Nicht die Plastikplane Madame Kuh! (September 14 – 16)

November 29, 2006  
Themen: Guatemala

Von Soloma ging es nach Santa Eulalia. Wir wurden von zwei Bauingenieuren aufgegabelt. Wir fuhren eine Weile zusammen auf dem Anhaenger. Im naechsten Dorf angekommen wurde ich gebeten vorn im Fahrerhaus Platz zu nehmen. Die beiden Bauingenieure, beide aus Guatemala Stadt, erklaerten mir, dass wir sehr vorsichtig mit den Einheimischen in dieser Gegend sein sollten. Die Menschen der hiesigen Region haetten Angst, dass man ihre Kinder oder Seelen stehlen koennte. Dafuer wuerde die hier vorherrschende geringe Allgemeinbildung sorgen. Einmal, erzaehlten sie mir, sind die Bewohner eines Dorfes mit Macheten auf ein japanisches Paar losgegangen, weil sie ein Foto gemacht hatten. Ein anderes Mal soll eine Europaeerin in Gefahr geraten sein, da sie von der Schoenheit eines Kindes derart beruehrt war, dass sie es anfasste. Die Ingenieure erzaehlten, dass selbst sie als Landsleute oft auf Skepsis bei den hiesigen Einwohnern stossen. Die Warnungen der beiden Ingenieure, sich vorsichtig zu bewegen und nicht ungefragt in das Leben der Einheimischen einzugreifen, sollte uns spaeter noch eine nuetzliche Hilfe sein.

In Santa Eulalia gabelte uns eine Mexikanerin in Begleitung einer Norwegerin auf. Die Zwei waren auf dem Weg nach Barillas, wo die Norwegerin fuer ihre Diplomarbeit Interviews mit den Arbeitern einer Kaffeeplantage fuehren wollte, um mehr ueber das angewandte Vokabular auf Kaffeeplantagen in Lateinamerika zu erforschen. “Interessantes (eigenartiges) Thema, dachte ich. Wir fuhren gemaechlich dahin, begleitet von Erklaerungen der Mexikanerin ueber die verschiedenen Naturlandschaften.

Kaum hatten wir San Mateo Ixtatan hinter uns gelassen, wurden wir ploetzlich in eine Karawane von Autos gezwungen. Da es der 14. September war, ein Tag vor dem nationalen Feiertag zur Befreiung Guatemalas von der spanischen Herrschaft, wurden verschiedene Karawanen losgeschickt. Am Anfang einer jeden Karawane rannten einige Jungen mit einer brennenden Fackel in der Hand. Wie bei den Olympischen Spielen bringen die Jugendlichen die Fackel brennend von einem zum anderen Ort. Diese Aktion gilt als symbolisches Gedenken an den Freiheitstag. Den Jungen folgt ein Wagen mit weiteren Jugendlichen, die abwechselnd das Rennen uebernehmen. Dahinter folgt eine Reihe von Autos. Darin befinden sich all die Schaulustigen, die auf moderne Art und Weise der Tradition folgen und die Freiheit zelebrieren wollen.

Wir fanden die ganze Veranstaltung nicht gerade einladend. Da unsere Fahrerin und Begleitung einen Termin in Barillas hatten, versuchten sie der Karawane zu entfliehen und die vor uns fahrenden Autos zu ueberholen. Da fuehrte aber kein Weg hinein. Wir wurden nicht vorgelassen. Provokativ schnitt man uns den Weg ab oder quetschte uns fast ein, wenn die Strasse zu eng wurde. Nach einigen weiteren Versuchen akzeptierte unsere Fahrerin die Lage. Was sollten wir auch tun? Wir reihten uns also brav in die Karawane ein und hofften noch vor der Dunkelheit in Barillas zu sein.

Schleichend ging es voran. Oft stoppten wir, damit irgendwo am Beginn der Karawane getanzt und gefeiert werden konnte. Das passierte jedesmal wenn wir an einem kleinen Ort vorbeikamen. Dann sprangen alle Leute aus und von den Autos herunter, kauften die von den emsigen Dorfbewohnern angebotenen Aepfel und tranken zur Genuege Alcohol. An den Verkaeufern konnte ich mich erfreuen. Ich konnte sehen, dass sie schwer arbeitende Menschen waren. Einige von ihnen waren bereits in einem hohen Alter, trotzdem rannten sie so schnell sie konnten die Autos ab, um ihre Aepfel zu verkaufen. Dabei laechelten sie seelig, was mich am meisten beruehrte.

Sehr bald fingen die jungen Maenner, die auf der Ladeflaeche des Transporters vor uns weilten, an, die vor ihnen fahrenden Damen mit Aepfeln und Apfelstuecken zu bewerfen. Das ging zum Teil recht aggresiv zu und die Gesichter der Maedchen zeigten eindeutig, dass ihnen damit weh getan wurde. Das unmoegliche Benehmen ruehrte besonders von dem uebermaessigen Alkoholverzehr, dem sich die Herren ohne Scheu in der Oeffentlichkeit hingaben.

Wir naeherten uns langsam Barillas. Als wir an einem Punkt die Bergstrasse entlangkurvten, sahen wir von Weitem, dass sich die Karawane verzehnfacht hatte. Waren wir anfangs nur 6-7 Autos in der Karawane, konnten wir jetzt mehr als zwei Kilometer die Autoschlange verfolgen. Puh, wie lange sollte das denn noch dauern? Wir versuchten geduldig zu bleiben, aber der Hunger – wir hatten an diesem Tag kaum etwas gegessen – und die Sorge um einen Schlafplatz liess unsere Hummeln im Hintern unruhig werden.

Letztlich erreichten wir Barillas noch vor Einbruch der Dunkelheit und versuchten das Ende der Stadt zu erreichen. Irgendwann hielten wir an, schauten auf den Garten eines Hauses, und Augustas meinte, “Diese Familie muss eine nette sein, schau dir den Garten an. Wer so viel Pflege in die Planzen steckt, der kann nicht unbarmherzig sein und wird uns vielleicht helfen.” Gesagt, getan. Wir fragten in dem Haus an, ob sie uns mit einem Schlafplatz aushelfen koennen. Da fuer den Abend bereits eine christliche Veranstaltung im Haus angesagt war, konnte man uns keinen Schlafplatz vor neun Uhr abends anbieten. Wir waren bereit zu warten, erklaerten aber auch, dass wir ein Zelt haetten. Da der Herr des Hauses im Falle einer Naechtigung im Haus einige Anmerkungen bezueglich Bezahlung machte, stimmten wir ihn auf die Loesung mit dem Zelt um. Kurze Zeit spaeter spazierten wir den Berg in ihrem Garten hinauf, auf dem hoch oben die Kuehe grassten. Wir fanden einen guten Stellplatz und verschwanden alsbald in unserem “Kaemmerchen”.

Am naechsten Morgen liessen wir uns viel Zeit. Wir wollten nicht so recht aufwachen, rappelten uns aber trotzdem hoch. Da der Vortag aber sehr energiezehrend war, ging uns alles sehr langsam von der Hand. Wir kochten Fruehstueck, bereiteten unser Tagesmahl mit dem Campingkocher zu und mussten uns staendig vor der Kuehen vorsehen. Die waren naemlich sehr neugierig und versuchten staendig etwas zu stehlen. Ein manches Mal entkamen wir nur knapp ihrem Urinierdrang, der einmal ziemlich nahe meines Kopfes vonstatten ging. Alles in allem war es lustig und da wir gar keine Lust zum weiterreisen hatten, baten wir darum, eine Nacht laenger bleiben zu koennen. Unsere Familie war erfreut darueber und kam am Nachmittag mit einem Korb voller Leckereien und heisser Milch, die am Morgen erst gemelkt wurde, den Berg hinauf. Leider konnte ich mich nur an wenigen dieser Speisen laben, aber die Geste allein machte mich vollends satt und zufrieden.

Durch die Ereignisse des Vortages in der Karawane stand uns wenig der Sinn an den verrueckten Aktivitaeten des Feiertages teilzunehmen. Besonders die vielen Autos und Betrunkenen waren keine attraktive Aussicht. So entschieden wir, das Treiben des 15. September nur mitzuhoeren und von unserem Berggipfel das Kommen und Gehen der unzaehligen Menschen zu beobachten. Am Nachmittag machten wir uns dann aber doch auf die Innenstadt von Barillas zu erkunden. Wir fanden nicht viel vor. Die Stadt war leergefegt, die Laeden waren geschlossen, nur der Stadtmarkt war geoeffnet. Dort fanden wir ein wenig Obst und Gemuese, unter anderem Bananen, die am gleichen Tresen verkauft wurden wie Toilettenpapier fuer die hinter dem Tresen stehenden Toiletten. Es roch fuerchterlich nach Exkrementen und ich fragte mich, welchen Einfluss der Geruch wohl auf die Bananen hat. Letztlich hielt uns das aber nicht davon ab, die Bananen zu kaufen. Sie waren eben am preiswertesten.

Als wir uns am naechsten Morgen verabschiedeten, versuchten unsere Gastgeber unsere Entscheidung fortzugehen umzustimmen. Sie waren so erfreut ueber unseren Besuch, dass sie uns gerne noch dabehalten haetten. Vor allem die Grossmutter meinte, “setzt euch doch vor dem Haus auf die Baenke, dort ist Schatten, anstatt neben der staubigen Strasse in der prallen Sonne zu hocken”. Ihr Vorschlag klang verlockend, aber auf diese Weise haetten wir nie ein Auto angehalten. Mit “seid ihr denn nicht hungrig?”, folgte der naechste Versuch, uns nicht gehen zu lassen. “Wir haben dies und jenes zum Essen da, ich kann euch etwas zubereiten.” Wir schmunzelten. Was fuer tolle Menschen hatten wir da wieder getroffen! Zudem kam die Enkeltochter mit einem Notizbuch auf uns zugelaufen und bat, ihr doch etwas in deutsch und litauisch sowie deren Uebersetzung in spanisch aufzuschreiben. Wir taten es gern und konnten als Dank in zwei warme, glueckliche Augen schauen.

Trotz allen Umstimmversuchen blieben wir stark und warteten mit Engelsgeduld am Wegesrand. Irgendwann kam dann auch einer der “Viehtransporter”, wie wir ihn nennen. Das ist ein Transporter, auf dessen Ladeflaeche eine Art Kaefig angebracht ist. Dieser Transporter gilt als oeffentiches Verkehrsmittel, da in der dortigen Gegend ein regelmaessiger Busverkehr nicht vorhanden ist. Normalerweise sind diese Transporter dermassen vollgestopft mit Menschen, dass diese links, rechts, hinten und oben heraushaengen. Einmal beobachteten wir sogar, wie jemand aus dem Transporter herauspinkelte. Die Personen stehen waehrend der ganzen Fahrt. Nur die, die einen Platz am Ende des Transporters oder auf den metallenen Dachstreben gefunden haben, koennen die ruettelnde Fahrt auf ihrem Hintern verbringen. Ob das allerdings bequemer ist, sei dahin gestellt.

Unser Transporter war leer, so dass wir dachten, sie haben Feierabend und wollten nur noch nach Hause. Wir baten also um eine kostenlose Mitnahme und die beiden Maenner brachten uns bis San Ramón. Entlang des Weges nahmen sie auch eine junge Mutter mit Kind auf. Wir laechten uns anfangs scheu, spaeter mit Freude zu. Sie hatte ein wunderschoenes Kind, was in ein Tuch eingewickelt an ihren Koerper geschmiegt war. Sie selbst war eine natuerliche Schoenheit. Was mir aber bei ihr wiederholt auffiel, war das Fehlen der beiden Vorderzaehne. Ich hatte das bereits viele Male waehrend unserer Reise durch Guatemala beobachtet. Ich erinnerte mich bei diesem Anblick immer wieder daran, dass einige Eingeborene im brasilianischen Dschungel sich die beiden Vorderzaehne im zarten Alter von 7 Jahren selbst ziehen, um damit Mut und Staerke zu beweisen. Wahrscheinlich ist das Fehlen der Vorderzaehne besonders bei den noch traditionell lebenden Guatemalern auf eine aehnliche Tradition zurueckzufuehren.

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