Der Früchte verzehrende Nachtvogel Guacharo (Juni 11 – 12)

August 22, 2007  
Themen: Venezuela

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Das Hotel hatten wir bereits vor einer Weile hinter uns gelassen. Wir standen im Schatten eines riesigen Baumes mit der Hoffnung, bald ein vierrädriges Gefährt die Strasse entlangkommen zu sehen. Es war mittlerweile schon 11 Uhr vormittags, doch scheinbar hatte es um diese Zeit niemand nötig, einen Automotor in Gang zu setzen. Ich wünschte mir sehnlichst, dass wir es noch am gleichen Tage bis zur Höhle des Guacharos, nahe Caripe in der Monagas Region Venezuelas, schafften. Es lagen 150 km durch dünnbefahrene Gegenden vor uns, die wir beim derzeitigen Tempo sicher nicht vervollständigen konnten. Wenn wir es zumindest bis Rio Caribe, der nächsten Kleinstadt schaffen würden… Von da aus hätten wir weit mehr Chancen auf eine Mitfahrgelegenheit.

Wir fingen an über den “Bus”, der eigentlich eine Art Transporter mit Sitzbänken und Dach war, nachzudenken. Der Preis von 6000 Bolivar (1,5 Dollar) pro Person war kein Pappenstiel, doch zumindest würde irgendwann an diesem Tage eines dieser Gefährte von San Juan de las Galdonas nach Rio Caribe fahren. Wir erkundigten uns nach der Abfahrtszeit bei einer vorbeilaufenden Dorfbewohnerin. “Der müsste sogleich kommen”, meinte sie. Um sicher zu gehen, dass der Bus auch wirklich für uns anhält und wir nicht überbezahlen müssen, wartete die Dame mit uns, bis der Bus endlich auftauchte. Dabei erwähnte sie so ganz beiläufig, wie gefährlich ihr Dorf doch sei und dass vor allem die Jugendlichen dem weissen Gold (Drogen) nicht wiederstehen konnten. Ob nun für den Verzehr oder für den Handel, Drogen waren die vielversprechendste Einkommensquelle für jung und alt.

Der Bus war bereits gerammelt voll, doch irgendwie schafften auch wir es hinein. Augustas hatte arg zu kämpfen, da die Dächer nicht wirklich für seine Körpergröße konstruiert worden waren. Halb gekrümmt, an einen alten, gebrechlichen Mann erinnernd, hielt er sich mit einer Hand an den Dachstangen und mit der anderen an seinem hin- und herwankenden Rucksack fest. Ich hatte es da einfacher, mir blieben noch zwei Zentimeter bis zum Dach.

Die Fahrt sollte eigentlich 45 Minuten bis Rio Caribe dauern, wir stiegen aber erst nach 1,5 Stunden wieder aus. Jetzt hiess es erst einmal ein Internet suchen und dann unsere Mägen vom Hunger stillen. Ausserdem platzte mir fast die Blase und so klopfte ich einfach an die Tür eines Hostels, was sich vor uns auftat. Ich wurde mit Wohlwollen hineingelassen und genoss die erlösende Ablieferung meines Blaseninhalts. Beim Herausgehen fragte ich den jungen Mann, der mich ins Hostel hineingelassen hatte, nach einem “billigen Restaurant, in dem man Reis mit Bohnen essen kann”. Er brach in schallendes Gelächter aus und obwohl weit jünger als meine Wenigkeit, baute er sich mit lässig-cooler Art, Brust raus, Kinn hoch, und Augen abwertend nach unten schauend vor mir auf. “Ihr sucht also ein richtig billiges Restaurant, wo ihr am besten gar nichts bezahlen müsst? Dann folgt meinem Rat. Geht die Strasse entlang bis zum Strand, biegt nach links ab und geht drei Strassen weiter. Dort findet ihr das Casablanca (Name erfunden, da Original vergessen) Restaurant. Erklärt der Köchin, dass ihr Hunger, aber kein Geld habt. Sie wird euch schon etwas geben, auch wenn ich nicht garantieren kann, ob sie Reis und Bohnen hat…” Was für ein überheblicher Protz war das denn bitte? Stuft es einen etwa als bettelarm ein, wenn man ein Gericht aus Reis und Bohnen zu sich nehmen will? Naja, über solch einen Schnösel muss man sich nicht aufregen, und so kehrte ich ihm den Rücken zu und wir gingen auf eigene Faust ein Restaurant suchen, in denen wir lecker Reis mit Bohnen serviert bekommen würden. Bei der Suche landeten wir auch einmal in einer Seitenstrasse, die parallel zur Hauptstrasse verlief. Das Bild wechselte ruckartig. Eine Menge Obdachlose, Alkoholiker und recht ungemütlich wirkende Zeitgenossen hielten sich dort auf. Wir machten auf dem Absatz kehrt und suchten mit schnellen Schritten das Weite. Endlich fanden wir unser Reis-Bohnen-Salat-Gericht, was uns mit einem frischgepressten Guavensaft versüßt wurde. Was gibt es eigentlich schöneres?

Wir waren zufrieden, die Mägen waren voll und wir befanden uns am Ende von Rio Caribe, wo wir alsbald einen Chinesen anhielten. Der war auf dem Weg nach Carupano und wir versuchten ihm klarzumachen, wo genau wir herausgelassen werden wollten. Mittlerweile kannten wir ja die Gegend. Der Chinese verstand uns erst nicht und wollte uns mitten in Carupano herauslassen. Unsere ‘Oh nein, nicht-hier’-Ausrufe halfen, damit er endlich kapierte, wo wir hingebracht werden wollten. Unser Chinese war so lieb unsere Bitte auch wirklich zu erfüllen.

Jetzt befanden wir uns auf dem direkten Weg bis Cariaco. Die Gegend wirkte wie schon bei der Hinfahrt nicht sehr gemütlich, so dass ich das dringende Gefühl hatte, wir sollten bald ein Auto besteigen und abdüsen. Und da war es auch schon. Ein Fischermann mit zwei Mitarbeitern auf der Ladefläche hielt an. Ich war total skeptisch, da die zwei Männer auf der Ladefläche halbnackt und dreckig dalagen. Ich schickte also Augustas, das Mitfahrangebot dankend abzulehnen. Freudig kam Augustas nun zurück. Er hatte ein gutes Gefühl und so stiegen wir eben ein. Die Fahrt war angenehm. Unser Fahrer berichtete uns von seiner Arbeit als Unterwasseringenieur. Er hatte unter anderem Projekte in Trinidad und Tobago. Sein Geschäft lief gut, da er nicht wie viele andere im und am Meer tätigen Landsleute dem weisen Gold verfallen war. Natürlich musste er hart dafür arbeiten, aber es zahlte sich für ihn aus. Es folgten wie immer Geschichten über den Drogenhandel und -konsum in der Küstenregion. Auch wurde uns nun eröffnet, dass gerade die Leute, die im schicken Anzug und mit einem neuen Automobil auftauchten diejenigen wären, die verflixt tief in der ganzen Drogengeschichte drinnen steckten. Von nun an sollten wir also noch weniger wissen, wem wir trauen konnten. Schließlich ließ uns unserer Fahrer an einer Autobahnbezahlstelle heraus. Dort waren wir, im Falle wir würden keinen weiteren Fahrer finden, zumindest für die Nacht sicher.

Wir sinnierten ein bischen über die Aussage des Fischermanns, “schickes Auto gleich Drogenhandel”. Irgendwann befanden wir das für Humbug, obwohl es sicher ein paar Leutchen gibt, die auf diese Weise zu Reichtum gelangten. Aber selbst wenn wir an einen der Drogenhändler geraten würden, könnte das uns doch egal sein, solange er sich anständig benimmt und nett zu uns ist.

Drei nette Männer befanden sich auf dem Weg nach Cumana und brachten uns bis zur Kreuzung nahe Muelle, wo die Strasse direkt zu El Guacharo führte. Wir entfernten uns ein wenig von der Kreuzung, da es dort neben einer Tankstelle voller Autos auch allerhand Menschen gab, die auf ihren Bus warteten.

Etwas unschlüssig standen wir neben einem Haus. Sollten wir lieber die Leute fragen, ob wir unser Zelt für die Nacht aufstellen könnten? Unser Blick fiel auf einen geräumigen Hof, der fast vollends mit Autoschrott zugestellt war. Irgendwie wäre es sicher möglich unser Zelt dort auch unterzubringen. Doch dazu müssten wir erst einmal an die Tür klopfen… Das taten wir bei Einbruch der Abenddämmerung auch. Nachdem wir unsere Bitte in ihrem Hof zelten zu dürfen erst einigen Kindern, dann deren älteren Geschwistern und letztlich endlich an die Mutter herangetragen hatten, lautete die Antwort “nein”. Mh.

Während wir in dem Haus nachgefragten, sah ich einen schwarzen Jeep an uns vorbeiziehen. Mich überfiel das bestimmte Gefühl, dass dies unsere Mitfahrgelegenheit zu El Guacharo war. Da wir uns zu der Zeit aber mitten im Gespräch befanden, konnte ich nicht einfach lossprinten und den Jeep anhalten. Der Höflichkeit wegen. Überraschenderweise stellten wir nach Beendigung des Gespräches fest, dass der Jeep an dem wenige Meter entfernten Lebensmittelladen angehalten hatte. Meine Augen leuchteten auf. “Lass u
ns nachfragen!”, forderte ich Augustas auf. Wenig überzeugt trottete Augustas hinter mir her. “Guten Abend. Wo fahren Sie denn hin?”, adressierte ich meine Frage an den Fahrer. “Zu El Guacharo”, war seine Antwort. Blink! Bingo! Hatte ich doch Recht gehabt. Leider schien die Frau des Fahrers uns nicht so einladend gestimmt zu sein. “Wir würden euch ja gerne mitnehmen, daber seht selbst, wir sind voll…” Der Fahrer war da anderer Meinung. “Wir schieben hier ein bischen, packen das dorthin, und fertig.” Nach einigen Umräumarbeiten im Auto konnten wir glücklich und zufrieden Platz nehmen. Die Fahrt war herrlich. Am frühen Abend, den Sonnenuntergang beobachtend, zogen wir mit dem Jeep durch die Kurven der immer bergiger werdenden Region. Der Himmel hatte sich bereits schwarz gefärbt, als wir die Höhle des Guacharos erreichten.

El Guacharo

El Guacharo

Dort warteten zwei Überraschungen auf uns. Wir wussten zwar, dass wir dort zelten konnten, hätten aber nicht im Entferntesten erwartet, dass es während der Nacht neben einem Wachhund, auch einen Wachmann gab. Wir hatten kaum das Zelt aufgestellt, da wartete die zweite Überraschung auf uns. Der Nachtausflug des Guacharo-Vogel begann genau in diesem Moment, gegen 19 Uhr. Der Guacharo ist der einzige Nachtvogel, der ausschließlich von Früchten lebt. Alexander von Humboldt hat einst die Existenz des Guacharos in die Welt hinausgetragen. In Hunderten kamen sie aus der Höhle heraus und verursachten einen gewaltigen Lärm. Der Wachmann ließ uns sogar in die Nähe der Höhle, damit wir den Ausflug der Vögel besser sehen konnten. Da es stockdunkel war, halfen nur die glimmenden Lichter des Museumsgebäudes, die Guacharos zu erkennen. Ansonsten konnte man sie nur hören. Es war atemberaubend schön, wie diese Nachtvögel der Höhle entflogen. Einzigartig berührend. Und wir hatten es auf die Minute genau geschafft, dieses Spektakel mitzuerleben. Unvergesslich.

Nach einer angenehm ruhigen Nacht traten wir die Höhlenbesichtigung am Morgen an. Als wir die Höhle betraten, hörten wir die Guacharos um die Wette kreischen. Ein unglaublicher Lärm umgab uns, fast so laut, dass ich mir gerne Ohrenstöpsel verpasst hätte. Aber dann hätte ich unserem Führer nicht mehr zuhören können, also musste es ohne gehen. Neben dem fürchterlichen Lärm, den die Vögel verursachten, stank es auch gewaltig in der Höhle. Es roch nach einer Mischung aus schwitzenden Vögeln, alten, ungesäuberten Nestern, und irgendwie nach ausdünstenden, vergorenen Früchten. Der gesamte Boden war mit Früchten, Kernen, und sogar einigen Sprossen versehen. Vereinzelt sahen wir kleine und grössere Guacharos, die den Sturz aus dem Nest nicht überlebt hatten. Es ist aber auch eine Kunst in den Nestern, die haarscharf an der Kante eines kleinen Wandvorsprungs angebracht sind, nicht herauszufallen. Die Guacharos waren überall und da die Höhle nicht beleuchtet war, sahen wir immer nur kurz vor uns im Schein unserer Laterne die vorbeizischenden, kreischenden Vögel und deren Nester. Guacharos sind extrem lichtempfindlich. Die Höhle wird deswegen nicht beleuchtet, weil sie einerseits dazu führen würde, dass die Guacharos die Höhle verlassen und zum anderen besteht die Gefahr, dass die Guacharos durch zu viel Licht sterben. Wahrscheinlich, da sie durch den Lichteinfall ihre Orientierung verlieren würden.

visiting the cave

visiting the cave

Wir zogen weiter in die Höhle hinein, die immer glitschiger wurde. Einige bemerkenswerte Tropfsteine wurden uns gesondert gezeigt. Nach 400 Metern kamen wir an einen Punkt, bis zu dem vor langer Zeit Alexander von Humboldt vorgestossen war. Der gesamte Weg, der mittlerweile den Besuchern der Höhle zur Verfügung steht, beträgt  1200 Meter. Warum Humboldt es nicht weiter geschafft hatte, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich weiss nur, dass es während der Regenzeit unmöglich ist, weiter als bis zur 400-Meter-Marke zu kommen, da die Höhle durch den Regen weitgehend geflutet wird. Irgendwann kamen wir an einen Punkt, wo wir durch einen winzigen Durchgang mussten. Unser Führer erklärte, dass hinter diesem Durchgang totale Stille auf uns wartete, denn dort gelangen die Guacharos nicht hinein. Er hatte Recht. Kaum waren wir die 4-5 Meter durch den winzigen Eingang gekrochen, hörten wir

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nichts mehr. Wir konnten uns gar atmen hören, so still war es. Ab und zu entdeckte unser Führer wohlgenährte Ratten, die sich aber nicht einmal durch Anleuchten von ihren Tätigkeiten abhalten ließen. Jetzt war es an der Zeit, sich voll und ganz den Schönheiten einer Tropfsteinhöhle zu widmen. Überall hingen fantastische Gebilde von der Höhlendecke herunter und bildeten sich merkwürdig schöne Bauten, die vom Boden aus in die Höhe wuchsen. Bemerkenswert waren vor allem die Steine, die sich von der Decke und vom Boden kommend irgendwann vereinigten. Ich konnte mich an diesen außergewöhnlichen Gebilden gar nicht sattsehen.

Als wir aus der Höhle wieder hinaustraten, lächelten uns mit Schlamm beschmierte Hosenbeine und völlig verdreckte Schuhe an. Unser Führer leitete uns, das Resultat dieses Höhlenbesuches vorausahnend, direkt zu den Wasserhähnen, an denen wir uns notdürftig von unseren “Erlebnissen” reinigten.

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