Ungerechtigkeiten und Geheimagenten (März 5-7)

Mai 18, 2006  
Themen: Mexiko

Unser Abreisetag gestaltete sich anfangs etwas beschwerlich. Ich hatte nun zwar eine Trage für meinen Rucksack, die wirklich gut war, allerdings wussten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wie der Rucksack am besten auf die Trage geschnallt werden musste, um problemlos transportiert zu werden. Da wir beide nicht so recht schlüssig waren, ob wir nun mit dem Bus ein Stück aus dem Ort herausfahren, oder wie gewohnt einfach lostrampen sollten, liefen wir letztlich zwei Stunden durch eine brütende Hitze.

Irgendwann, meine Hände schmerzten schon vom Hinterherziehen der Trage, fuhr ich mir selbst auf dem unebigen Gelände die Trage in den Hacken. Tat das WEH! FUH! Ich konnte mich dann einfach nicht mehr halten und heulte erstmal drauf los. Warum musste ich es denn immer so schwer haben? Da hab ich nun so gekämpft, dass ich endlich meine seit drei Jahren ersehnte Reise um die Welt antreten kann und was passiert? Ich bin nicht fähig in ordentlicher Trampermanier meinen Weg durch die Welt zu machen. Ja, ich bin ja noch nicht einmal fähig meinen Rucksack HINTER MIR HERZUZIEHEN! Mann! Hatte ich die Nase vielleicht voll! Warum bitte immer ich? Warum ausgerechnet jetzt, nachdem ich schon monatelang während meiner Diplomarbeit unter diesem Muskelproblem gelitten hatte? Warum immer noch? Geht das denn nie zu Ende? … Augustas schaffte es dann mich einigermassen zu beruhigen und mir die positiven Dinge aufzuzählen, die ich ja trotz alledem erlebte. Nun gut, ich liess mich davon beeinflussen und wir setzten laufend unseren Weg fort. Augustas ging schon mal vor, damit wir bei meinem Oma-tempo nicht ein mögliches Transportmittel verpassen. Die Sache war nämlich ausserdem, dass ich nur direkt auf der dreispurigen Strasse laufen konnte, was aber den ganz rechts Fahrenden ein Dorn im Auge war. Da ich mich durch Zufall von einem dieser rasenden Karrosserien aufgabeln lassen wollte, musste ich immer die Ampelphase abwarten. Alle Autos vorbei? Gut, dann rauf auf die Strasse. Eine Minute hatte ich freie Bahn, dann kamen diese Blechkästen wieder angerollt. Schnell über die Bordsteinkante hüpfen, die Trage parallel dazu heranziehen und abwarten. Es gab einen “Fussweg”, der aber voll gestopft mit Steinen war. Also nicht wirklich eine Alternative.

Kaum bei Augustas angekommen, hielt auch schon jemand an und nahm uns gleich mal bis Tulum mit. Kaum ausgestiegen am Ende von Tulum, kurze Zeit wartend und dabei Bananen und Birnen vertilgend, hielt ein Herr an und wir sprangen ins nächste Gefährt. Das ging ja wirklich Schlag auf Schlag! Und diese Fahrt war eine der interessantesten, die wir auf unserer bisherigen Reise hatten.

Wir fuhren im Auto eines Geheimagenten, der in Mexiko war um Mafia-Agenten aufzuspüren. Er ist Kanadier, der im Auftrag der USA arbeitet. Er war in vielen Ländern im Einsatz, so zum Beispiel im Irak, in Somalia, in Nicaragua… Ich weiss seinen Namen nicht mehr, da ich aber eh nicht sicher sein kann, dass dieser der richtige war, ist das halb so schlimm. Wir kamen uns vor wie im Film. Er erklärte uns, dass nicht mal seine Familie weiss wo er gerade ist und er diese Form von Arbeit bereits seit dreizehn Jahren macht. Er hatte seine Familie schon seit neun Jahren nicht mehr gesehen und wenn er dies wollte, müsste er unter riesigen Sicherheitsvorkehrungen eingeflogen werden. Nichts durfte über ihn bekannt werden, da er viel wusste und seine Familie sonst in Gefahr geraten würde. Was aber noch schwieriger vorzustellen ist, ist die Tatsache, dass er zu keinem anderen Menschen einen näheren Kontakt aufbauen darf. Das heisst, sobald die Leute, wo auch immer er gerade lebt, anfangen Fragen zu stellen und sich für ihn zu interessieren, muss er den Ort verlassen. Aus Sicherheitsgründen. Wahnsinn, dachten wir. Kann sich einer vorstellen so zu leben? Er will aber bald damit aufhören. Das bedeutet dann, dass er eine neue Identität annehmen muss, damit er irgendwo irgendetwas arbeiten kann und problemlos sein Leben gestalten kann. Nun, problemlos…, mit dieser Vergangenheit, der “falschen” Identität…

Da unser Fahrer eine intensive Ausbildung im Dschungel absolviert hat, quasi Überlebenstraining, konnten wir endlich unsere Fragen zum Überleben im Dschungel loswerden. Es interessierte uns nämlich brennend, diesen zu betreten. Ich fragte nach Pflanzen, Früchten und Wurzeln die man eventuell essen kann. Da musste ich enttäuscht hören, dass es nicht viel zu essen in dem mexikanischem Duschungel gibt; zumindest in dem auf der Yucatan Halbinsel. Des weiteren fanden wir endlich das Geheimnis der Einheimischen heraus, wie man den Biss einer giftigen Schlange überlebt. Wir hatten zuvor schon davon gehört, in solch einem Fall die Wunde aufschneiden zu müssen und das Gift herauszusaugen. Da meldete sich unser Fahrer aber mit der Warnung, dass wenn man Karies hat, derjenige, der den anderen mit dem Heraussaugen des Giftes überleben helfen will, mit tödlicher Sicherheit am Ende dem Leben entsagen wird. Ich dachte, dass passiert nur bei Wunden, da lag ich aber etwas daneben. Wie soll man auch wissen, dass man gerade Karies hat? Es ist also nicht wirklich eine Option, um beide am Leben zu halten. Unser Fahrer erklärte uns dann, dass das Geheimnis Holzkohle wäre. Sobald eine Schlange zubiss, müsste man so schnell wie möglich Holzkohle ESSEN! Und zwar wirklich schnell, da der Biss einer der giftigsten Schlangen einen Menschen in wenigen Minuten töten kann. Ich begann darüber nachzudenken, wo wir Holzkohle herbekommen könnten. Das aus der Absicht heraus, dass ich noch immer gerne einmal durch den Dschungel wandern wollte. Wir haben die Holzkohle bis heute nicht, allerdings haben wir auch etwas von der Idee Abstand genommen, so blauäugig wie wir bezüglich dieser Sachen noch sind durch den Dschungel zu marschieren.

Was macht man aber nun, um sich vor einem Schlangenangriff zu schützen? Einmal sollte man sich immer bewusst sein, dass Schlangen keine Menschenfresser sind. Sie wollen also gar nicht zubeissen, tun dies allerdings als Verteidigung, wenn man in ihr Revier eindringt und sie stört. Trifft man nun auf eine Schlange, sollte man versuchen langsam den Rückweg anzutreten. Wie unser Fahrer so schön meinte, entscheidet die Schlange was passiert. Hilfreich wäre aber, wenn man den mit sich getragenen Rucksack als Schutzschild verwendet. Der sollte zwischen Schlange und Mensch positioniert werden und dann sollte der Rückzug angetreten werden. Langsam und mit Vorsicht. Gefällt das der Schlange nicht, wird sie den Rucksack angreifen und du kommst heil davon. Meist reicht es aber, sich soweit aus ihrem Revier zu entfernen, dass sie sich ungestört fühlt und wieder ihrer eigentlichen Jagd nachgehen kann.

Uns wurde auch erklärt, dass Skorpione gar nicht so schlimm seien, solange wir nicht an den Kleinsten geraten. Der Kleinste unter den Skorpionen ist fast durchsichtig und kann sein Opfer, auch einen Menschen, in wenigen Sekunden töten. Auch auf diese Begegnung sind wir nicht gerade versessen.

Da unser Fahrer in verschiedenen Kriegsgebieten im Einsatz gewesen ist, unter anderem im Irak, sprudelten unsere Fragen zu Bush, dem 11. September 2001 und dem Irakkrieg nur so aus uns heraus. Was er darüber denkt, was andere Soldaten denken, was zu der Flugzeug-Katastrophe in den USA geführt hätte usw. Viele Fragen, wenige Antworten. Er stand definitiv nicht hinter Bush, so wie viele der im Irak eingesetzten Soldaten. Auch wussten viele wie falsch der Einzug in den Irak war. Alle von ihnen wussten Bescheid über die Drahtzieher, die Hintergründe. Keiner darf etwas sagen. Sie riskieren ihr Leben damit. Es kursiert ein Spruch unter ihnen: “You can fight the dog, but don’t wake up the dragon!” (Du kannst den Hund besiegen, aber wage es nicht den Drachen aufzuwecken!) Der Hund steht für Irak. Der Drachen für Asien.

In Felipe Puerto wechselten wir wieder den Fahrer, diesmal innerhalb von zehn Minuten, und zwar zu einem schweizerischen Paar. Genauer gesagt waren es Mutter und Sohn, die sich auf einer vierwöchigen Reise durch Mexiko befanden. Die Mutter meinte, dass sie sich di
ese Art zu reisen, also Auto leihen und jede Nacht woanders schlafen, nicht leisten könnte. Da sie aber von ihrem Sohn auf diese wunderbar aufregende Reise eingeladen wurde, genoss sie es in vollen Zügen. Nun gut, fast. Die Klimaanlage funktionierte nicht und der Tacho zeigte keine Geschwindigkeit an. Das bedeutete dann zu schwitzen. Aber alles in allem, klingt das nicht toll?

Wir unterhielten uns auf dieser Fahrt nicht sehr viel, da wir wie zwei Tomaten auf der Rückbank zwischen unseren Rucksäcken zusammengequetscht wurden. Kein Platz für die Arme, keine Bewegungsmöglichkeit für die verkorst positionierten Beine, vorne, hinten, rechts und links an Gepäck geschmiegt. Bei den hohen Aussen- und aufgrund der nichtfunktionierenden Klimanlage auch Innentemperaturen hiess es zudem nassschwitzen. Bis auf die Unterhose. Glücklicherweise waren wir so einiges gewöhnt. An der Abzweigung Chetumal-Escarcega liessen uns die beiden dann wieder aussteigen. Trotz der kleinen Tortur waren wir ja froh, weitergekommen zu sein.

Wir entschieden uns eine lange Pause zu machen. Das bot sich vor allem an, da wir uns im Schatten einer riesigen Brücke ausbreiten konnten und all unsere Leckereien, unter anderem selbstgemachte Gemüseburger, mit Genuss vertilgen konnten. Kaum hatten wir das Essen beendet und hielten den Daumen heraus, kam wieder unser Geheimagent angebraust. Er stoppte mit quietschenden Reifen und schwups ging es für uns in die Nähe der Grenze. Dort lud uns dann ein fetziger Jugendlicher auf, der in seinem Mini-Auto wirklich eine luxuriöse Ausstattung aufwies. Es fehlte noch nicht einmal der Fernseher, auf dem gerade ein sexy Musikvideo abgespielt wurde. Ich konnte mir das Grinsen kaum verkneifen. Wir wurden glücklicherweise nur fünf Minutem dem dröhnenden Musikbeat ausgesetzt, da wir dann schon an der Grenze waren.

Wir machten uns ein wenig Sorgen, ob die Grenzbeamten unsere Lebensmittel – Obst, Gemüse, selbstgekochtes und -gebackenes – einkassieren würden, was aber letztlich nicht der Fall war. Im Gegenteil. Wir passierten die Grenze und mussten noch nicht einmal zeigen, was wir in unserem kleinen Tagesrucksack hatten. Unser Glück war vielleicht auch, dass wir mitten in eine Meute von Touristen kamen, die an der Grenze aus dem Bus steigen und ihr Gepäck selbst durch die Grenze bringen mussten. Da gingen wir zwei wohl als zugehörig mit durch. Später hörten wir dann, dass diese Grenzbeamten mit Freude alles mögliche konfiszieren, vor allem Früchte und Gemüse, so dass wir wohl wirklich Glück gehabt hatten.

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