Bestimmung (November 24-28)

Dezember 7, 2006  
Themen: Mexiko

Nachdem wir 3 Wochen in 22-Millionen-Einwohner! Stadt Mexico und zwei Wochen in der Stadt Cuernavaca, aehnlich gross wie Leipzig, (70 km von der Hauptstadt entfernt) verbracht hatten, machten wir uns auf eine kleine Rundreise. Wir wollten Schildkroeten in der Natur sehen. Wir hatten zuvor von Schildkroetenprojekten am pazifischen Ozean gehoert und ich wollte natuerlich unbedingt zumindest eine Schildkroete in der Natur sehen. Ausserdem wollten wir ein paar zauberhafte Straende in der Naehe von Huatulco mit eigenen Augen sehen, die wir zuvor auf Fotos gesehen hatten. Augustas interessierte sich brennend fuer die Situation in Oaxaca, in der bereits seit einem halben Jahr Aufstaende durchgefuehrt werden. Von Oaxaca sollte es dann direkt wieder nach Cuernavaca gehen.

Am Freitag, 24. November, ging es los. Von unseren Servas Gastgebern Isabel und William zur Autobahn Richtung Acapulco (250km suedlich von Cuernavaca) gebracht, fanden wir uns 10 Minuten spaeter in einem Auto Richtung Acapulco wieder. Der Herr war irgendwie skeptisch, bis wir erwaehnten, was unsere Nationalitaeten sind. Die Stimmung schlug blitzartig um und wir erfuhren, dass wir in Marquella Schildkroeten finden konnten.

Wir wussten, dass es in der Gegend um Ixtapa und Zihuatanejo Projekte fuer die Rettung und Zuechtung von Meeresschildkroeten gab. Da diese Orte sehr touristisch sind, entschieden wir uns in die andere Richtung zu reisen. Da wir nicht wussten, wo wir in dieser Gegend Schildkroeten finden konnten, quetschten wir unseren Fahrer darueber aus. Und somit stand fest, wir fahren nach Marquella.

Wir wollten die Strecke abkuerzen und entschieden uns fuer eine Landstrasse, die ungefaehr 50 km vor Acapulco lag. Wir staerkten uns mit puddinghaften Haferflockenbrei und weiter ging es bis zum naechsten Dorf, durch das die Strasse Richtung Cruz Grande, und somit in Richtung Marquella, fuehrte.

Da standen wir nun, die Sonne auf unseren Haeuptern brutzelnd und sahen entweder kein Gefaehrt oder aber eine handvoll Autos, die ohne anzuhalten an uns vorbeischlichen. Die Fahrer waren so nett uns ihre Richtung anzuzeigen, was genau der unseren entsprach, scheinbar deutete der dazu getaetigte Fingerzeig wohl aber etwas anderes an. Da wir zu diesem Raetsel keine Antwort wussten, gingen wir ein Stueck weiter Richtung Dorfende. Dann endlich hielt ein grosser LKW, der Baumaterialien zu einem Zweiggeschaeft in eines der folgenden Doerfer transportieren musste.

Endlich waren wir in Cruz Grande, einer Kreuzung die wir brauchten um auf die Suedstrasse Richtung Marquella zu kommen. Ein Vater mit seinen zwei Toechtern, der in Marquella wohnte, nahm uns mit. Eneldegildo kam erst kuerzlich aus den USA zurueck, wo er 10 Jahre mit seiner Familie gelebt hatte. Warum auch immer, zeigte er uns mehrmalig all seine Paesse, ob Reisepass, Fahrerlaubnis oder Arbeitsschein, und blinzelte jedesmal gluecklich, wenn er ueber die Region seiner Herkunft redete, in der wir uns jetzt befanden.

Auch Eneldegildo erzaehlten wir von unserem Wunsch Schildkroeten zu sehen und so landeten wir bald am Playa Ventura, einem Ort am Meer ca. 80km von Acapulco entfernt, wo es neben einem Schildkroetenprojekt auch Matrosen gab, die den Strand bewachten. Eneldegildo brachte uns bis direkt zur Militaerzone, wo die Matrosen uns uebernachten liessen.

Nachdem wir unser Zelt aufgebaut hatten, lud uns einer der Matrosen ein, den Strand nach Schildkroeten abzusuchen. Er meinte, dass momentan nur selten Schildkroeten an Land kaemen. Die Meeresschildkroeten bevorzugen regnerisches Wetter um an Land zu kriechen, die Regenzeit war aber bereits vorbei. Wir liefen eine Weile den Strand entlang, gaben aber nach einer halben Stunde auf. Es war erst gegen 20:30 Uhr, die Schildkroeten bevorzugen aber eine Zeit gegen 22-23 Uhr um sich zu zeigen und ihre Eier am Strand abzulegen. Das ist naemlich der eigentliche Grund fuer ihr Auftauchen an Land. Da jeden Tag um 22 Uhr zwei Gruppen gefuehrt von dem Projektleitern der Organisation “El Garapacha” zur Rettung der Meeressschildkroeten in die Militaerzone kamen, um die Eier zu suchen und fuer die Zuechtung zu sichern, versprachen uns die Matrosen die Autos anzuhalten, damit wir mitgenommen werden koennen. Wir gingen also zurueck und schliefen ein wenig.

Die Organisation “El Garapacha” existiert seit 13 Jahren. Bis heute haben ihre Mitarbeiter es geschafft, 8 km Strand fuer den Schutz der Schildkroeten gewinnen zu koennen. Der Grossteil dieses Strandes wird vom Militaer bewacht, damit das Rauben der Eier und das Toeten dieser Tiere aufhoert. Trotzdem gibt es noch immer Menschen, die die Eier stehlen und fuer einen Spotpreis auf dem Markt verkaufen. Hinzu kommt die Spezialitaet Schildkroetenfleisch, die zum Toeten dieser einzigartigen Lebewesen fuehrt.

Gegen 22 Uhr ging es los. Wir quetschten uns auf die voellig ueberfuellte Ladeflaeche und machten uns auf zum Abenteuer Schildkroeten entdecken. Die Gruppen bestanden aus je vier Fuehrern pro Auto und Schuelern des Gymnasiums aus Mexiko Stadt. Die Schueler befanden sich im Abschlussjahr und entschieden eine Reise zu dem Schilkroetenprojekt zu machen, was 4 Tage Aufenthalt am Playa Ventura umfasste. In diesen vier Tagen lernen die Schueler nicht nur das Rettungsprojekt fuer die Schildkroeten kennen und nehmen an der Suche der Eier teil, sondern erfahren in verschiedenen Exkursionen mehr ueber die Region um Playa Ventura, besonders hinsichtlich der Landwirtschaft. Diese 4-Tages Tour kostet jeden Teilnehmer 320 Euro.

Am richtigen Strand angekommen, wurden wir in zwei Gruppen je Auto aufgeteilt. Zwei Fuehrer und je 6 Leute gingen in die eine Richtung, die andere Gruppe in die entgegengesetzte. Die Fuehrer standen ueber Funk in Kontakt. Zudem hatten sie eine Infrarotkamera, die es ermoeglichte in der Dunkelheit die Spuren der Schildkroeten auszumachen. Wir stolperten also den Strand entlang. Gleich zu Beginn fanden wir Spuren von einer Schildkroete, die vorhatte Eier abzulegen. Da sie aber nicht die 50 cm hohe Sandduene emporklettern konnte, entschied sie sich umzukehren. Das erkannten die Fuehrer daran, dass die Schildkroete nur eine Spur hinterliess.

Es handelte sich anhand der Spuren zu urteilen um eine Golfina. Diese misst ca. 1 Meter Laenge und ist ungefaehr kniehoch. Die Golfina legt um die 100 Eier. Diese buddelt sie circa einen halben Meter tief im Sand ein. Die Jungen schluepfen 40-45 Tage spaeter und haben eine Groesse von 5-6 cm. Die zweite Schildkroetengattung, die diesen Strand zum Eierlegen bevorzugt, ist die Laśd. Das ist die groesste Schildkroete der Welt, mit einer Laenge von zwei Metern und einer Hoehe von einem VW Kaefer. Wir versuchten uns eine Laśd vorzustellen und hofften instaendig diese Nacht auf eine zu treffen. Das Nest der Laśd ist 1,5 Meter tief. Die Laśd legt um die 80-90 Eier und die Jungen schluepfen 60-65 Tage spaeter.

Claudio, einer der Projektleiter, erklaerte, dass im Vivero, einem umzaeunten Brutplatz fuer die Schildkroeten, 80-90 Prozent der gelegten Eier neue Leben hervorbringen. Dagegen liegt die Rate ohne die Hilfe des Projektes bei 50 oder weniger Prozent. Bei 100 Eiern bedeutet das, nur 50 Schildkroeten schluepfen, viele werden noch auf dem Weg ins Meer von Hunden oder Voegeln gefressen und einige Sterben durch natuerliche Feinde im Meer. Gesagt sei, dass von 100 Eiern nur 1 Schildkroete ueberlebt. Deshalb eben ist es so wichtig, die Eier zu schuetzen und die Schildkroeten damit vor dem Aussterben zu bewahren.

Wir liefen und liefen, bis wir alle irgendwann ausgelaugt und durstig waren. Wir setzten oder legten uns zum Ausruhen in den Sand. Dann hiess es den Rueckweg antreten, doch so sehr wir unsere Augen aufsperrten, konnten wir nicht eine Schildkroete entdecken. Zurueck am Ausgangspunkt loeschten wir unseren Durst. Da wir alle ziemlich erschoepft waren, boten die Fuehrer an zurueckzufahren und spaeter noch einmal zu suchen. Trotz dass es uns nicht anders als allen Teilnehmern ging, wollten wir weitersuchen. Wir schlossen uns also als einzige Teilnehmer vier Fuehrern an und liefen die gesamte Strecke bis zu dem Militaerzoneneingang ab. Es war mittlerweile 1 Uhr nachts und warum auch immer, hatten wir nicht eine Schildkroete in unserem dreistuendigen Marsch gesehen. Dagegen fanden die Gruppen am vorherigen Tag insgesamt 18 Schildkroeten. Wir waren enttaeuscht und ausgelaugt, und da unser Zelt nunmal im Militaergebiet aufgestellt war, verabschiedeten wir uns letztendlich.

Wir waren muede, aber dermassen hungrig und durchgeschwitzt, dass wir neben einem Nachtmahl auch eine Dusche nahmen. Der Duschplatz befand sich nicht weit von unserem Zelt. Er bestand aus drei mit Regenwasser gefuellten Tonnen, drei steineren Waschbecken und einem Sitzschutz aus Palmenblaettern. Der Sichtschutz war aber nur halb um den Duschplatz vorhanden. Zur Seite des Meeres gab es freie Sicht auf die sich badenenden Koerper.

Es war nach Mitternacht, der Mond war verschwunden und die Matrosen in ihren Betten. Nur einer der Matrosen hielt Wache. Wir gingen also zum Duschplatz, befestigten eine unserer Lampen und fingen an zu duschen. Da es mittlerweile kalt und windig war, klapperte ich recht schnell mit den Zaehnen und meine Gaensehaut war selbst in der Dunkelheit gut sichtbar. Augustas war gerade fertig und dabei sich wieder zu kleiden, als es fuerchterlich anfing zu regnen. Ich stand noch nackt, teils eingeseift auf dem Duschplatz. Augustas baute das Licht ab, womit ich voellig im Dunkeln stand. Ich beendete meine Dusche so schnell es ging, doch hatte ich keine Moeglichkeit mehr mich abzutrocknen, ohne dass meine Sachen komplett durchgeweicht worden waeren. In dem Moment tauchte auch der diensthabende Matrose auf und ich rief Augustas zu, “lass ihn bloss nicht um die Ecke schauen!”. Waehrenddessen stuelpte ich mein T-Shirt ueber den nassen Oberkoerper und versuchte mich wenigstens unten herum abzutrocknen. Da legte der Regen aber noch ein wenig zu und ich konnte nur noch meine Sachen greifen und mit nacktem Hintern unter die Daecher rennen, die auch unser Zelt beherbergten. Barfuss in der Dunkelheit war dann doch nicht so eine gute Idee und ich trug gleich ein paar Abschuerfungen an meinem rechten Fuss davon. Unter den Daechern angekommen war es meine erste Sorge, endlich in meinen Slip zu schluepfen, fuer Augustas war es dagegen weit wichtiger das Zelt in Sicherheit zu bringen. Ich schluepfte also mit meinem nassen Hintern fix in den Slip, um sogleich die Plastikplane ueber das Zelt zu stuelpen, damit wir wenigstens im Zelt trocken blieben. Erst waren wir ein wenig missgestimmt ueber die ploetzlichen Regenschauer, doch bald konnten wir nur noch darueber lachen. Als der Regen aufhoerte, wuschen wir die Unmengen von Sand von unseren Fuessen und huepften nass wie die Spatzen in unseren Schlafsack.

Am Vorabend hatte Claudio uns eingeladen, den Vivero zu besuchen und schluepfenden Schildkroeten aus dem Nest zu helfen. Wir halfen einigen Golfinas auf die Welt, die es bei der Haerte des Sandes wirklich schwer hatten, sich allein herauszubuddeln. Claudio oeffnete ein Nest, was zum heutigen Tage das Schluepfen ankuendigte. Jedes Nest wird bei seiner Anlegung mit den Daten der Eierfindung versehen. Je nachdem welche Gattung gefunden wird wissen die Mitarbeiter des Projektes Bescheid, wann die Zeit zum Schluepfen reif ist. Claudio fing an, die winzigen, knapp 6 Zentimeter grossen Schildkroetchen aus dem Nest zu angeln. Dabei musste er vorsichtig den Sand wegschieben, damit er keines dieser zarten Geschoepfe verletzt.

Wir bekamen auch die Moeglichkeit die vielen “Neugeborenen” aus dem Nest zu bergen. Es war eine himmlische Aktion, diesen Minikreaturen ans Tageslicht zu helfen. Sobald ich eine in der Hand hatte, klammerten sich die Vorderflossen um meinen Finger. Ich konnte die Muskelanspannungen richtig spueren! Ach war das fantastisch! Ich war so gluecklich. Wir liessen die Schildkroetchen aus dem Nest und befoerderten sie in einen mit Sand und Wasser ausgelegten Kasten. Dort wuerden sie bis zum spaeten Nachmittag, also bis 16-17 Uhr verweilen muessen, um dann am Strand ausgesetzt zu werden, damit sie ihren Weg ins Wasser finden. Tagsueber wuerden sie den Weg aus Kraftmangel und wegen der starken Sonneneinstrahlung nicht schaffen. Zu einer bestimmten Tageszeit aber werden sie aktiv und los geht die Partie ins Meer!

Als wir im Vivero waren erfuhren wir auch, dass in der letzten Nacht zwischen 3-4 Uhr eine Laśd an Land kam und ganze 87 Eier abgelegt hatte. Die Laśd soll sehr schoen und riesig gewesen sein. Wir konnten kaum glauben, dass uns diese Begegnung nicht zuteil wurde. Die Laśd kam direkt vor dem Vivero an Land, der sich 3km von dem Militaergebiet befand, in dem wir naechtigten. Oh, war ich traurig! Claudio entschuldigte sich, dass er uns nicht informieren konnte, da wir kein Telefon hatten. Aber selbst dann haetten wir es nicht rechtzeitig geschafft, die Schildkroete zu sehen, denn von der Militaerzone aus haetten wir eine Stunde laufen muessen.

Wir machten uns nach Huatulco auf, schafften es aber den Tag nur bis Pinotepa Nacional. Dort fragten wir gleich in der am Ortseingang befindlichen Militaerzone nach einer Zeltmoeglichkeit. Wie einst in Guatemala waren wir gerade dabei die Wachsoldaten um Hilfe zu bitten, da kam ein Kommandant angefahren. Nach kurzer Erklaerung unserer Situation, bat er uns in sein Auto und fuhr zu einem naheliegenden Gelaende. Dort befand sich eine Riesenanlage, mit Restaurant, Swimmingpool, viel Gruenflache und einem Basketballplatz. Die Anlage schien aber seit geraumer Zeit stillgelegt zu sein. Noch bevor wir aus dem Auto stiegen erklaerte uns Kommandant Hector Morazan, dass “wir seine Freunde waeren und wir uns in Europa kennengelernt haetten”. “Denkt euch eine Geschichte aus, wie und wo wir uns kennengelernt haben.” Wir schluckten. Es war also Luegen angesagt, um unsere Nacht an einem sicheren Ort zu verbringen. Vom Glueck verwoehnt, blieb uns das Luegen aber erspart. Der Besitzer des Restaurants verliess den Ort zusammen mit dem Kommandanten und der einzige Mensch ausser uns der blieb war der Wachmann.

Nach einem wohligen Waschgang in eines der etwas sauberen, nicht von Eidechsen-Exkrementen uebersaeten Dusche, und einem heilwegs zusammengewuerfelten Essen, ging es diesmal recht frueh zu Bett.

Erst am Sonntag gegen 4 Uhr nachmittags erreichten wir Huatulco. Jetzt mussten wir die wunderschoenen Straende nur noch finden, von denen wir noch nicht einmal die Namen, geschweige denn ihre Lage wussten. Wir fragten uns auf der Strasse durch und fanden heraus, dass es schoene, einsame Straende gab, die lagen aber noch eine Autostunde von Huatulco entfernt. Dazu fuhr ein Bus einmal pro Stunde. Den wollten wir nehmen, falls wir keinen Fahrer finden. Ein Auto hielt an. Mitten im Gespraech tauchte ploetzlich der Bus auf. Ich versuchte schnell klarzumachen, ob das Paar im Auto in unsere Richtung unterwegs war und uns mitnehmen wuerde. Der Bus fuhr an dem Auto vorbei. Augustas stand wie gebannt da und liess ihn weiterziehen. Ich rief ihm zu, “Das ist unser Bus!”, doch Augustas ruehrte sich nicht. Genau in diesem Moment erfuhr ich, dass die Beiden nicht weiter als bis zur naechsten Ecke fahren. Ich konnte es nicht glauben. Warum bitte hatten sie fuer uns angehalten? “Augustas, halt den Bus an!” Doch Augustas schaute nur gelassen zu wie der Bus verschwand. Ich fing an loszuwettern, ich war so was von sauer! Warum liess Augustas nur den Bus davonfahren? Unschuldig dreinblickend hoerte er mir zu. Ich erwaehnte, dass der naechste Bus erst in einer Stunde kommt. Augustas hatte diese Information zuvor ueberhoert. Ich brauchte einige Minuten um wieder ruhig zu werden, denn “alles was passiert hat einen guten Grund”. Nur welchen?

Da es aussichtslos schien ein Auto in Richtung der einsamen Straende zu finden und bereits zu spaet noch eine Stunde auf den Bus zu warten, trampten wir zu dem nahegelegenen Strand Bahia Santa Cruz. Der Strand war absolut touristisch, voller Restaurants und Hotels. Wir versuchten ein anderes Plaetzchen am Wasser zu finden. Die Strasse nahm kein Ende und so baten wir einen Hollaender um Hilfe. Der schlug uns vor auf dem oeffentlichen Parkplatz hinter einem naheliegenden Hotel zu naechtigen. Widerwillig strebte ich den Parkplatz an. Was sollte nur aus meinem Traum werden, eine Nacht an einem einsamen, wunderschoenen Strand, umgeben von Bergen zu verbringen? Es dauerte lange, bis ich die Situation akzeptierte. Ich war traurig. Wir hatten keine Schildkroeten gesehen und nun auch nicht die wundervolle Natur am pazifischen Ozean geniessen koennen. Aber was half es, es war mittlerweile dunkel und damit stand uns kein anderer Weg offen.

Wir machten es uns so weit es ging gemuetlich. Waehrend wir im Zelt speisten, hoerten wir mehrere Male ein Auto anhalten, jemanden aussteigen und bald darauf wieder einsteigen. Weg war das Auto, da war der Urin. Jawohl, wir hatten uns ausgerechnet hinter einem Busch stationiert, um Scharen von Maenner zuzuhoeren, wie sie sich ihres Urins entledigten. Ich konnte nicht glauben, was aus meiner Vorstellung fuer diesen Abend geworden war. Trotzdem akzeptierte ich es. Alles hat einen Grund, nur den musste ich erst herausfinden.

Am Morgen mussten wir wohl oder uebel nach Oaxaca reisen, um spaetestens Dienstag wieder in Cuernavaca zu sein. Wir warteten ja noch immer auf die Digitalkamera, die wir in eBay ersteigert hatten, und mussten bei Lieferung dieser anwesend sein, um die Import-Steuern zu bezahlen. Wir fuhren also nach Pochutla, um dann die 230km nach Oaxaca zu reisen. “Das sollte uns heute ja wohl gluecken, ist ja nicht so weit”, meinten wir. Falsch gedacht. Wir standen 2-3 Stunden in Pochutla und nichts ruehrte sich. Kein einziges Auto hielt an. Wir haetten uns gern fuer einen anderen Weg entschieden, aber irgendwie waren wir uns nicht schluessig, ob das etwas an unserer Situation aendern wuerde. Zudem war es bis Acapulco eine schon bekannte Strecke und letztlich doppelt so lang wie nach Oaxaca. Wir warfen eine Muenze. Kopf fuer Oaxaca, Zahl fuer Acapulco. Das Resultat war Kopf.

Wir liefen die Strecke Richtung Oaxaca weiter hinauf, passierten eine Tankstelle, und kamen irgendwann an eine kurvenreiche Passage. In Kurven Autos anhalten funktioniert nicht wirklich, wir machten also ein Stueck davor halt. Kein Auto hielt an. Wir hielten es nach 4 Stunden warten und der Tatsache Dienstag wieder zurueck in Cuernavaca sein zu muessen fuer sinnvoll, die Busfahrt in Erwaegung zu ziehen. Wir fragten uns wieder auf der Strasse durch und erfuhren, dass der Bus gegen 17 Uhr vorbeikommt und 70 Pesos (6 €) kostet. Wir hatten 150 Pesos (15 €) uebrig. Das konnten wir also gerade noch bezahlen.

Eine halbe Stunde spaeter tauchte ein Mini-Bus auf. Reiseziel Oaxaca. Wir fragten nach dem Preis: 100 Pesos (8,50 €) pro Person. Das konnten wir nicht bezahlen. Wir dankten und weg war der Bus. Wir trampten weiter. Da kam der Mini-Bus zurueckgefahren, hielt an und fragte, “Ich nehme euch mit fuer 80 Pesos (7 €) pro Person.”. “Wir haben nur 75 Pesos (6,25 €).” “Ok, steigt ein!” Da wurde auch schon unser Rucksack eingeladen und drinnen sassen wir. Der Fahrer hatte vergessen einen Brief abzuliefern und musste deshalb zurueck. Wir waren gluecklich, wir wuerden frueher in Oaxaca ankommen als mit dem grossen 5 Uhr Bus.

Die Fahrt war anstrengend. Der Weg so kurvenreich, dass es uns alle 5 Meter in eine andere Richtung schleuderte. Deshalb lehnte ich mich gegen Augustas, der mich gut und wohlig festhielt. Die Landschaft strich an uns vorbei, begleitet von wunderschoenen Balladen, die ueber das Autoradio toenten. Wir laechelten uns an, Arm in Arm sitzend und vergassen die Welt um uns herum…

Kurz vor unserem Ziel hielt der Busfahrer fuer einen anderen Fahrgast an. Der Fahrgast reagierte nicht. Weder Hupen, noch Anschreien oder Antippen half. Der Busfahrer stieg aus, oeffnete die Tuer und ruettelte den Fahrgast. “Wir sind in Pueblo A. Aufwachen! Wir sind da! Oder wollen Sie bis Oaxaca? Aufwachen! Wir sind angekommen! Aussteigen!” Der Gast murmelte kurz, “Ah, wir sind da!”, drehte sich auf die andere Seite und schlief weiter. Der Busfahrer wurde energischer und ruettelte den Fahrgast mittlerweile unsanft. Sanfte Ohrfeigen folgten, um ihn aus seinem Tiefschlaf zu holen. Die ganzen Businsassen beteiligten sich an der Aufwachaktion und zusammen lachten wir uns halb tot. Das war ja so was von komisch! Dann endlich, er wachte auf und der Busfahrer zerrte ihn aus dem Bus auf die Strasse. Wankend stand er da. Ihm wurde seine Jacke ueberreicht, die Tuer schlug zu und der Fahrer marschierte zu seinem Platz. Waehrenddessen konnten wir beobachten, wie der Fahrgast seine Jacke anzog. Er nahm die Jacke vor sich, kroch mit seinen Armen in die Aermel und stuelpte die Jacke mit dem Kragen hinter sich. Das war ein wenig verkehrherum, aber es stoerte ihn ueberhaupt nicht. Nun brach der ganze Bus vor Lachen in Traenen aus. Wir hielten uns die Baeuche und konnten uns lange nicht beruhigen.

Ganze sechs Stunden dauerte die Fahrt. Endlich waren wir da und wurden von dem hilfsbereiten Fahrer am Firmenparkplatz der Busse herausgelassen. Wir fragten, ob wir dort zelten koennten, doch war das nicht moeglich. Wir wurden zu einem zwei Strassen weiter entfernt liegenden Park geschickt. Der Park war klein und sehr oeffentlich gelegen. Das war keine Loesung fuer uns. Wir fragten auf der gegenueberliegenden Strassenseite einen Herrn des medizinischen Dienstes vom Roten Kreuz. Er arrangierte, dass wir auf dem Parkplatz des Roten Kreuzes schlafen konnten.

Dort angekommen entschieden wir uns fuer den bestgelegenen Platz. Eine Toilette gab es nicht, wir sollten unsere Notdurft irgendwo um die Ecke verrichten. Da der Parkplatz, den wir uns herausgesucht hatten, noch besetzt war, wurden wir um Geduld gebeten. Nach 15-20 Minuten kam der Fahrer dann. Er stellte sich als Jose Alberto vor. Er war dabei, als wir im medizinischen Dienst um Hilfe fuer einen Platz zum Zelten baten. Er oeffnete die Autotuer und fragte, “Wollt ihr bei mir oder hier auf dem Parkplatz naechtigen?” “Bei dir!”, war unsere klare Antwort. Was fuer ein Glueck wir doch hatten! Jose erklaerte uns, dass der Rote Kreuz Parkplatz, genau wo wir unser Zelt aufbauen wollten, der Ankunftsort fuer Dahingeschiedene ist. Sie werden dort ausgeladen und zum Leichenhaus gebracht, was direkt an die Ecke grenzte, wo wir unsere Notdurft verrichten sollten.

Wir fuhren zu einem Strassenverkaeufer und Jose lud uns zu einer “Tlayuda” ein. Das ist eine ueberdimensionale Tortilla, gefuellt mit Bohnenmuss, Salat, Chilisosse, Kaese und Fleisch. Wir nahmen die vegetarische Variante und fuhren zu Jose’s Haus. Dort wartete seine vier Monate alte Schaeferhundin auf uns. Erst war sie schuechtern und dann wollte sie nur noch spielen. Sie sprang uns vor Freude an, was aber wegen ihrer Groesse ziemlich wuchtig wirkte. Ach, war die suess! Nach dem Abendessen konnten wir auch noch das Internet nutzen und fielen alsbald erschoepft aber uebergluecklich auf unsere Matratzen.

Jose brachte uns am Morgen zum Bus, mit dem wir direkt bis zur Autobahn fuhren. Bezahlt hatten wir nur bis zu einer Station weit zuvor, der Fahrer brachte uns also kostenlos bis zur Autobahnauffahrt. Die guten Dinge nehmen kein Ende.

Wir hielten einen LKW-Fahrer an, der den ganzen Weg bis Mexico Stadt fuhr. Unglaublich, wir wuerden mit dem ersten Gefaehrt bis zu unserem Ziel gebracht! Sergio, der Fahrer, brauchte uns um wach zu bleiben. Wir fingen also an ihn zu unterhalten. Die Strecke war lang und dauerte 8-9 Stunden. Sergio war eine sehr angenehme Person, lustig, freundlich und sehr warmherzig. Wir fuhren und fuhren, bis er uns zu einem Mittagsmahl einlud.

Weiter ging es eine unglaublich schoene Berglandschaft entlang. Ich entdeckte, dass die komischen Gewaechse auf allen uns umgebenden Bergen Kakteen waren. Riesige, einzeln stehende Kakteen! Wir waren fasziniert von dem Anblick. Je naeher wir den Bergen und somit den Kakteen kamen, desto mehr leuchteten unsere Augen. Was fuer ein Naturwunder! Sergio hielt an, damit wir Fotos machen konnten. Da die Berge aber noch zu weit weg waren, hielten wir fuer Nahaufnahmen Ausschau. Die Landschaft aenderte sich schnell und als wir ploetzlich an riesigen Kakteen-Baeumen vorbeikamen, mussten wir Sergio gar nicht bitten anzuhalten. Er stoppte und wir rannten fuenfzig Meter zurueck, um diese Weltwunder zu bestaunen. Was fuer ein Gluecksgefuehl! Wir fuehlten uns wie kleine Kinder die die Welt entdeckten! Die Gegend sah aus wie im Bilderbuch, so wie wir uns Mexico vorgestellt hatten. Alles schien trocken, es gab viele Dornenbuesche, Baeume von Kakteen und zwischendurch traumhafte Blueten. Der Himmel war blau, die Sonne heizte die Gegend so sehr auf, dass alles staubig und vor Hitze schimmernd war. Es fehlten nur noch zwei auf Eseln reitende Mexikaner mit Sombreros (riesen Strohhueten) auf dem Kopf. Es war der Wahnsinn! In dem Moment wurde mir klar, warum wir keine Schildkroeten gesehen, die einsamen Straende nicht gefunden und kein Auto bis Oaxaca bekommen haben, die Muenze aber trotzdem anzeigte, dass wir unsere Route nicht verlassen sollten. Das war der Grund! Wir waren bestimmt diese unfassbar schoene Gegend der Erde zu sehen. Das Leben ist schoen.

Die letzten drei Stunden waren fuer Sergio schwer zu bewaeltigen. Er hatte bereits 1,5 Tage nicht geschlafen und fuhr fast ununterbrochen. Wir waren etwas besorgt um seinen Zustand und versuchten ihn mit Fragen wach zu halten. Sergio hielt an, um sich frisch zu machen. Er lief hin und her, putzte sich die Zaehne, wusch sein Gesicht mit eiskaltem Wasser und nahm einen winzigen Schluck Cola zu sich. Sergio puscht sich nicht mit koffeinhaltigen Getraenken auf. Er kaempft, bis er fuehlt es geht nicht weiter. Dann schlaeft er 3-4 Stunden und setzt die Fahrt fort. Diesmal goennte er sich den Schlaf nicht. Er wollte nach Hause und fuehlte, dass seine Grenzen noch nicht erreicht waren. Wir waren allerdings alarmiert und versuchten mit den sinnlosesten Fragen und Geschichten seine Aufmerksamkeit zu stabilisieren.

Auf diese Weise schafften wir es bis Mexico Stadt. Dort wartete wie immer ein riesiger Stau auf uns, der weiter 1-2 Stunden Fahrzeit bedeutete. Es war dunkel als uns Sergio an der Metro herausliess. Wir fuhren zur Busstation und welch ein Wunder, kriegten noch den letzten Bus bis Cuernavaca. Es war Dienstag Nacht, wir hatten es geschafft.

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