Lektionen gelernt (November 5 – 12)

März 10, 2007  
Themen: Mexiko

Die Zeit in Xochimilco war vorbei und wir kehrten wieder nach Mexiko Stadt zurück. Esthela und Rodrigo hatten uns angeboten, jederzeit wieder zu ihnen zurückzukommen. Das nahmen die Einladung gerne an, doch diesmal platzten wir in eine schwierige Phase der jungen Eltern hinein. Esthela hatte vor Kurzem aufgehört zu stillen und prompt wurde Mateo krank. Das erste Mal in seinem Leben. Die Nase lief ständig und war völlig verstopft. Dazu hatte er Fieber und eine Bronchitis. Bei der Umweltverschmutzung, die in Mexiko Stadt herrscht ist das kein Wunder. Esthela hatte versucht, den kleinen Fratz mit Naturheilmitteln und Tees wieder aufzupäppeln, doch die Erkältung war zu hartnäckig. Die Eltern verzweifelten nach einigen Tagen an dem unveränderten Zustand Mateos. Die Nächte heulte Sonnenschein Mateo komplett durch und hielt die arbeitstätigen Eltern mächtig auf Trab. Ohne Schlaf, früh aufstehen und nach einem harten Arbeitstag die gleiche Prozedur zehrte an Esthelas und Rodrigos Nerven. Wir fühlten mit ihnen, aber so ist es halt, wenn ein Baby krank wird. Da die Eltern völlig erschöpft waren, entschieden sie sich schließlich doch einen Kinderarzt zu konsultieren. Dieser verordnete dem winzigen Wicht eine Menge Medikamente. Ich schlug innerlich die Hände über dem Kopf zusammen. Diese Schulmediziner… Die Medikamente schlugen tatsächlich an, so dass von dem Tag an nachts wieder Ruhe einkehrte und Mateo tagsüber auch wieder genießbar war. Wir waren froh, dass sich Mateos Gesundheitszustand wieder besserte, denn wir fühlten uns wie eine große Last an Esthelas und Rodrigos Beinen. Da wir aber sonst nirgendwo hin konnten, blieb uns nichts anderes übrig als möglichst nicht im Haus zu sein.

Wir verbrachten eine weitere Woche in Mexiko Stadt, in der wir an einem Servas Treffen teilnahmen. Dieses fand an einem Montag im Cafe Dali statt. Ein dezent eingerichtetes Lokal, in dem kleine künstlerische Details auf die Verbindung zu Dali hinwiesen. An diesem Abend trafen wir fast alle Servas Mitglieder wieder, die wir in Mexiko Stadt, Xochimilco und Mixquic kennengelernt hatten. Lilli, Felix und Rodolfo tauchten allesamt bei dem Treffen auf. Es war ein herzliches Wiedersehen, zumindest mit Lilli und Rodolfo. Felix war uns ein wenig über den Kopf gewachsen und obwohl wir ihn für seine besondere Art und Weise des Seins bewunderten, hatten wir vorerst genug von seiner Gesellschaft. Er erzählte uns trotzdem alle Nasen lang, wen er alles von woher und aus welcher Epoche seines Lebens kannte und wen wir unbedingt treffen sollten. Felix würde uns die Kontaktdaten, die sich nicht in der Servasliste finden ließen, per Email zukommen lassen. Wie auch immer…

Die meisten anderen Teilnehmer stellten sich als alte Hasen in Servas heraus. Ein Herr war jedoch erst kürzlich der Organisation beigetreten. Er kam aus Baja California, der Halbinsel im Nordwesten von Mexiko. Der Präsident namens Peralta, der neben Felix am längstem in Servas Mexiko tätig war, zeigte viel Interesse an unserer Anwesenheit. Wir führten intensive Gespräche über die Bedeutung von Gastfreundlichkeit und wann ein Mensch als gut oder böse eingestuft werden kann. Wir einigten uns auf verschiedene “Relativitätstheorien”, denn es ist immer abhängig von der Situation und der Perspektive, die man den jeweiligen Menschen dahingehend betrachtet. Peralta entdeckte mein Interesse an Kunst und lud uns zur Eröffnung einer Kunstgalerie ein, die seine Frau ins Leben gerufen hatte. Der Abend im Cafe Dali in der Gesellschaft der vielen Servas Mitglieder führte uns noch einmal vor Augen, wie sehr sich diese Organisation doch von den Vereinen wie Hospitality Club und Couch Surfing unterschied. Wir waren wirklich fasziniert von Servas und sind es bis heute.

Die Inauguration der Kunstgalerie fand am kommenden Donnerstag statt. Wir hatten uns mit Peralta um 19 Uhr verabredet. Da wir gerne in seiner Begleitung die Galerie betreten wollten, warteten wir draußen auf der Straße auf ihn. Nach einer halben Stunde über der Zeit entschieden wir nicht länger herumzustehen und stattdessen die Zeit für die Kunstbesichtigung zu nutzen. Im Erdgeschoss fanden sich vorwiegend Gemälde, deren Sinn ich nicht zu greifen bekam. Der Stil war mir einfach zu abstrakt und die Erklärungen dazu lagen zu weit von der eigentlichen Arbeit entfernt. Auch Augustas konnte mit diesen Kunstwerken nichts anfangen. Im Obergeschoß dagegen fanden wir viele Collagen und Arbeiten vor, die Kompositionen bestimmter Situationen darstellten. In diesen Werken steckte viel Handwerk drin. In diesen künstlerischen Bauten wurden häufig Materialien wie Puppen, alte Briefe, vergilbte Notizen, Perlen, Stofffetzen mit Kaffeeflecken und Schmuck vorgefunden. Andere Kunstwerke erlaubten durch ihre Anordnung einen Blickwinkel, der auf natürliche Weise nicht möglich gewesen wäre. Dabei kamen vor allem viele Spiegel zum Einsatz. Wir waren restlos begeistert von dieser Art Kunst. Die Werke strahlten Faszination pur aus und zogen uns in ihre intimen, speziellen Geschichten mit hinein. Wir hatten bereits die gesamte Galerie gesehen, doch Peralta tauchte noch immer nicht auf. Wir warteten einige 15 bis 20 Minuten länger, doch dann gingen wir einfach nach Hause. Später erfuhren wir, dass seine Frau erkrankt war und er deswegen nicht zu der Galerieeröffnung erschienen war. Wir hätten ihn auch anrufen können, doch wir dachten, dass das eh unnütz wäre. Vielleicht hätte es Peralta aber die Sorge darum genommen, dass wir uns fragten, warum er nicht kam. Sollte sich solch eine Situation irgendwann wiederholen, wir würden dieses Mal definitiv zum Telefonhörer greifen.

Die drei Wochen Urlaub, die Saulius, der liebenswerte Litauer, der uns einige Dinge aus dem Heimatland mitgebracht hatte, mit seinen Freunden in Mexiko verbracht hatte, waren bereits wieder um. Wir trafen uns ein weiteres Mal auf dem Flughafen von Mexiko Stadt und übergaben ihm all unsere Fotos, die wir entwickeln lassen hatten. Auch meine Kamera, die er extra für uns aus Litauen mitgebracht hatte, gaben wir ihm wieder mit. Wir hatten nämlich in Xochimilco entschieden, dass wir uns eine Digitalkamera zulegen werden, da die Entwicklung unserer über acht Monate gesammelten Filme nicht gut gegangen war. Die Qualität war äußerst schlecht und wir ärgerten uns, dass wir da nichts mehr machen konnten. Da wir bereits ein Modell bei Ebay ersteigert hatten, brauchte ich die kleine Kamera zum Austoben meines Kunstbedürfnisses nun auch nicht mehr. Neben den Fotos und der Kamera hatten wir auch unsere Rucksäcke durchforstet und gaben ihm unnötigen Balast mit auf die Reise nach Litauen. Wir hofften, dass Saulius uns wegen der Menge nicht den Kopf abriss, doch er sah die Sache relativ gelassen. Er erzählte uns von der Rundreise durch Mexiko und erwähnte, dass er während des “Dia de Muerte” nicht wusste, was er machen sollte, da er von keinerlei Veranstaltungen erfahren hatte. Hätten wir das geahnt… Es wäre sicher toll gewesen, mit den vier Litauern gemeinsam zu dem Fest in Mixquic zu gehen. Nun war es nicht mehr nachzuholen. Insgesamt muss ich sagen, dass die vier Litauer nach ihrem Urlaub viel offener und ausgelassener wirkten, als bei ihrer Ankunft. Was so wenig Zeit in Mexiko mit einem anstellen kann… Faszinierend. Keine drei Tage, nachdem Saulius wieder in seinem Land angekommen war, hielt Augustas Schwester auch schon unsere Sachen in der Hand. Das hatte wirklich hervorragend geklappt. Besser als die Post.

Wie fast täglich waren wir in der Stadt unterwegs und da wir dringend für einige Zeit im Internet arbeiten mussten und den billigsten und besten Platz dazu nahe Oscars Wohnung wussten, gingen wir einfach dorthin. Kaum sassen wir im Internetcafe, spazierte plötzlich Oscar persönlich zur Tür hinein. Er war in Begleitung einer Freundin aus Guadalajara. Die beiden nutzen das Internet nur für eine kurze Zeit und beim Gehen erinnerte uns Oscar daran, dass am kommenden Tag die Inauguration der Gemäldegalerie stattfinden würde, für die Oscar an eine
m Wettbewerb teilgenommen hatte. Dazu würde eine Preisverleihung vollzogen und ein Büffet auf uns warten. Wir sicherten ihm zu, auf jeden Fall bei der Galerieeröffnung dabei zu sein.

Am nächsten Tag war es soweit. Oscar würde erfahren, ob seine wundervollen Gemälde, die von einem bestimmten Bibelpsalm und einer Götterfigur handelten, einen Preis gewonnen hatten. Er war sich nahezu sicher, dass er gewinnen würde. Diese Zuversicht war vor allem aus der Notwendigkeit geboren, seine rückständige Miete begleichen zu müssen.

Auf dem Weg dorthin in der U-Bahn erlebten wir ein ungewöhnliches Drängen. Die U-Bahn in Mexiko Stadt ist zu den Hochbetriebszeiten, also früh morgens und gegen Abend, fürchterlich voll. Bisher war es uns aber noch nicht untergekommen, dass die Tür aufgeht, die Menschen unter verbalen und physischen Gebärden in die U-Bahn hineingeschoben wurden und dann ein unnatürlich starken Hin- und Herrücken stattfand. Überall wurde gedrängelt, die Menschen nach vorne und hinten geschoben und auch ich befand mich genau im Kreuzfeuer dieser Aktivitäten. Obwohl Augustas und ich sonst immer dicht beisammen standen, schafften es die Massen uns diesmal auseinanderzureisen. Nichtsahnend, was da vor sich ging, schaute ich nur genervt zur Wagondecke hoch. Wir würden ja bald aussteigen. Augustas schien die Situation dagegen genau zu beobachten. So plötzlich wie die Drängelei begonnen hatte, war sie auch wieder vorbei. Augustas fragte sogleich, “Hast du noch alle deine Sachen?” Ich war mir sicher, dass es so war, doch halt!, mein kleines Schultertäschchen war offen. Ich schaute hinein und begriff nur langsam, dass mein Notizbuch verschwunden war. So ein Mist aber auch. All meine Gedanken, Erfindungen (die bisher nur in Theorie existierten), Notizen und Adressdaten waren mit einem Mal verschwunden. Und das von einem anderthalbjährigen Zeitraum. Futsch. Weg. Wahrscheinlich schon in einem Papierkorb gelandet. Die zehn Dollar, die sich in dem Umschlag befanden waren auch weg. Denen trauerte ich aber nicht hinterher. Ich weiss noch genau, wie ich mir dieses Notizbuch in Kapstadt, Südafrika, kaufte, mit einer Maske, die ich in einer südafrikanischen Zeitschrift fand verzierte und seither behutsam mit mir herumgetrug. Augustas erklärte mir nach dem Geschehen, wie die Diebe vorgegangen waren und mir fiel alles wie Schuppen von den Augen. Auch wenn Augustas mich schon viele Male auf solche Situationen hingewiesen hatte, musste ich wohl erst diese Erfahrung selbst machen, um mich in Zukunft besser vor solchen Taten schützen zu können. Von nun an würden bei mir auf jeden Fall die Alarmglocken läuten und meine Hände sofort zu meinen “Schätzen” wandern. Festhalten, Beobachten, sich nicht ablenken lassen. Ich hatte meine Lektion gelernt.

In der Galerie angekommen schienen wir die ersten Besucher zu sein. Niemand hielt sich in der Halle im Erdgeschoß auf, in der das Büffet vorbereitet war. Wir erfuhren auf Nachfrage, dass die Preisverleihung in einem anderen Teil des Gebäudes stattfand. Nachdem wir uns erst ein wenig verlaufen hatten, fanden wir die Aula schließlich. Wenn auch nicht die Ersten, zählten wir zumindest zu den wenigen pünktlichen Gästen. Wir mussten noch eine ganze Weile verharren, bis die Aula gerammelt voll war und die Preisverleihung endlich begann. Oscar kam viel später. Die Veranstaltung lief bestimmt schon eine halbe Stunde, bis er endlich auftauchte. Er wusste zu genau, dass die Gäste zu Beginn immer viel Gerede über sich ergehen lassen mussten. Er kannte das Spiel schon zur Genüge. Als die Preisverleihung dann eingeläutet wurde, fing Oscar an zu schwitzen. Wer war wohl der Gewinner? Nachdem Stück für Stück die besten zehn Teilnehmer gekürt wurden und das für Oscar niederschmetternde Ergebnis feststand, war es Zeit für alle restlichen Teilnehmer zum Pult hervorzutreten und ihr Teilnahmezertifikat in Empfang zu nehmen. Dazu wies Oscar Augustas an, ihn zu fotografieren. Obwohl Oscar offensichtlich keine Ahnung vom Fotografieren hatte, gab er Augustas verwirrend-klare Instruktionen, wie er wo und wann in welcher Position und mit welcher Person aus welchem Blickwinkel aufgenommen werden wollte. Augustas blieb über seine Ausführungen so verdutzt zurück, dass er einfach drauf los knipste. Es wird schon eines der Fotos seinen Vorstellungen entsprechen. Oscar kam mit hochrotem Kopf von der Zertifikatsausgabe zurück und schwitzte so sehr, dass ihm der Schweiß von der Stirn lief. Es schien nicht einfach für ihn, vor so ein Publikum zu treten.

Endlich ging es in die Galerie hinunter, um die ganzen Werke zu bestaunen. Es fanden sich viele tolle Gemälde darunter. Als wir bei den Siegerbildern ankamen, griffen wir uns vor Unverständnis an den Kopf. Wir konnten beim besten Willen nicht verstehen, warum dieses Bild gewonnen hatte. Oscar konnte das noch weniger. Mal Beiseite gelassen, dass wir Oscar persönlich kannten, aber insgesamt gefielen mir seine Gemälde und die eines weiteren Teilnehmers weitaus besser, als jedes der Siegerbilder. Auch die anderen Besucher der Galerie murrten über das Ergebnis. Ich fragte mich in diesem Moment, ob nicht die Beziehungen zu den Entscheidungsträgern hier eine größere Rolle spielte als die Qualität der Bilder. Wir konnten an diesem Abend nämlich noch häufig erkennen, wie wichtig es schien, mit berühmt-bekannten Persönlichkeiten ein paar nette Worte zu wechseln. Oscar nutzte die Annäherung an diese Personen sofort für die Bewerbung seiner Bilder. Er schleppte jede einzelne, für seine Zukunft wichtige Person zu seinen Bildern und präsentierte stolz seine Werke. Auffallen um jeden Preis. In die Erinnerung der Großen und Mächtigen eingehen, dass war das Hauptziel dabei. Wir verstanden Oscars Bemühen um Aufmerksamkeit. Er stellte uns bei jeder Gelegenheit automatisch als Fotografen an, denn jede Begegnung musste natürlich für spätere Referenzen festgehalten werden. Wir schmunzelten über unsere Berufung zu “Profifotografen” und vergnügten uns in den Pausen mit dem köstlichen Büffet. Einmal griff ich allerdings daneben und biß kräftig in ein Fleischpastell hinein. Ich spuckte das Stück unbemerkt in eine Serviette, legte das angebissene Pastell heimlich auf ein Tablett und griff gleich zu einem süssen Pastel, von dem ich definitiv wusste, dass es für mich essbar war.

Da ich es geschafft hatte, meinen Rücken in die falsche Position zu schieben und mir das Ganze Schmerzen bereitete, suchte ich nach einem neuen Chiropraktiker. Es musste doch ein ähnlicher wie in Guatemala Stadt zu finden sein. Jemand, der mein Problem manuell diagnostizieren kann und mich wieder gerade biegt. Damit stieß ich in Mexiko Stadt aber auf Felsgestein. Wir liefen uns die Füße wund, von einem zum nächsten Chiropraktiker, nur um zu erfahren, dass sie mich ohne vorherige Röntgenaufnahmen von Hals, Rücken und Becken nicht behandeln würden. Was war das denn bitte schön? Schon einmal von gesundheitlichen Risiken beim Röntgen gehört? Scheinbar nicht. Ich weigerte mich regelrecht, auch nur einem dieser sogenannten “Chiropraktiker” zuzuhören, wenn sie mich nur dann anfassen würden, wenn sie zuvor eine Röntgenaufnahme in der Hand hielten. Sonst nicht. Und so etwas nannte sich Chiropraktiker! Ich konnte es nicht glauben. Ich war so außer mir vor Rage, dass ich bei der geringsten Andeutung von Röntgen sofort Kehrt machte. Schließlich und letztendlich fand ich eine alte Chiropraktiker-Klinik, in der ich nicht aufgefordert wurde, ein Röntgenbild von meinem Rücken machen zu müssen. Die Kosten lagen auch um das Doppelte niedriger. Na hoffentlich war ich bei diesem Herrn an die richtige Adresse geraten.

Kaum trat ich ins Arztzimmer hinein, bombardierte mich der Arzt in einer Schnelle und Abgehacktheit mit Fragen, als stände ich vor einem Computer. Ich wunderte mich ein wenig, dachte aber, dass er diese Fragen schon millionenfach gestellt haben musste und sah darüber hinweg. Er jagte mittels eines Stromgerätes Elektrizität durch meinen Körper und als es mir im Nacken weh tat, hatte er den ersten Teil der Diagn
ose abgeschlossen. Er erklärte die Zusammenhänge und bat mich daraufhin, auf einer speziellen Liege bauchlings Platz zu nehmen. Die Liege war in verschiedene Teile “zerschnitten”. Von Kopf bis Fuß waren insgesamt fünf oder sechs verschiedene, gepolsterte Platten auf einer Höhe angebracht. Ich legte mich mit dem Kopf nach unten auf dieses Gerät und los ging es. Es puffte, zischte und während ich an wechselnden Stellen Ruckbewegungen von unten fühlte, drückte der Arzt mir vom Steiß angefangen bis zum Nacken und wieder zum Steiß in einem bestimmten Rhytmus auf der Wirbelsäule herum. Nach fünf oder zehn Minuten war er damit fertig und bat mich in einen winzigen Nebenraum. In diesem stand nur eine Bank, die im oberen Teil in der Mitte einen Schlitz hatte, aus dem ein weiteres Element herausschaute. Ich wurde gebeten es mir rücklinks auf der Liege gemütlich zu machen. Der Arzt rückte mich noch ein wenig zurecht und drückte dann den roten Knopf an der Seite der Liege, so dass sich das Teil, was aus dem Schlitz herausgeschaute, anfing sich zu bewegen. Es massierte automatisch von oben nach unten und wieder nach oben, jeweils gleichzeitig rechts und links neben meiner Wirbelsäule. Das war zur Entspannung nach der Behandlung auf dem Spezialtisch gedacht. Er ließ mich 15 Minuten in diesem eiskalten Raum liegen. Beim nächsten Mal würde ich mich dabei zudecken, so viel war sicher. Ich bezahlte für diese halbstündige Behandlung 17 Dollar (14 Euro) und marschierte mit einer Terminvereinbarung für den folgenden Tag hinaus. Ich fühlte mich ganz in Ordnung nach der Behandlung. Einige Stunden später schmerzte mir dann das ganze Rückrat, was ich aber als normal einstufte, denn genauso hatte ich es in Guatemala City erlebt. Ich ging insgesamt vier Mal zur Behandlung. Einmal vergaß mich der gute Herr auf dem automatischen Massagetisch. Nach einer halben Stunde weckte ich seine Aufmerksamkeit mit Brüllen und Klopfen. Er entschuldigte sich für das Vergehen, was aber nicht gegen die darauf auftretenden, extrem starken Rückenschmerzen half. Vielen Dank Herr Doktor. Ich gab einen Tag später die Behandlung auf. Mir war klar geworden, dass mir diese Behandlung in keinster Weise helfen würde. Menschen gehören nun einmal nicht auf Automaten, sondern in genauso menschliche Hände. Wieder eine Lektion gelernt.

Kurz bevor wir Mexiko Stadt in Richtung Cuernavaca verließen, lud uns Bradwell erneut zum Freitagscharla (Gesprächsabend) im “Casa de los Amigos” (Haus der Freunde) ein. Diesmal war das Thema: “Welchen Ort würdet ihr am Liebsten besuchen und warum?” Wir bildeten wieder Grüppchen und ich teilte in der meinigen mal wieder meine Vision von einer Reise, die mich von Alaska bis nach Russland bringen würde. Einem Herrn in unserer Runde ging das sichtlich gegen den Strich. “Das funktioniert nie! Das wirst du nie schaffen!” Danke der Motivation. Ich legte mich natürlich mit ihm an und siegte letztendlich, denn ich bekam auch den Zuspruch der anderen Teilnehmer. Dieser Mann schien aber von Sturheit und falscher Weisheit geplagt zu sein, denn er akzeptierte meinen Gewinn nur knurrend. Das Ergebnis unserer Diskussion war, dass er sich hinsichtlich einer “illegalen” Einreise in Russland geschlagen gab, niemals würde ich dieses Vorhaben aber mit offizieller Genehmigung realisieren können. Für mich zählte nicht wie ich es schaffen würde, sondern das ich es schaffen würde. Denn ich glaube fest daran, dass es möglich ist. Der gleiche Herr haperte auch mit der Erklärung meinerseits, dass Augustas und ich “durch die Menschen” reisen, nicht entlang von Attraktionen. “Aber das, dieses und jenes musst du einfach besucht haben. Wenn nicht, dann hast du Mexiko einfach nicht gesehen.” Ich schmunzelte darüber. Wie kann man nur so engstirnig sein? Ein anderer Teilnehmer fing diese Einstellung dagegen positiv auf. “Ich habe in meinem Leben noch nie darüber nachgedacht, dass man auch durch die Menschen reisen kann. Das eröffnet mir ganz neue Perspektiven. Ich werde diese Art und Weise des Reisens auch in Erwägung ziehen.” Ich freute mich an dieser Reaktion sehr. Leben und leben lassen. Offen sein für Neues, Unbekanntes. Das gefiel mir.

Nach dem Treffen im “Casa” gingen wir mit einigen der Teilnehmer noch in ein Restaurant. Dort kamen wir mit Katrin, einer Deutschen, ins Gespräch, die seit einigen Monaten in Zentralamerika unterwegs war. Sie erzählte mir von den Möglichkeiten, gerade im lateinamerikanischem Raum als Deutschlehrerin tätig zu werden. Diese Arbeit würde gut bezahlt und man könnte sich einfach das Taschengeld für die Weiterreise verdienen. Außerdem wäre es im Allgemeinen sehr einfach, dem Lehrplan zu folgen, man müsste also die Unterrichtsziele nicht selbst definieren. Mittels Büchern ließen sich die Kurse problemlos halten. Das munterte mich auf. Sollten wir einmal wieder irgendwo Halt machen, würde ich die Möglichkeit, ein Zubrot als Deutschlehrerin zu verdienen, in Erwägung ziehen. Katrin erzählte uns auch von einem Schildkrötenprojekt, in dem sie für einige Wochen an der pazifischen Küste von Mexiko gearbeitet hatte. Ich spitzte meine Ohren und ließ mir einige Daten aufschreiben, die uns zu den Schildkröten führen könnten. Denn eins war mir in diesem Moment klar: ich wollte die Schildkröten auf jeden Fall sehen.

Wir verabschiedeten uns nun auch von Esthela, Rodrigo, dem süssen Mateo und dem witzigen Chihuaua Mao. Die Familie hatte uns wirklich herzlich aufgenommen, trotz aller Strapazen, die sie in letzter Zeit hatten durchstehen müssen. Schließlich luden sie uns auch noch zu ihrer Hochzeit ein, die im Bundesstaat Michoacán, Esthelas Geburtsort, stattfinden würde. Zur gleichen Zeit sollte Mateo getauft werden. Wir verblieben damit, dass wir über eine Teilnahme nachdenken würden. Leider fand die Hochzeit später zu dem Zeitpunkt statt, an dem wir die Reise zur pazifischen Küste gemacht hatten, um die von mir so ersehnten Schildkröten zu finden.

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