Kostbares Wasser (10-11.5.2008)

Mai 20, 2008  
Themen: Chile

on the way to Antarctica

on the way to Antarctica

Nach San Pedro de Atacama sollte es gehen, doch irgendwas schien den vielen Autofahrern, die ignorierend an uns vorbeizogen, an uns nicht zu gefallen. ‘Dann eben nicht mit Privatfahrzeugen’, dachten wir, als ein Bus anhielt. Obwohl ein kommerzielles Busunternehmen, nahmen sie uns kostenlos bis zur Panamericana mit.

Die Sonne prasselte kräftig auf uns nieder, denn Wüste ist nun einmal Wüste, selbst wenn dort eine Autobahn entlang verläuft. Seelig stimmte uns allerdings das Straßenschild, unter dessen Schatten wir bei leerer Autobahn hüpften. Auch hier ließen uns die Chilenen eine Weile zappeln.

Ein LKW-Fahrer nahm uns schließlich für knappe 400km mit. Unser Vorhaben, den Hieroglyphen in Pintados einen Besuch abzustatten, begruben wir angesichts dessen lieber. Wer weiß wie lange wir sonst auf eine solche Gelegenheit hätten warten müssen.

Die Distanzen in Chile scheinen auf der Landkarte jeweils nah, doch in Wahrheit liegen Welten zwischen den Orten, besonders im Norden Chiles. Unser Fahrer war diesmal ein ganz gesprächiger. Er schien den Almanach als Kind verschluckt zu haben und wartete mit Wissen auf, dass wir uns wohl erst lange und mühsam erarbeiten hätten müssen. Was sucht wohl solch ein Herr am Steuerrad eine LKWs? Neben dem vielen Wissen, mit dem er uns überschüttete, stellte er auch unzählige Fragen zu unseren Kulturen, unseren Berufen und der ökonomischen Situation unseres Landes. Als ich erwähnte, Wirtschaftsingenieurwesen studiert zu haben, wurde er hellhörig. “Das studiert mein Sohn auch!” Daraufhin folgte eine detaillierte Erklärung über das Studienfeld und die Ambitionen seines zukünftigen Ingenieurssohns, was seine Brust mit Stolz anschwellen ließ. Sein Sohn strebte die Akademikerkarriere an, die aber erst einmal die Beendigung des Studiums erforderte, dann die Ergänzung um einen Master, die Fortsetztung dessen mit einem Doktortitel und schließlich mit der Zulassung als Professor an der Universität enden sollte. “Als Ingenieur muß man für einige Zeit im Ausland studieren, dort eine geniale Idee aufgreifen und sie schließlich im eigenen Land umsetzen”, war die Devise des Fahrers Jüngling. Der bereitete sich gerade auf sein Auslandsstudium in Brasilien vor und für alle Fälle ließ sich der stolze Vater meine Email-Adresse geben. Vielleicht könnte ich ja irgendwann in Ingenieursfragen weiterhelfen. Ob ich das wirklich können werde, das steht allerdings in den Sternen.

Dunkel, kalt und verlassen standen wir an einer recht großen Tankstelle, ein Stückchen südlich von der Abzweigung nach Camana. Hier würden wir die Nacht verbringen müssen, denn um diese Zeit weiterziehen machte wenig Sinn.

Unser Wasservorrat belief sich nur noch auf einen knappen halben Liter. In der Tankstelle gab es eine Servicestation, also Toiletten mit Dusche, die uns freudig stimmte. Endlich konnten wir Hände waschen und unsere Wasserflaschen auffüllen. Den restlichen halben Liter Trinkwasser wollte Augustas noch fix zum Hände waschen nutzen. Ich hielt ihm davon ab, da wir nun einmal direkt vor der Toilette standen und unsere Hände mit anderem statt dem kostbaren Trinkwasser (was es in der Wüste wortwörtlich ist) reinigen konnten.

Da Wasser aus der Leitung selbst mittels Desinfektionsmittel wegen der hohen Nitratwerte nicht trinkbar ist, wurde ich auf den möglichen Kauf von Trinkwasser verwiesen. Die Preise von 1000 Pesos (€ ) für 1,5 Liter Wasser paßten weiß Gott nicht in unser Budget. Ich erklärte dies der Dame, doch so richtig schien sie nicht zu begreifen.

“Hören Sie bitte. Wir sind zwei Reisende, die per Anhalter unterwegs sind, über ein geringes Budget verfügen, heute Nacht hier an der Tankstelle verweilen müssen und kein Trinkwasser haben. Können Sie uns nicht mit ein wenig Wasser aushelfen?”

Sie presste ihre Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf. Dabei senkte sie ihre Augen und widmete sich ihrer Listenabhaktätigkeit wieder zu. Da meine Spähaugen entgegen ihrer Hoffnung eine ganze Ladung Garafone (20 Liter Wasserkanister) im Toilettenvorraum entdeckt hatten, gab ich mich damit nicht geschlagen. Ich bat sie um Wasser aus dem Garafon.

“Das kann ich ihnen leider nicht geben. Dafür benötigen Sie einen speziellen Behälter, um das Trinkwasser aus dem Garafon zu zapfen.”
“Und Sie verfügen nicht über einen derartigen Behälter?”
“Nein.”

Ich wiederholte meine Frage, denn es erschien mir unlogisch mehrere Kanister mit Trinkwasser neben ihr zu sehen und zu Ohren zu bekommen, dass sie das Wasser selbst gar nicht nutzen konnte.

“Nein, ich habe einen solchen Behälter nicht.”
“Das Trinkwasser in den Garafons verwenden Sie aber doch, oder etwa nicht?”
“Das gehört dem Restaurant.”
“Ah, dem Restaurant. Die haben also solch einen Spezialbehälter.”

Ungern gab sie zu, dass es so war.

“Nun gut, dann frage ich eben im Restaurant nach. Vielen Dank.”

Vorerst ging ich jedoch zum Waschbecken, um meine verdreckten Hände und mein eingestaubtes Gesicht zu reinigen. Während ich mich wusch, kam die Toilettendame auf mich zu.

“Geben Sie mir eine Flasche, ich werde sie ihnen füllen.”

Überrascht und erfreut gab ich ihr eine Flasche und setzte meinen Waschgang fort. Sie hob ein Handtuch auf, das über einen Behälter neben dem Waschbecken lag. Darunter befand sich ein ganzer Eimer voller Trinkwasser. ‘Man braucht also einen Spezielabehälter, um das Wasser aus dem Garafon zu genießen…’, ging es mir durch den Kopf. Nach dem Füllen der ersten Flasche füllte sie mir auch die zweite, was mich hocherfreute. Sie erklärte mir nebenbei, dass das Wasser zum Trinken und Kochen der Tankstellenmitarbeiter bestimmt sei und abgezählt würde. Deswegen dürfte sie es im Normalfall auch an niemanden herausgeben. Das sie es nun doch tat, machte uns nicht nur glücklich sondern zeigte, dass man sich mit Herz über solche Regeln auch hinwegsetzen kann.

Die Wahl für den Zeltaufbau war schnell getroffen. Wir wählten den hellsten Ort und zwar direkt unter der Laterne neben der Servicestation. Normalerweise suchen wir uns die dunkelste Ecke zum Schlafen, doch die lag an dieser Kreuzung entweder hinter einer zu gut besuchten Pinkelmauer oder völlig ungeschützt vor dem kalten Wüstennachtwind. Gut, dass sich hinter der Mauer auch Kartonreste fanden, die eine herrliche Isolation für unseren Zeltboden bildeten. Trotz alledem war es nachts hundekalt und da ich bei solchen Temperaturen meist hellwach gehalten werde, konnte ich auch diesmal meinen Schlaf nicht vollkommen auskosten. Aber immerhin erging es mir bei weitem besser als zuvor beim Zelten in Humberstone.

Am Morgen stellte sich erneut die Frage mit dem Trinkwasser und da die Servicestation noch geschlossen war, bat Augustas im Restaurant unsere Flasche aufzufüllen. Nach einem, “Wie? Ihr habt also kein Geld, um Wasser zu kaufen? Gut, dann nehmt eben das hier!”, vom Restaurantkoch, kam Augustas mit einer Flasche voller Leitungswasser zurück. Kaum hatte er mir von der abwertenden Behandlung erzählt, steckte ein COPEC (Name der Tankstelle) Mitarbeiter seinen Kopf zur Tür heraus. “Drinkt das um Gottes Willen nicht! Leitungswasser ist in dieser Gegend ungenießbar!” Der Mitarbeiter hatte laut Augustas der Unterhaltung mit dem Koch gelauscht. Als er bereits auf dem Weg zur Tür war, wusch der Mitarbeiter dem Koch gehörig den Kopf. Letztendlich konnte uns aber der Mitarbeiter auch nicht mit Trinkwasser aushelfen. In dem Moment steckte ein LKW-Fahrer, der diese Szene hautnah miterlebt hatte, seinen Kopf zur Tür hinaus und fragte,

“Wohin soll’s denn gehen?”
“Direktion Calama, nach San Pedro de Atacama.”
“Auf dem Weg nach Calama gibt es eine Trinkwasserquelle. Ich esse nur schnell auf und dann nehm ich euch mit. Wartet bitte auf mich.”

Mit einem Lächeln warteten wir auf den Fahrer. Wir sattelten unsere Gepäckstücke auf einen riesigen Lastanhänger und machten es uns dann im Fahrerhaus bequ
em. Diesmal gab uns der Fahrer eine herrliche Lektüre: eine detaillierte Landkarte und einen Naturparkführer Chiles. Ich versank mit Herz und Seele im zweiteren, denn Natur war alles nach was ich mich sehnte.

Die Trinkwasserquelle war ein überdimensionaler Tank, dessen Wasser von den Berghöhen Boliviens stammt. Es war köstlich. Wir und auch der Fahrer füllten unsere Vorräte bis oben hin auf und weiter ging’s.

In Calama verabschiedeten wir uns direkt an der Kreuzung nach San Pedro de Atacama von unserem Retter in der Not. Der ließ uns aber nicht mit leeren Händen gehen. Er bot uns einen seiner zwei an der Wasserquelle aufgefüllten 5-Liter-Kanister zur Mitnahme an. “Ihr braucht den sicher nötiger als ich”, meinte er und schon waren wir im Besitz von nunmehr insgesamt knapp 11 Litern Wasser. Das würde uns auf jeden Fall ein ganzes Stück reichen.

Völlig von den Socken über dieses Geschenk trotteten wir entlang der Kurve, die zur Straße nach San Pedro führte. Nach zwei Dritteln der Kurvenstrecke konnten wir bereits die Gefährte, die direkt von Calama kamen, sehen. Augustas hob sogleich seinen Daumen und der zweite LKW hielt prompt an. “Nicht rennen, Augustas. Dir wird sonst die Luft knapp!”, warnte ich ihn wegen der uns prophezeiten Höhenlage, als er samt Reise- und Tagesrucksack sowie mit dem 5-Liter Kanister in der Hand lossprinten wollte.

Wir hatten mal wieder ins Schwarze getroffen. Der Herr fuhr nicht nur nach San Pedro, sondern direkt nach Brasilien! Unsere Augen funkelten. Sollten wir mit ihm bis Brasilien mitkommen, einfach nur des Abenteuers wegen? Wir verspürten ein Kribbeln im Bauch, doch Augustas bremste schließlich dieses Vorhaben. “Wenn wir jetzt nach Brasilien ziehen, werden wir wohl nie unseren Weg in den Süden Chiles schaffen.” Damit hatte er wohl recht und somit ließen wir die Chance saußen.

Ivan, unser peruanischer LKW-Fahrer, liebte es Tramper mitzunehmen. Erst kürzlich seien drei deutsche Mädels in seinem Fahrerhaus untergekommen und mit ihm bis nach Argentinien gereist. Das führte in Argentinien zu einigen Querelen mit den Straßenaufsichtbehörden, denn laut Satzung darf ein LKW-Fahrer nicht mehr als einen Beifahrer mitnehmen. “Ich kann doch nicht drei junge Damen im Nirgendwo einfach stehen lassen. Ich finde es ist meine Pflicht, ihnen zu helfen.” Er appelierte an das Mitgefühl der Beamten, doch die setzten ihre Maßregelung weiter fort. In seinen Augen dumm war vor allem der Hinweis, “Sie sind sich hoffentlich gewahr, dass im Falle eines Unfalls keine Haftung für die Damen übernommen wird.” Seine Reaktion darauf, “Überall im Leben warten Risiken auf jeden von uns. Wenn man sein Leben zum vollsten auskosten will, muß man sich eben darauf einlassen, egal was dabei herauskommt.” Amüsiert über seine Gegenargumente, mit der er die Ordnungshüter von der berechtigten Mitnahme der Damen zu überzeugen versuchte, genossen wir diese Fahrt zum Vollsten.

Die Damen waren nicht die einzigsten, die von seiner Verteigungsstrategie der unerlaubten Mitnahme von Passagieren profitierten. Ivan hielt es generell so, die Gesetzestreuen mit viel Geschick an die Wand laufen zu lassen. Er ergänzte, dass er bisher noch kein einziges Mal für derartige Vergehen bezahlt hat. Das spricht meiner Meinung nach Bände über seine verbalen Fähigkeiten.

Auch zu uns meinte er, “Sollten wir in eine Polizeikontrolle geraten, dann habe ich euch in der Cordillera de la Sal (Salzbergkette) aufgelesen.” Kurz vor San Pedro fährt die Polizei laut seiner Aussage regelmäßig Streife. Da die Cordillera de la Sal ein beliebtes Touristenausflugsziel ist, kann es die Polizei ihm schließlich nicht verübeln, uns für die paar Kilometer bis San Pedro mitzunehmen.

Die Polizei trafen wir letztlich nicht an. Dafür erhielten wir aber eine Einladung zu ihm nach Hause, dass unglaublicherweise Tacna ist. Als wir ihm erzählten, dass wir zwei Wochen in Tacna zugebracht hatten, bis wir vor ein paar Tagen nach San Pedro de Atacama aufgebrochen sind, schaute er uns mit großen Augen an. “Nein! Wirklich? Das fasse ich nicht!” Er wiederholte daraufhin seine Einladung und wir hoffen, die eines Tages annehmen zu können.

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