Eine Puppe für Ercilia

April 10, 2006  
Themen: Belize, Projekte

Hier ein weiteres Projekt, was ich in Copper Bank, Belize, realisiert habe. Die Tochter des Ferienort Gärtners Fernando fragte mich einmal, ob ich in ihrem Alter (9) eine Puppe besessen hätte. Ich wusste genau, dass Ercilia darauf abzielte, mich zum Kauf einer Puppe zu bewegen. Obwohl ihre Familie bitterarm war, empfinde ich eine Abneigung dagegen, Dinge einfach im Laden zu kaufen. Ich bevorzuge lieber zu zeigen, dass man seine Wünsche mit etwas Kreativität meist ohne Geldmittel verwirklichen kann.

Ich hatte bereits eine recht klare Vorstellung, wie die Puppe hergestellt werden konnte. Da ich es in der Form aber noch nie zuvor gemacht hatte, durchstöberte ich das Internet nach hilfreichen Tipps und wurde fündig. Schließlich wollte ich, dass die Puppe ein Erfolg wird, schon im Interesse des Kindes wegen. Nun musste ich die erforderlichen Materialien mit einfachsten Mitteln, die sich in Ercilias Haus oder in der Natur finden ließen, ersetzen. Als alles soweit durchdacht war machte ich mich auf, Ercilia die Neuigkeiten zu überbringen.

Ercilia schien über den Vorschlag, gemeinsam eine Puppe zu basteln, nicht sehr erfreut. Ihr Problem lag darin, dass nicht ich die Puppe für sie anfertigen würde, sondern dass wir dies gemeinsam bewerkstelligen würden. Für Ercilia bedeutete das vorerst nur, dass sie sich mühen musste, um an die ersehnte Puppe zu gelangen. Ercilia war von Natur aus bequem, da sie als einziges Mädchen in der Familie viel zu lange eine übermäßige Fürsorge genossen hatte. Anstrengungen behagten ihr überhaupt nicht, doch ließ sie die Aussicht auf eine Puppe ihre Einstellung überdenken. Ich wollte Ercilia mit diesem Projekt auf eine gewisse Weise ein wenig über das wahre Leben beibringen, insbesondere der Tatsache, dass man mit etwas Arbeit seine Träume erfüllen kann.

Wir hatten fast alle Materialien zusammen: eine alte, vergilbte Socke, die Ercilia im Dreck gefunden hatte, nicht essbare Samen von Bäumen, welche überall in der Gegend wuchsen, meine alte, hautfarbene, kurze Strechhose, ein paar Sicherheitsnadeln, Nähgarn und -nadeln sowie eine alte, dreckige Leine, die Ercilias Bruder auf dem Dach des Plumpsklos erspäht hatte. Als die Zeit für den Haarschopf gekommen war, kaufte ich schwarze Wolle, das einzige Material, wofür ich bei der Puppenherstellung Geld ausgegeben habe.

Am Anfang waren Ercilia und ich eifrig dabei, unser Puppenprojekt schnell und erfolgreich zu meistern. Die erste Woche verbrachte ich vier Tage hintereinander für mehrere Stunden bei Ercilia. Später kam ich nur noch einmal pro Woche, da meine Zeit etwas eingeschränkt war und ich manchmal auch einfach ein bischen Abstand von Ercilia benötigte. Während meiner Besuche unterichtete ich Ercilia zuerst in den verschiedenen Nähtechniken, denn die waren essentiell für das Gelingen des Projektes. Dann erklärte ich ihr Stück für Stück, was und wie wir es machen werden, einen Schritt bei jedem Besuch. Die erste Stunde verbrachten wir immer damit, gemeinsam an unserem neuen Schritt zu arbeiten. Dazu erklärte ich Ercilia, wie wir das bewerkstelligen konnten und zeigte ihr, wie man es richtig macht. Ab und zu ließ ich sie die Arbeitsschritte selbst ausführen, denn die zweite Stunde gestaltete sich so, dass Ercilia die Arbeit übernahm und ich ihr dabei zuschaute. Tauchten Probleme auf oder wurde Ercilia ungeduldig, griff ich helfend und beruhigend ein.

Manchmal verlor Ercilia komplett die Lust am Weitermachen. Unzählige Male würde sie ihre Hausaufgaben nicht erledigen, die jedoch die Vorbereitung für unser nächstes Treffen und somit den nächsten Schritt bedeuteten. Es gab sogar Momente, da tauchte Ercilia nicht einmal zu unseren vereinbarten Treffen auf oder würde gar jegliche Mitarbeit an der Puppe verweigern. Als dieses Verhalten gegenüber dem Puppenprojekt ausartete, gab ich vor, ihr von nun an nicht mehr zu helfen. Ich ließ ihr Zeit zum Nachdenken. Das war besonders dann notwendig, als ich ihr meine Kündigung für die gemeinsame Erstellung der Puppe servierte. Ihre Mutter Carmita begrüßte mein Verhalten. Wir hatten uns zuvor über meine Erziehungstechniken abgestimmt, besonders da Carmita oft am Ende ihres Lateins bezüglich der Steuerung von Ercilia war. Ich muss allerdings eingestehen, dass es auch bei mir Tiefpunkte in diesem Projekt gab. Ich verlor durch Ercilias stures, faules Verhalten teilweise völlig meine Motivation. Ich wollte das Projekt trotzdem gerne zu Ende führen, einfach wegen seines erzieherischen Lerneffekts. Alles was ich tat, ob es meine Unterstützung oder Ablehnung zur Weiterführung des Projektes war, geschah einzig und allein aus dem Grund heraus, Ercilia zum Nachdenken anzuregen und ihr zu verstehen zu geben, dass sie sich für etwas, was sie gerne haben möchte, anstrengen muss. Ich wollte ihr auf diese Weise verständlich machen, dass sie das Ergebnis ihrer Arbeit nur würdigen kann, wenn sie Mühe und Fleiß hineingesteckt hat.

Nach zwei Monaten harter Arbeit und unzähligem Auf und Ab, näherten wir uns der Fertigstellung der Puppe. Ercilia streikte kurz zuvor noch einmal. Sie wollte partout kein Kleid für ihre Puppe schneidern. Diese Gelegenheit nutzte ich, um ihr zu erklären, dass die Puppe von nun an mir gehöre. Ich würde sie alleine komplett fertigstellen und sie einem Mädchen schenken, dass den Wert der Puppe wirklich schätzen kann. Ercilia brauchte eine geschlagene Woche, um es sich anders zu überlegen. Während dieser Zeit fügte ich der Puppe langes, schwarzes Haar am Kopf an. Dann stand Ercilia plötzlich vor meiner Tür und hielt den Stoff für das Kleid in ihrer Hand. Dieser Stoff war übrigens vom Rocksaum ihrer Mutter abgetrennt wurden, den Carmita fast täglich trug.

Endlich war es soweit. Wir zogen der Puppe das Kleid an und nun gab ich Ercilia offiziell die Puppe wieder zurück. Mir standen die Tränen in den Augen, als ich daraufhin das Leuchten in ihren Augen sah. Ich war zutiefst gerührt. Ercilias Lächeln und Verhalten ließ mich spüren, dass sie bisher wenige solcher Momente erlebt hatte.

Bei einem meiner folgenden Besuche erzählte mir Ercilia ernst, dass sie ein zweites Kleid für ihre Puppe anfertigen würde, da diese ja nicht immer das gleiche Kostüm tragen konnte. In diesem Moment wusste ich, dass sich all die Mühe gelohnt und Ercilia gelernt hatte, erwünschte Dinge selbst zu erschaffen, anstatt den Kauf derer in Erwägung zu ziehen.

Kommentare

  1. lilly says:

    supercool, eine gute erfahrung fuer alle beteiligten!
    thank you for sharing this inspiring story.!