hatten, am ersten Abend in Ecuador, eine Luxussuite bekommen. Mehr brauchten wir wirklich nicht.

Wir schliefen tief und fest und wachten, wenn auch etwas zeitig, ausgeruht am Morgen auf. Ich mußte mich erst einmal orientieren, denn ich hatte vergessen, wo wir uns den Abend zuvor niedergelassen hatten. Wir kochten unseren leckeren Haferflockenbrei, aßen in aller Seelenruhe und packten dann unsere Sachen zusammen. Wir waren gerade dabei loszulaufen, da sah ich von Weitem einen Auflauf von Polizisten, die sich in unsere Richtung bewegten. Mir war klar, dass sie wohl zu einer Lesung antreten würden. Wir fingen an zu lachen. Wir gingen auf den Ausgang zu, doch da traten schon die ersten 30 der ungefähr 100 Polizisten ein. Verwirrte Blicke wurden uns zugeworfen. Andere Polizisten grinsten verstohlen. Manche schauten uns nur verständnislos an. Wir versuchten, die Menge der Polizisten zu einem Halt zu bringen, damit wir endlich den Raum verlassen konnten. Die Damen, denen ich die Bitte direkt vortrug, schienen in diesem Moment kein Spanisch zu verstehen. Ich quetschte mich also energisch nach draußen und Augustas schlüpfte mit seinem Riesenrucksack hinterher. Puh. Einige der noch draußen stehenden Polizisten schauten uns ungläubig an, doch wir huschten nur mit einem verhaltenen Lächeln an ihnen vorbei. Was für ein witziger Tagesauftakt. Wir trafen in dem Büro, wo wir am Vorabend um Hilfe baten, niemanden an, den wir kannten. Keiner reagierte auf uns, so dass wir, ohne Danke zu sagen, das Polizeigelände verließen. Ich fühlte mich ein wenig unwohl, dass wir für diese große Hilfe nicht noch einmal Danke gesagt hatten. Doch wem?

Wir erkundigten uns, wie wir zum Ende von Ibabarra gelangen konnten, um von dort aus zu trampen. Wie durch ein Wunder hielt der Bus, den wir brauchten, direkt vor der “Haustür”, also vor dem Polizeirevier, an. Wir stiegen glücklich ein und kamen alsbald am Ende der Stadt an.

Dort kostete es uns eine Weile weiterzuziehen. Während wir warteten, dabei auch unsere Trampstelle zeitweise verlegten, kamen wir an einer riesigen Jesus-Statue vorbei. Eine weitere Figur begleitete den über allen Menschen und Dingen mit ausgebreiteten Armen wachenden Jesus. Am Abend zuvor hatte ich bereits in einem Ort ein Haltestellenhäuschen gesehen, auf dem sich ein überdimensionaler, bunter Schmetterling befand. Weitere, teils hausgroße Fantasiefiguren lächelten uns die Nacht zuvor entlang des Weges nach Ibarra an. Es war unglaublich beeindruckend. Wir waren wohl im Land der Riesen gelandet, zumindest was die Statuen anging. Eine derarte, nach außen präsentierte Kreativität hatten wir noch in keinen der bereits besuchten, lateinamerikanischen Länder gesehen.

Wir lachten uns gerade halb tot, weil auf dem Dach des Hauses, vor dem wir standen und trampten, zwei Hunde Rabatz machten. Die wollten uns wohl warnen. Da gerade so ihre Köpfe über die Wand lukten konnten wir ihr Gebelle nicht ernst nehmen. Es war einfach nur urkomisch.

Wir trampten natürlich trotz der lustigen Situation weiter und hielten prompt Susan an. Susan war auf dem Weg nach Quito und allein unterwegs. Sie ist Mutter von sechsjährigen Zwillingsbuben und führt in einem kleineren Ort ein Geschäft für die Vermietung von Telefonen. Zudem war sie in ihrem Ort Geschäftsführerin eines Servientrega-Unternehmens, ein Postversand in Ecuador, der unter anderem auch ins Ausland liefert. Susan hatte acht Jahre in Deutschland gelebt und einen deutschen Mann geheiratet, von dem die Zwillinge stammen. Irgendwann sind beide nach Ecuador gezogen und haben sich mittlerweile auf gütigem Wege getrennt, da sie einfach nicht zusammenpaßten. Trotz der Trennung verstehen sich die Beiden wunderbar, so dass sie sich gegenseitig vor ihren Kindern loben. Und das im Ernst. Die Kinder hatten laut Susan den besten Papa der Welt, der sich rund um die Uhr, insofern er nicht arbeiten mußte, um sie kümmerte. Susan war selbstverständlich die beste Mama der Welt, so der Papa, für deren Arbeit ihre Kinder viel Verständnis hatten. Das klang alles so wunderschön, davon träumen andere Trennungskinder ihr ganzes Leben, mich eingeschlossen.

Bevor Susan uns in Quito herausließ, bot sie uns an, ein altes Telefon, das sie noch besaß, und die dazugehörige Nummer zuzusenden. Sie hinterließ uns all ihre Daten, so dass wir nach dem Finden einer Wohnung unsere Adresse für das Zusenden des Telefons mitteilen konnten. Susan war ein wirklicher Goldschatz; so lebendig, lustig, weltoffen und reisefreudig.

Wir mußten zwei verschiedene Busse nehmen, um durch Quito hindurchzukommen. Wäh
rend der Fahrt durch die Stadt fühlten wir uns bestätigt in unserer Entscheidung, lieber in Cuenca zu wohnen. Die Luft war dermaßen verpestet, man konnte selbst im Bus kaum atmen. Nein, so etwas brauchten wir für unseren dreimonatigen Aufenthalt in Ecuador wirklich nicht.

Am Ende von Quito angekommen, gingen wir fast direkt in eines der kleinen Restaurants. Wir wollten uns vor dem Weitertrampen auf jeden Fall stärken. Das Essen war fantastisch. Mit Reis, Linsen und viel Salat (das mußten wir gesondert bestellen, ansonsten gäbe es Salat nur als winzige Beilage) füllten wir unsere hungrigen Bäuche. Ich schaffte es nicht einmal alles aufzuessen, so reichlich war aufgetischt wurden. Die Kellnerin und Köchin waren beide sehr neugierig und stellten uns während des Essens allerlei Fragen. Es war herrlich, dass sie so offen waren und ihre Neugier mit einer derartigen Freude an uns herantrugen, dass wir gar nicht anders konnten als fröhlich zu antworten. Wir hinterließen ihnen deswegen jeden eines unserer Visitenkärtchen bevor wir uns verabschiedeten.

Leider hatte sich die Straßensperrung, die die Polizei in unserer Richtung errichtet hatte, bisher nicht gelöst. Wir erkundigten uns was los sei und erfuhren, dass es in Tambillo ein Zugunglück gegeben hatte. Auch das noch, denn es lag direkt auf unserem Weg. War das der einzige Weg nach Quito? Das war er nicht, doch der andere lag sehr weit entfernt, genauer gesagt auf der anderen Seite der Stadt. Wir entschieden also in dem Chaos, dass durch die abgewiesenen Autos, die die Straße nach Tambillo nehmen wollten, verursacht wurde.

Wir sahen, dass viele Autos nach links in eine kleine Straße abbogen und entschieden, dass wir am besten versuchen zu trampen. Augustas stand an der einen Straße, ich an der anderen. In relativ kurzer Zeit wurden wir von ein paar Arbeitern mitgenommen, die mit ihrem Pick-Up bis Latacunga unterwegs waren. “Super!”, dachten wir. Denn wir rechneten uns aus, dass, da die beiden ihre Arbeitskleidung trugen, sie alles daran setzen würden, um bis nach Latacunga zu kommen. Wir hatten uns dabei nicht getäuscht. Zuerst ging es die kleine Straße entlang, dann durch privates Land, dessen Toren aufgrund des Zugunglücks für die Autofahrer geöffnet wurden. Das war lustig, denn wenn plötzlich eine Horde von Autos durch einen privaten Bauernhof rollt, bringt das ein eigenartiges Bild hervor. Am Ende des Privatgeländes landeten wir auf einer noch im Bau befindlichen Autobahn. Wohin jetzt? Wir fuhren nach rechts und kamen alsbald zum Stehen, denn der Weg war wegen eines Berges aus Sand und Geröll unbefahrbar. Unsere Fahrer ließen sich davon aber nicht abhalten. Sie boten den Straßenbauarbeitern ein wenig Geld, schleppten Steine davon und überquerten auf diese Weise den Mittelstreifen, um den Weg fortzusetzen. Nun kamen wir in Tambillo an, wo das Zugunglück dazu geführt hatte, dass sich eine Unmenge von Bussen und Autos angesammelt hatte. Ein Durchkommen war unmöglich. Zuvor hatte ich gesehen, dass es am Abhang entlang weitere Straßen und Häuser gab. Es müsste also theoretisch noch einen anderen Weg geben. Das Gleiche dachten unsere Fahrer. Sie schlängelten sich die kleinen, holprigen Straßen hinunter und landeten direkt vor den Zugschienen. Genau dort stand, wie durch ein Wunder, ein abgetrennter Wagon, der teils mit den Rädern von den Schienen geglitten war. Es war unmöglich, dieses Stahlross zu bewegen. Unsere Fahrer begutachteten die Situation und entschieden einfach vor dem Wagonabteil über die Schienen zu setzen. Das taten sie mit viel Vorsicht und meisterten es aufgrund ihres 4×4 Allradantriebes wunderbar.

Wir hatten es geschafft, Tambillo lag hinter uns und nun fuhren wir auf die Autobahn in Richtung Latacunga auf. Kurz davor, als wären Unfälle ansteckend, sahen wir einen weiteren Unfall. Zwei Autos waren frontal ineinander gerast und standen nun auf der linken Fahrspur direkt vor einem Haus. Wie sie das hinbekommen hatten fragte ich mich noch lange.

In Latacunga wurden wir an einer recht turbulenten, noch in der Stadt liegenden Straße herausgelassen. Auch wenn die Chancen ungünstig standen, dass uns hier jemand mitnehmen würde, wir versuchten es. Und kaum hatten wir uns versehen, da hielt auch schon ein Auto mit drei Insassen an. Wir stopften unsere Sachen hinein und los gings nach Ambato. Die Retter waren diesmal zwei Pfarrer der Adventist Kirche und eine Dame, wohl die Ehefrau des Fahrers. Als wir in Ambato ausstiegen gaben die drei uns noch eine Karte und der Fahrer meinte zu uns, “Wißt ihr, ihr habt vielleicht keine Religion, aber ihr seid etwas ganz Besonderes. Ihr seht das Leben auf eine wundervolle Weise.” Das war rührend. Ein Pfarrer der uns zugesteht, weder seiner noch einer anderen Religion beitreten zu müssen, war etwas Neues für uns.

In Ambato waren wir ein wenig verwirrt. Wir hielten an einer ungünstigen Tramperstelle zwei Damen an, die auf dem Weg nach Baños waren. Das war unsere Richtung, doch die Beiden bestanden darauf, dass wir auf dem falschen Weg seien. Wie bitte? Wir ließen die Damen davonbrausen. Augustas konnte nicht glauben, was die Beiden gesagt hatten. Er war sich hundertprozentig sicher, dass wir richtig waren. Ich war da nicht so überzeugt, da ich wohl bei meiner Schnatterei mit den Pfarrern bei der Ausfahrt nicht richtig hingeschaut hatte.

Wir trampten also weiter und wurden schließlich auf die Ladefläche eines Familien-Pick-Ups eingeladen. Die brachten uns bis zu der Kreuzung in Richtung Riobamba. “Warum kommt ihr nicht mit nach Baños?” Die Familie löcherte uns. Ich sah Augustas Unlust dort hinzufahren. Ich dagegen hatte ein offenes Ohr für deren Vorschlag. Als uns allerdings von Hotelräumen, Hostels, Restaurants und Touren erzählt wurde, ließen wir die Familie davonfahren. Ein touristischer Ort war jetzt genau das Gegenteil zu unseren Sehnsüchten.

Wir trampten weiter und ohne mit der Wimper zucken zu können, hielt auch schon ein junger Bursche mit seinem roten Ford an. Er hatte auf dem Dach einen riesigen Lautsprecher. Der junge Mann fuhr nach Riobamba, um dort Werbung zu verkünden und zwar indem er mit seinem Auto, den Lautsprecher auf Ansage geschaltet, durch Riobambas Straßen fährt.

Wir wußten nicht recht wo es besser wäre auszusteigen, an der Peaje oder der Abzweigung in Riobamba Richtung Cuenca. Wir entschieden uns für die Peaje. Wir hielten kaum unseren Daumen nach oben, da hielt bereits das erste Auto. “Nach Riobamba.” Ich bedankte mich und schlug die Tür wieder zu. Da hielt auch schon das nächste Auto. “Nach Riobamba.” Wieder nichts. Die Tür war noch gar nicht zu, da hielt schon das dritte Auto. “Nach Riobamba.” Verflixt noch einmal! Wie kann es denn sein, dass in so kurzer Zeit so viele Autos anhalten und die alle nur nach Riobamba wollen? Das vierte Auto hielt an, doch alle Verhandlungsversuche, uns bis ans Ende von Riobamba, auf die Straße nach Quito, zu bringen schlugen fehl. Das fünfte Auto war auch nichts.

Nach 20 Minuten hielt endlich ein Mann, der versprach uns ans Ende von Riobamba zu bringen. Als er uns dann am Anfang von Riobamba, wo auch eine Abzweigung nach Cuenca existierte, die allerdings mitten durch die Stadt führte, heraussetzte, war Augustas empört. Doch Diskussionen hätten nichts gebracht und so bedankten wir uns, mit leicht enttäuschter Stimme, von ihm und stiegen aus. Nun ging die Suche nach Informationen los, wie wir ans Ende von Riobamba kämen. Das gelang uns nach geraumer Zeit mit einem Bus. Wir dachten die Fahrt würde eine Weile in Anspruch nehmen und bißen daher genüßlich in Banane und Apfel. Doch kaum hatten wir es uns gemütlich gemacht, da deutete uns der Fahrer an auszusteigen. Wie, wir sind schon da? Wir stürzten hinaus und fanden uns an einer Kreuzung wieder, die noch mitten in der Stadt zu liegen schien.

Wir erspähten einen Reisebus und fragten, was er uns berechnen würde, um uns bis zu der Abzweigung Guayaquil-Cuenca zu bringen. Der Preis war in Ordnung und da uns die Zeit davonlief sprangen wir schnell hinein. Der Bus war gerammelt voll.
Da es sich um einen Reisebus handelte, wurde der Film “Apocalypse now” ausgestrahlt, den wir vor einiger Zeit in Venezuela gesehen hatten. Ein hinreisender Film über das Leben von verschiedenen Urwaldstämmen, die am Beginn der Zivilisation standen. Die Zeit verging mit diesem Film recht schnell und schon fanden wir uns an der gewünschten Kreuzung wieder.

Einsam und verlaßen wirkte diese Gegend. Wir gingen ein Stück weiter, um uns einen günstigen Anhalterpunkt zu suchen. Da entdeckten wir links von uns ein riesiges Feld, auf dem unzählige, schmutzig und schäbig gekleidete Menschen hin-und herliefen. Sie brüllten sich gegenseitig zu, da einige von ihnen gerade in ein Fußballspiel vertieft waren. Mir rutschte bei dem Anblick das Herz in die Hose. Eine derartige Aufmachung rief in mir Erinnerungen an unangenehme Zeitgenossen wach und ich assoziierte die Situation sofort mit Gefahr. Mir pochte das Herz bis zum Hals. Augustas ging es ebenso. Schnellen Schrittes erreichten wir das erste Haus, das wir uns zum Trampen ausgesucht hatten. Da die Straße alles andere als gut befahren war, hatten wir Zeit, die Menschen auf dem Feld zu beobachten. Auf den zweiten Blick erkannten wir, dass es sich hier nicht um Wegelagerer und potentielle Problemmacher handelte, sondern um ganz normale, ländliche Ecuadorianer, die nach ihrer Arbeit (Steine schleppen und Feldboden aufbereiten), ein Fußballspiel unter Freunden genoßen. Wir atmeten auf.

Ein roter Pick-Up nahm uns schließlich mit. Wir sprangen auf die Ladefläche und los ging die Fahrt. Sie sollte nicht lange dauern, aber zumindest wären wir 30 Kilometer weiter. “Jetzt müßte ein Wunder geschehen, um heute noch in Cuenca anzukommen”, waren meine Worte zu Augustas. Er nickte nur mit einem seufzenden Gesichtsausdruck.

Während wir die Fahrt durch die ländliche Gegend genoßen, sahen wir am Horizont einen Reisebus auftauchen. ‘Ach’, dachte ich, ‘nur ein Touristenbus, den wir nicht trampen können. Wo würden wir wohl die Nacht verbringen?’ Der Bus kam näher und Augustas erkannte, dass es sich um den demolierten Bus handelte, den wir bereits in Riobamba an uns vorbeifahren sahen. Das war unsere Chance. Wir entschieden direkt von der Ladefläche aus zu trampen, sobald der Bus nahe genug war. Der Bus schlich sich näher heran und wir rißen beide unsere Daumen hoch. Dazu formte ich mit meinem Mund die Worte CUENCA. Der Fahrer wiederholte. Er nickte, als Bestätigung, dass er sich auf dem gleichen Weg befand. Wir versuchten nun mit Handzeichen klar zu machen, ob er uns mitnehmen würde. Der Kopf nickte. Wuhuuu! Das Wunder war geschehen! Wir waren ganz aufgeregt und hofften, dass unser Pick-Up bald anhalten würde, bevor es sich der Busfahrer anders überlegte. Wir hielten an einer Tankstelle und ich stürmte sofort zu dem Busfahrer, um auch noch mit Worten die Mitnahme abzuklären. Die Einladung stand. Hurra! Ich rannte schnell zu Augustas zurück, der offensichtlich mit den Fahrern redete. Mit leuchtenden Augen verkündete ich, “Er nimmt uns mit. Los komm!” Augustas darauf, “Laß uns bloß schnell abhauen, die wollen Geld von uns.” Ich rief den Fahrern des Pick-Ups ein freudiges, “Vielen Dank!”, zu und schon waren wir samt Gepäck im Bus verschwunden. Die Tür ging zu und wir lehnten uns glücklich in unseren Sesseln zurück. Eine Fahrt direkt bis Cuenca. Heute noch. Wunder geschehen, da waren wir uns sicher.

Der Bus war irgendwo mit einem LKW kollidiert, welcher sich unfairer Weise von rechts aus vormogeln wollte. Der Busfahrer Javier war zu diesem Zeitpunkt so geschockt und besorgt, da sich einige der Reisenden bei dem Aufprall verletzt hatten, dass er gar nicht registrieren konnte, wer ihm da in den Bus hineingefahren war. Der Verursacher ergriff Fahrerflucht. Die Insassen wurden versorgt und am Ende blieben außer ein paar Verletzungen keine Schäden übrig. Der Bus war hin. Die Frontscheibe und Nase des Buses waren fast komplett zertrümmert und die Stühle im Bus teils aus ihren Angeln gerissen. Doch das gute Stück fuhr noch. Ein paar minimale Reparaturen an den Lichtern und der Sicherung der Frontscheibe vor dem totalen Zerfall (sie war gesplittert), ermöglichten den Rücktransport des Buses nach Cuenca, wo er repariert werden konnte. Eigentlich würde Javier lieber die Strecke über Guayaquil nehmen, doch dort hätten ihm die Polizisten zu viele Probleme bereitet. Den direkten Weg nach Cuenca interessierte fast niemanden, da es kaum Verkehr dort gab und der Weg geradewegs durch die Berge führte.

Wir machten es uns ein wenig bequem und versuchten unser Glück erst einmal zu fassen zu bekommen. Ein paar Beweisfotos wurden geschoßen, denn dies war mein erster Bus, den ich jemals getrampt habe. Augustas saß neben Javier und versuchte ein Gespräch ins Laufen zu bringen. Ich hatte den Verdacht, dass Javier bereits müde war und wir vorsichtig sein mußten, wollten wir nicht einen Unfall bauen. Augustas unterhielt ihn also, weckte ihn gar richtig auf, so dass er munter losplapperte. Zudem fütterten wir ihn und gaben ihm etwas zu trinken.

Dann funktionierten plötzlich die Scheinwerfer nicht mehr richtig, was bei Nacht auf der Strecke nach Cuenca lebensgefährlich ist, denn ohne Straßenbegrenzung geht es da ganz schnell einige tausend Meter steil bergab. Wir hielten also an und Javier begann an seinem Bus herumzumontieren. Nach einer relativ langen Zeit hatte er es geschafft, zumindest alle Lichter zum Leuchten zu bringen, wenn auch nur mit der Einschaltung des Fernlichts (zum Ärger der Autos auf der entgegenkommenden Fahrspur). Daran ließ sich jetzt nichts ändern, doch das würde uns sicher bis nach Cuenca bringen.

Durch die frische Luft lebte Javier richtig auf. Augustas dagegen wurde müde. Ihm klappten irgendwann die Augen zu. Javier bot ihm deswegen an, sich hinten auf der Bank niederzulassen und ein Nickerchen zu machen. Ich fand das nicht gut, aber wenn Javier das vorschlug, was sollten wir da schon tun. Ich beobachtete Javier ein wenig, doch er schien in Ordnung zu sein. Das ging eine Weile gut, bis ich meinen Blick einmal zu lange aus dem Seitenfenster schweifen ließ. Ich sah gerade noch, wie Javier die Kurve kriegte, als ein Laster frontal auf ihn zurollte. Der Schreckensausruf von Javier bestätigte den nahezu verursachten Unfall. Javier waren wohl für Minimomente die Augen zugeklappt. Jetzt setzte ich mich sofort neben Javier und verwickelte ihn in Gespräche über Kultur, Tanz, Musik, Leben, Familie und weiß ich was. Mir durfte nicht der Gesprächsstoff ausgehen, denn auch ich war müde. Auf diese Weise schafften wir es bis Cuenca und kamen um 22:30 Uhr in Javiers Stadtteil an.

Wir verabschiedeten uns und nahmen ein Taxi bis zum Parque Calderon, wo wir auf Roy, ein Mitglied des Hospitality Club, treffen sollten. Er hatte uns angeboten, bei ihm zu übernachten. Wir mußten lange Zeit warten, denn scheinbar wartete Roy auf einen weiteren Anruf von uns. Um die Uhrzeit war das kein leichtes Unterfangen, denn Telefonzellen funktionierten nur mit Telefonkarten, die man nirgends mehr zu kaufen bekam. Augustas suchte also verzweifelt die Möglichkeit, bei ihm anzurufen. Er borgte sich letztlich ein Mobiltelefon. Bei seinem Anruf meinte Roy, er wäre gerade am gehen. Jetzt verstrich eine weitere halbe Stunde bis Roy endlich vor uns stand.

Glücklich, aber erschöpft liefen wir gemeinsam mit unserem Gepäck eine weitere halbe Stunde, bis wir endlich bei Roy zu Hause angekommen waren. Wir schliefen die erste Nacht in seinem Zimmer, da er bereits zwei Gäste aus Israel hatte. Die schliefen um diese Zeit allerdings schon. Wir redeten noch eine Ewigkeit und waren ein wenig enttäuscht, dass wir nach so einem langen Tag nicht einmal einen Tee von Roy angeboten bekamen. Vor allem später, als Roy uns Gute Nacht sagte und wir ihn in der Küche herumwerkeln hörten, knurrten unsere Mägen mit einem riesigen Fragezeichen. Scheinbar war es bei ihm nicht üblich, seinen Gästen etwas anzubieten. Anders konnten wir uns das nicht erklären. Aber nun war auch alles egal. Wir hatten es bis nach Cuenca geschafft und lagen
in einem warmen Bett. Was wollten wir noch mehr?

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