Ueberfallen (April 3)
April 4, 2007
Themen: Costa Rica
Am Dienstag fuhren wir zusammen mit Rosi und Maji nach San Isidro. Nach einigen Erledigungen und einem letzten Reis-Bohnen-Salat Mahl brachten die Beiden uns ausserhalb San Isidros zu einer perfekten Tramperstelle. Der Abschied fiel schwer, doch freuten wir uns auf das, was vor uns liegt. Maji’s letzte Worte waren, “Moeget ihr den besten Lift eures Lebens bekommen!”.
Untypisch fuer unsere bisherigen Erfahrungen in Costa Rica, stoppte in nur 20 Minuten ein Auto. Der Fahrer war zu verschiedenen Flughaefen in Costa Rica unterwegs, um verlorengegangenes Gepaeck abzufangen und zu dessen Besitzern zurueckzubringen. Ich dachte solche Gepaeckverlustgeschichten passieren eher selten, er meinte aber, “Jede Woche wird so viel Gepaeck fehlgeleitet, dass meine Arbeit bisher gesichert war.” Der Fahrer arbeitete bereits seit 4 Jahren als Gepaeckengel und sein Schwager schon seit 10 Jahren.
Wir wurden bis Cartago mitgenommen. Da unser Fahrer nicht weit in die Stadt hineinwollte, liess er uns an der Kreuzung Richtung San Rafael und damit direkt an der Hauptstrasse heraus, die zum aktiven Vulkan Irazu fuehrte. Wir deckten uns mit Fruechten und Brot ein und marschierten los. Laut unserem Fahrer befanden wir uns am Ende der Stadt und nur Doerfer wuerden auf dem weiteren Weg folgen.
Es war schon dunkel und wir suchten nach einem passenden Zeltplatz. Leider befanden wir uns in einer Art Industriegebiet, wo sich weit und breit kein Fleckchen Grass befand. Auf dem Weg fanden wir aber zumindest ein Restaurant, in dem wir unsere Notdurft verrichten konnten. Normalerweise “fahren” wir direkt mit unserem Gepaeck vor bzw. in ein Restaurant und erledigen unser Geschaeft. Diesmal fuehlte ich mich unwohl, da vor dem Restaurant eine Karawane von LKWs geparkt war und mir weder die Gegend noch die Leute sehr vertrauenswuerdig erschienen. Ich bat Augustas samt Gepaeck im Dunkeln zu verharren.
Weiter ging es, vorbei an einem riesigen, umzaeunten Gelaende. Wir wussten nicht recht, ob es ein Krankenhaus oder vielleicht eine Schule war, aber es bot genuegend Platz zum Zelten. Augustas schlug vor wegen eines Zeltplatzes fuer die Nacht zu fragen. Ich wusste nicht so recht was ich wollte. Ich sehnte mich einfach nur nach einem ruhigen Plaetzchen fuer uns zwei, ohne gross Erklaerungen abgeben zu muessen. Wir entschieden weiterzulaufen. Da liefen uns zwei Gestalten entgegen, einer sah drogenabhaengig aus und versteckte sein Gesicht unter einer Kapuze. Ein weiterer rannte hinter diesem ersten Herrn her und holte ihn schliesslich ein. Der Zweite sah sehr heruntergekommen und abgemagert aus. Als die Herren an uns vorbeiliefen schrillten meine Alarmglocken. Trotzdem liefen wir weiter. Wir fanden ein recht grosses Wiesenstueck, dass sich direkt hinter einer Reparaturwerkstatt fuer LKWs befand. Beim Betreten der Wiese wurden wir aber sogleich von ein paar Hunden vom gegenueberliegenden Huegel unfreundlich darauf hingewiesen, dass wir nicht willkommen waren. Im Normalfall kuemmern wir uns nicht um die Hunde, doch wir fuehlten uns unwohl und setzten unsere Suche lieber fort. Gleich darauf kamen wir an einem Haus vorbei, in dessem angrenzenden Garten ein dunkles Fleckchen zum Zelten zur Verfuegung stand. Sollten wir nicht einfach hier fragen, ob wir ueber Nacht bleiben koennen? Ich konnte mich nicht zum nachfragen hinreissen lassen, da das zerstoerte, metallene Gartentor nicht gerade vertrauenserweckend wirkte. Weiter ging unsere Suche, bis wir an einem grossen, steinigen Feld vorbeikamen. Wir fuehlten uns bereits vom Huegel aus beobachtet, so dass wir schnell eine Bleibe finden wollten, doch auch hier wurden wir nicht fuendig.
Waehrend wir das Feld gerade verlassen wollten, kam ein Herr vom Huegel auf der gegenueberliegenden Strassenseite herunter, ueberquerte die Strasse und schien das Feld 20 Meter entfernt von uns zu ueberqueren. Ploetzlich machte er eine Wendung und drehte direkt auf uns zu. Er kam in schnellen Schritten und als er nah genug bei uns war, schwang er einen riesigen Holzknueppel nach oben und herrschte uns an, “Gebt mir Knete!”. Mir schien, dass uns der Mann ueberfiel, den ich zuvor mit dem Drogenabhaengigen an uns vorbeiziehen sah. Er drohte uns mit dem Stock, den er auf Schulterhoehe senkrecht in Angriffsstellung hielt. Augustas, beladen mit Rucksack hinten und vorne, fing an mit lauten “NO!”-Bruellern auf ihn zuzulaufen. Der Mann schlug mehrere Male auf Augustas ein, der versuchte, ihn mit schubsen und weiterem, lautstarkem Gebruell zu vertreiben. “Gebt mir Geld! Gebt mir Knete!” Ich hielt mich im Hintergrund, denn mit meiner Art mich sonst in physische Auseinandersetzungen einzumischen hatte ich bisher keine guten Erfahrungen gemacht. Jetzt griff der Mann nach meinem Rucksack. Augustas versuchte ihm davon abzuhalten, was weitere Schlaege mit dem Stock nach sich zog. Da konnte ich einfach nicht mehr ruhig bleiben und stuermte auf den Mann zu. Ich rannte direkt in ihn hinein und ergriff sein Gesicht. Ich wusste, dass wenn ich so nah bin, kann er mit dem Stock nicht zuschlagen. Wir rangelten ein wenig hin und her, bis er mich mit voller Wucht von sich schmiss und ich mit Gewalt gegen eine riesigen Stein brechte. Ich schrie auf und fiel daraufhin rueckwaerts oberschenkeltief in eine guelleartige Pfuetze. Mein linkes Bein war verletzt und ich konnte einfach nicht auftreten. Alle Versuche aus der Guelle herauszukommen und Augustas, der sich weiterhin mit dem Mann auseinandersetzte zu Hilfe zu eilen, waren vergeblich. Der Schmerz im Bein war dumpf und brachte mich zu einem wimmernden Weinen. Mir wurde sofort klar, dass unsere einzige Chance aus der Situation herauszukommen, im Alarmieren von Nachbarschaft und vorbeiziehenden Autos bestand. Ich fing also an aus Leibeskraeften “Socorro! Help!” zu schreien. Waehrend des ganzen Ueberfalls ist nicht ein Auto an uns vorbeigefahren, doch endlich tauchten Lichter auf. Ich schrie wie am Spiess und versuchte mit meinen Armen die Aufmerksamkeit der Fahrgaeste zu erlangen. Leider sass ich in einem Graben fest, direkt hinter einem riesigen Stein, so dass mich keiner sehen konnte. Augustas trieb derweil den Mann weiter zurueck und fing an Autos anzuhalten. Ein LKW hielt an und zwei besorgte Maenner kamen auf uns zu. Augustas erklaerte kurz die Situation und schon halfen sie uns, die Rucksaecke auf die Ladeflaeche zu heben und mich aus dem Graben herauszuziehen. Ich konnte nicht auftreten, da mein Bein unter einem enormen Druckschmerz stand. Augustas ging es soweit gut, denn durch den Schutz der Rucksaecke an seinem Koerper, hat ihn nur ein Schlag etwas haerter getroffen. Waehrend wir aufluden und einstiegen wurde der LKW mit Steinen beworfen, die vom Huegel der gegenueberliegenden Strassenseite aus flogen. Der Mann, der uns ueberfallen hatte, war spurlos verschwunden. Wir stiegen schnell ein und weg waren wir.
Rolando, der Fahrer, und sein Sohn liessen sich kurz meinen Zustand schildern. Wir baten uns in ein Hostel zu bringen, doch Rolando schlug das Krankenhaus vor. Ich stimmte zu, da ich das Gefuehl hatte, dass mein linker Oberschenkel am Platzen ist. Er war ums zweifache angeschwollen und obwohl ich fuehlte, dass er nicht gebrochen war, wollte ich meine Verletzung lieber begutachten lassen. Rolando gab mir noch seine Telefonnummern, damit wir ihn am folgenden Tag anrufen konnten. Er bot an, uns in Cartago abzuholen und zu seinem Dorf nahe des Vulkans Irazu zu bringen. Dort wuerden wir sicher sein und leicht einen Zeltplatz finden. Ich war geruehrt von so viel Hilfe und Mitgefuehl, ich haette heulen koennen. Beim Aussteigen griff Rolando’s Sohn (ca. 10 Jahre) nach meinem Arm und meinte besorgt aber bestimmt, “Ruf uns morgen an, ok?” Jetzt hatte ich wirklich zu kaempfen, dass mir nicht die Traenen die Wangen herunterliefen. Solche Worte von einem jungen Burschen wie ihm trafen mich mitten ins Herz.
Das Krankenhaus war gerammelt voll und verhiess viele Wartestunden. Waehrend Augustas mich anmeldete und von unserem Vorfall berichtete, versuchte ich den Krampf in meinem geschwollenem Oberschenkel zu loesen. Trotz das ich fix und fertig war, ruehrte mich das Mitgefuehl Rolando’s und seines Sohnes so sehr, dass ich mich gluecklich fuehlte. Was fuer tolle Menschen es doch gibt! Irgendwann wurde ich ins Arztzimmer gebeten, um meine Blutdruckdaten etc. aufnehmen zu lassen. Ich wurde sogleich in einen Rollstuhl verfrachtet und zum Roentgen weitergeleitet. Das gesamte Krankenhauspersonal, mit dem ich zu tun hatte, zeigte volle Anteilnahme und beteuerte seine Traurigkeit ueber den Vorfall. Die Bilder waren im Nu fertig und bestaetigten, dass das Bein nicht gebrochen war. Ich wurde ins Wartezimmer zurueckgefuehrt und sass dort wie auf einem Praesentierteller in meinem blauen Rollstuhl. Augustas und ich realisierten wie viel Glueck wir doch im Unglueck gehabt hatten. Wir waren frohen Mutes und warteten nur noch auf die Begutachtung meines Beines von einem Arzt. Die Diagnose des Arztes war ein grosses Haematom im linken Oberschenkel. Die gute Nachricht war, dass es nicht geoeffnet werden musste. Mit Kuehlen und Ruhigstellen sollte das ganze vier Tage der Heilung benoetigen. Ich haette die Heilung auch in zwei Tagen haben koennen, lehnte aber Injektionen und Tabletten als Behandlungsmittel ab. Der Schmerz war schliesslich ertraeglich. Wir wollten uns gerade verabschieden, da erwaehnte der Doktor eine Injektion, die ich mir noch abholen sollte. “Um Gottes willen, ich will keine Spritze!” Der Arzt hatte uns missverstanden, strich nun aber die Anordnung fuer eine derartige Behandlung. Wir fragten ihm nach den Kosten der Krankenhausbehandlung, woraufhin er uns an die Rezeption verwies. Dort praesentierten wir meinen Datenbogen und wollten bezahlen. “Sie muessen nichts bezahlen, die Behandlung ist fuer sie kostenfrei. Das hat die Dame dort drueben angeordnet.” Wir konnten unser Glueck kaum fassen.
Mit dem Taxi ging es dann zu einem guenstigen Hostel. Das lag zwar in einer nicht gerade sicheren Gegend, war aber erschwinglich. Solange wir uns des nachts nicht draussen aufhielten, meinte der Taxifahrer, wuerden wir keine Probleme haben. Im Hostel angekommen, schilderten wir kurz unsere Erlebnisse. Daraufhin meinte der Hostelbesitzer, “Sie muessen fuer die Uebernachtung nichts bezahlen.” Augustas und ich begriffen nicht ganz, obwohl wir es beide deutlich gehoert hatten. Auf unser Zoegern aeusserte der Herr, “Habt ihr mich verstanden?”. Wir nickten langsam und wurden daraufhin in unser Zimmer gefuehrt. Es war unglaublich wie viel Anteilnahme uns von allen Seiten zuteil wurde.
Da sassen wir in unserem Kaemmerchen, voller Gedanken an die guten Menschen, die wir seit dem Ueberfall getroffen hatten. Traurig machte uns die Tatsache, dass der Herr, der uns ueberfallen hatte, so verzweifelt schien, dass er zu einer derartigen Tat greifen musste.
Wirklich blöde Situation in welche ihr da geraten seid und keiner kann sagen was er an eurer Stelle getan hätte. Grundsätzlich sollte man bei Überfallen aber nicht den Helden spielen, denn Schusswaffen sind bei vielen Gaunern sehr verbreitet und es wird auch ohne Rücksicht auf Verluste davon Gebrauch gemacht. Also im Zweifel lieber den Rucksack rausrücken, den kann man ersetzen, das Leben nicht.
Pura Vida
Heiko